Der Film handelte von einem gewissen Aschenbrödel, bösen Stiefschwestern nebst ekliger Stiefmutter, und einer steilen Karriere bei Hofe, nachdem eine gute Fee das geknechtete Mädchen mit Ballkleid, unbequemen Glasschuhen und einer Kutsche, aus Kürbis, ausgestattet hatte. Und dann war da dieser Prinz! Und was für ein Prinz.
Jedes Mal stockte mir der Atem, wenn ich seiner ansichtig wurde, und besonders beim Finale des Wunderwerkes, in welchem das glückliche Paar sehr cocteaumäßig ins Geäst eines sich niederbeugenden Baumes steigt, um anschließend aufzufahren in himmlische Höhen.
Es waren die Prinzen, die stets mein Herz gewannen, und ich wunderte mich darüber. Leider war die Auswahl an Prinzen nicht besonders groß, da das Filmangebot ein wenig beschränkt war. Viele Filme waren offenbar nicht sozialismustauglich, und so wurden wir wieder und wieder mit Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin erfreut, wo in kindgerechter Form die Rebellen in den Rahen aufgeknüpft wurden und auf der Todestreppe von Odessa eine lustige Metzelei stattfand. Alle Kinder Coswigs waren mit diesem Meilenstein der Filmkunst vertraut, und wir hielten uns unisono bei den schlimmsten Szenen später die Augen zu, wussten wir doch, wann diese auftauchten. Iwan der Schreckliche fanden wir dann auch gar nicht so schrecklich, doch eigentlich sahen wir lieber lustige Filme, und daran herrschte wohl offenbar ein gewisser Mangel.
Am lustigsten waren immer noch die vielen Kinder unseres großen Bruders und Befreiers Stalin, die in allerlei Propagandafilmen und Wochenschauen mit ihren blauen Pionierhalstüchern, vor dem Väterchen paradierten. Wie glücklich die kleinen Mädchen mit den riesigen Schleifen in den Zöpfen aussahen, wenn sie unbefangen in die Kameras lachten, bevor sie Hand in Hand zum Aufbau des Sozialismus abmarschierten. Das war schön, und ich fühlte mich ihnen tief verbunden, besaß ich doch ebenfalls eines der blauen Tücher, das mich als junger Pionier auswies.
Das Kinderprogramm bestand natürlich nicht nur aus Werbefilmen für die menschheitsrettende kommunistische Heilslehre. Oft wurde tatsächlich Kindgerechtes vorgeführt, meist aus den Beständen der alten Ufa, wenn es nicht gar neuere Produktionen in sensationeller Farbe aus den Bruderländern zu sehen gab. Da wären die Märchenfilme Die steinerne Blume oder Das kalte Herz zu nennen, die ich wenigstens zwanzigmal mit dem Brüderchen angeschaut hatte. Oder der wunderbare Puppentrickfilm mit Gesang, der das Leben eines Holzmännleins namens Pinocchio beschrieb. Lauter Filme, die garantiert kindgerecht und frei von blauen Jungpionier-Halstüchern waren.
Mein Tuch hatte ich recht selten getragen, passte es doch nicht so recht zu den Maßanzügen, mit denen Mutter uns aufbrezelte. In der Schule sangen wir begeistert das Aufbau-Lied, in welchem die freie deutsche Jugend zur Wiedererrichtung der Heimat aufgefordert wurde. Wir waren die Hoffnungsträger, und wir waren uns der großen Aufgabe wohl bewusst. Schlechter als jetzt konnte es ohnehin kaum noch kommen und wir erfüllten unsere Pflicht.
Sogar die Eltern wurden unserer Aufsichtspflicht unterstellt. In der Schule und im Ferienlager hatte man uns erklärt, dass wir republikfeindliche Äußerungen der Erziehungsberechtigten, und erst recht Taten, unverzüglich den Behörden zu melden hätten. Kinder, die im Sinne der Partei handelten und ihre Angehörigen verpfiffen, wurden als Helden gefeiert und belohnt. Ich hätte mir auf diese Art gut den Besuch der höheren Schule mit anschließendem Studium ermöglichen können, denn Kinder aus der ausbeuterischen Klasse, sowie der schaffenden Intelligenzia, war normalerweise der Zugang zu höheren Weihen verwehrt. Meinem Bruder Peter, den Ärztesöhnen Gerd Schneider und Christian Globisch und mir war eine Zukunft als Angehörige der werktätigen Klasse vorherbestimmt, um der geforderten Proletarisierung der Massen Genüge zu leisten.
Peter und ich folgten diesen Anweisungen nie, dabei wäre doch so viel zu melden gewesen. Außerdem stand mein Berufswunsch fest, und ein Tänzer benötigte kein Abitur. Betrieb und Haushalt funktionierten nie ganz ohne Korruption und Schmuggelware aus dem Westen. Bei uns nicht und auch nicht bei den Anderen aus unserem Bekanntenkreis. Sogar die Ehefrauen wurden rücksichtslos bei der Ausführung von Straftaten eingesetzt, indem man sie als Schmugglerinnen missbrauchte.
Mutter erzählte später noch oft, wie sie bei einer Fahrt nach Westberlin, mit der Freundin Luise Schneider, in die Zwickmühlen des Gesetzes geriet. Fast. Sie waren noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Nach einem tagelangen Verhör hatte man sie wieder laufen lassen müssen, da sich die vermutete Westwährung nicht fand. Selbstverständlich hatten beide Damen Westgeld mit sich geführt, es war nur nicht gefunden worden. Mutter hatte das ihre so geschickt in die Dekoration ihres damenhaften Hutes eingenäht, dass es den Argusaugen des Zollbeamten, der sämtliche Nähte, auch die der Unterwäsche geprüft hatte, tatsächlich entgangen war. Ohnehin hatte sie nicht so viel mitgeführt, da sie nur nach ein Paar Schuhen oder einem Stückchen Stoff auf Berlins Prachtboulevard Ausschau halten wollte. Aber Freundin Luise war von ihrem Manne, dem Zahnarzt, beauftragt worden, dringend benötigte Medikamente und Ersatzbohrer herbeizuschaffen, wozu eine größere Summe vonnöten war. Luise hatte ihr Geld, immerhin einige Tausend, unter dem Belag der mitgeführten Butterbrote deponiert, welche sie noch im Abteil des Zuges, in welchem sie durch ihre schicke Kleidung aufgefallen waren, vor den Augen des suchenden Zöllners kaltblütig verzehrte. Auch Mutter war von einem plötzlichen Heißhungeranfall schier überwältigt worden und hatte herzhaft zugegriffen. Nur gut, dass es damals noch keine Sicherheitsfäden aus Metall gegeben hatte, die Damen hätten auf dem Röntgenschirm geleuchtet wie Christbäume - das Lametta innen!
Man hatte die Beiden gegen Abend, nachdem sie auf der Wache, wohin man sie wie Verbrecherinnen unter Polizeischutz verbracht hatte, und dortselbst ununterbrochen, aber erfolglos verhörte, unter Seufzen wieder laufen lassen. Doch sie waren fürderhin gebrandmarkt. Als Schmugglerinnen waren sie unbrauchbar geworden, bei jeder Kontrolle holte man sie aus dem Zug - sie trugen einen geheimen Vermerk im Ausweis, den sie nie entdeckten.
Ein, zwei Tipps dieser Art, bei den amtlichen Organen, hätten Brüderchen und mich zu Helden des sozialistischen Sieges gemacht, und unser hehres Denunziantentum wäre als ein Hohelied in der staatskonformen Presse gewisslich gesungen worden - doch daraus machten wir uns nichts.
Wir machten uns auch nicht viel aus dem Sommerlager der Jungpioniere, zu welchem wir nur unter sanftem Zwang erschienen. Zum Glück brauchten wir nie in den müffelnden Zelten zu nächtigen, die sich am Rande der Stadt um die großen Baracken drängten, in denen die Küche und Gemeinschaftsräume untergebracht waren. Das Essen war selbst für damalige Verhältnisse schauerlich, und wir des Abends heilfroh wieder am häuslichen Tisch zu sitzen.
Peter, als zwei Jahre jüngerer Pimpf, hatte ohnehin die besseren Ausreden für sein Nichterscheinen. Oftmals musste ich allein hingehen, um der politischen Schulung teilhaftig zu werden, bevor wir in den Wald zogen, in welchem unsere Gruppenspiele stattfanden.
Zugegeben - manche Spiele, wie zum Beispiel Schnitzeljagd waren spannend, sieht man einmal davon ab, dass dem Sieger kein Schnitzel winkte. Wir waren Besseres gewohnt. Wir spielten lieber zu Hause mit unseren Freunden, die nach und nach zahlreicher wurden.
Ich war auf die Idee gekommen, den Leuten etwas nicht Alltägliches zu bieten, als Werbemaßnahme sozusagen. Ich brauchte Freunde und ich bekam sie.
Das beste Lockmittel war natürlich unsere elektrische Eisenbahn, die einzig Funktionierende der ganzen Stadt. Sie war im Laufe der Jahre mächtig gewachsen, und, weiß der Teufel, woher der Alte die ganzen Einzelteile ergattert hatte, ausgesprochen ansehnlich geworden. So groß, dass sie auf eine riesige Platte montiert wurde, und ganzjährig, nach Großvaters Tod, in dessen verwaistem Büro mit dem altmodischen Eisentresor im Parterre des Hauses, zu stehen kam. Bis auf die Weihnachtsfeiertage, die Vater mit seinen Freunden meist auf einer gemütlichen Decke unter der Platte verbrachte, während der Duft des Gänsebratens durchs ganze Haus zog, um irgendwelche gebrochenen Kabel, in dieser kupferlosen Zeit, wo leitende Metalllegierungen brüchig wie Glas waren, zu reparieren, oder um die Neuheiten vom Fest zu installieren.
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