Wie die spanische Tänzerin mit aufgeschlitztem Mieder den Audienzsaal verlassen habe, vorbei an Graf von Lerchenfeld und den Lakaien, und schließlich barbusig ins Hotel zurückgekehrt sei, darüber wusste kein Gerücht etwas zu berichten.
In Wirklichkeit hätte der König solcher nackten Tatsachen gar nicht bedurft, sein Kennerblick hatte schon gleich zu Beginn bei Lolas Hofknicks die schwarze Samthülle ihres Mieders fachmännisch durchbohrt und den wahren Schatz dahinter in vollem Umfang genossen.
Die Reize der wie vom Himmel hereingeschneiten Tänzerin, noch dazu einer feurigen Spanierin, hatten Ludwig überwältigt. Lola Montez musste - kein Zweifel! - in München tanzen - für ihn und alle, die wie er eine Ader für Tanzkunst besaßen. Mit dieser königlichen Zusage hatte sie den Zweck ihrer Privataudienz erreicht - vorerst wenigstens. Vielleicht würde sich daraus ja noch mehr ergeben, ihr waren schon viele andere Männer ins Garn gegangen.
Aber auch der Bayernkönig durfte mit dem Ergebnis des Besuchs an diesem späten Vormittag hochzufrieden sein, hatte ihn doch Amors Pfeil getroffen - mitten hinein in sein sechzigjähriges Herz.
„Ich kann mich mit dem Vesuv vergleichen, der für immer erloschen galt, bis er plötzlich wieder ausbrach“, wie er wenig später, als er noch stärker vom Bann seiner „Südländerin“ gefesselt war, seinem guten alten Freund, Freiherrn von der Tann, seine Gemütslage beschrieb. „Ich glaubte, ich könnte nicht mehr der Liebe Leidenschaften fühlen, hielt mein Herz für ausgebrannt. Aber nicht ein Mann mit vierzig Jahren, wie ein Jüngling von zwanzig, ja, comme un amoureux des quinze ans erfasste mich Leidenschaft wie nie zuvor. Esslust und Schlaf verlor ich zum Teil, fiebrig heiß wallte mein Blut. In des Himmels Höhen hob es mich, meine Gedanken wurden reiner, ich wurde besser. Ich war glücklich, ich bin glücklich. Einen neuen Schwung hat mein Leben bekommen, jung bin ich wieder geworden, freudig sieht mich die Welt an.“
Sah ihn die Welt wirklich so freudig an - oder bildete er es sich nur ein, weil er es gern so sehen wollte?
Drei Tage zuvor war Lola Montez mit ihrem Schoßhund Zampa in München eingetroffen und, wie es sich für eine Dame und Künstlerin ihrer Klasse geziemte, im Bayerischen Hof abgestiegen. Statt bei dem milden Herbstwetter einen Stadtbummel zu machen und sich unter die frohgestimmten Besucher zu mischen, die alljährlich um diese Zeit auf der Theresienwiese eine Woche lang das Oktoberfest feierten anlässlich der Hochzeit des Königspaares Ludwig und Therese vor sechsunddreißig Jahren, hatte sie beim Intendanten des Hoftheaters vorgesprochen. Ihre Bemühung um ein Gastengagement war nach diesem Besuch in der Schwebe geblieben, denn Freiherr von Frays wagte nicht, selbst darüber zu entscheiden, da der König sich vorbehalten hatte, über Gastspiele von Künstlern gefragt zu werden, die mehr als die übliche Gage forderten, und da die spanische Tänzerin tüchtig hinlangen wollte, erhielt sie, nicht wie gewünscht, eine sofortige Antwort. Überdies war ihr zu Ohren gekommen, dass Frays nicht gerade als Freund durchreisender Mimen oder Tänzer galt.
Was also sollte sie tun, um ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen? Der Zufall wollte es, dass sie im Hotel einen Bayern traf, den sie von Paris her gut kannte: Heinrich von Maltzahn, einen begehrten Belami, der, obwohl erst fünfunddreißigjährig, bereits drei Ehen hinter sich gebracht und es dabei jedes Mal über alle gebührende Trauer hinweg geschafft hatte, den Gipfel des ehelichen Zweckbündnisses zu erklimmen, nämlich aus allen Verbindungen erotischer Freuden als Witwer mit einem Sack voll Geld hervorzugehen, was ihm, dem Hans im Glück, ermöglichte, frei von allen materiellen Sorgen, seine beiden Wohnsitze in Baden-Baden und Paris aufzuschlagen, fern den strengeren Lebensregeln seiner bayerischen Heimat. In diesen Tagen gab er sozusagen nur eines seiner seltenen Gastspiele in München, um seinen älteren Sohn an der Universität einzuschreiben. Mit ihrem weiblichen Instinkt erkannte Lola in dem lebenslustigen Baron ihren Steigbügelhalter, denn Maltzahn sonnte sich, obwohl schon seit Jahren im Ausland, in der Gunst des Königs, der ihm vor langer Zeit das Ehrenamt eines Kammerherrn verliehen hatte. Ein Empfehlungsschreiben von ihm an Ludwig - und der Umweg über den nicht gerade gefügigen Theaterdirektor erübrigte sich.
Inzwischen war Frays aber Maltzahn bereits zuvorgekommen. Denn kaum hatte die spanische Tänzerin bei ihm vorgesprochen, als er dem König auch schon ein Memorandum sandte: „Die vielbekannte spanische Tänzerin Lola Montez ist hier angekommen und hat die Bitte gestellt, in Zwischenakten auf hiesigen Hofbühnen tanzen zu dürfen.“
Ludwig hatte die Mitteilung in dem üblichen Berg von Bittschriften, Berichten und Staatspapieren vorgefunden, die sich allmorgendlich auf seinem Schreibtisch häuften. Wie immer war er schon mit den Hühnern aufgestanden, vor fünf Uhr, hatte sein Morgengebet verrichtet, den einfachen grünen Hausmantel angezogen, den er schon seit vierzig Jahren trug, und sich über die Unmenge der Schriftstücke hergemacht, die er sorgfältig abzuarbeiten und mit Randbemerkungen zu versehen pflegte. Was gab es da nicht alles zu regeln und zu entscheiden: von der bayerischen Obstbaumzucht bis zur Ernennung der Staatsdiener, ob Minister oder Mesmer einer Dorfpfarrei; vom Verfassen von Inschriften für Denkmäler bis zur Drucklegung des Vorlesungskatalogs der Universität; vom Sammeln von Gemälden, Plastiken und Altertümern bis zu den Bauplänen der öffentlichen Gebäude einschließlich der Schilderhäuschen für die Wachposten; von den Aufgaben des Badekommissars in Bad Kissingen bis zum Schneiden der Zehennägel bei den Soldaten Seiner Majestät. Von einer regelrechten Bauwut besessen und angeregt durch seine zahlreichen Reisen in den Süden, erweiterte er die königliche Residenz und ließ die nördlich angrenzende Straße zu einem kilometerlangen, breiten Prachtboulevard, der Ludwigstraße, ausgestalten, die schließlich von der großen Generälen gewidmeten Feldherrnhalle bis zum klassischen Siegestor reichte. Seine Lampe, so rühmte er sich stolz, sei die erste, die jeden Morgen in München angezündet werde.
Der erste Satz von Oberst Freiherr von Frays hatte Ludwigs Herz höher schlagen lassen: eine spanische Tänzerin, eine heißblütige Vertreterin aus dem Land voller Poesie, Gitarrenserenaden und Kastagnettenklang! Seine romantischen Träume, diesen Garten Eden zu bereisen, die Alhambra in ihrer ganzen Pracht zu schauen, die Heimat von Cervantes und Calderón, Sehnsüchte, die ihn schon als Kronprinz umgetrieben, waren unerfüllt geblieben. Und jetzt bat eine leibhaftige Spanierin um einen Auftritt in seinem königlichen Hoftheater, eine Frau, mit der er - wenn es sich so ergeben würde, und das würde es wohl ganz sicher - endlich einmal spanisch plaudern könnte, denn in ganz München gab es niemanden, dessen Muttersprache Spanisch war.
Ernüchterung machte sich jedoch breit, als er das Memorandum des Theaterdirektors über die Bitte der spanischen Tänzerin weiterlas: „Sie beansprucht pro Abend entweder die Hälfte des Einkommens oder fünfzig Louisdor als Honorar. Da sich bei einem derartigen Gastspiel einerseits kein Vorteil für die Kasse absehen lässt, andererseits aber besagte Tänzerin an mehreren Orten schon, wo sie gastierte, wegen ihres Betragens derart öffentlichen Anstoß erregte, dass polizeiliche Einschreitung notwendig wurde, so bittet der treugehorsamste und ergebene Diener Euer Königlichen Majestät um eine allergnädigste Entscheidung.“
¡Caramba! Sie scheint ja ihren Stolz zu haben, die Spanierin, dachte Ludwig, als er nochmals einen Blick auf ihre Honorarforderung warf, aber was zu viel ist, ist zu viel. Zwar liebte er das Theater, aber auch die Sparsamkeit, der unter anderem das italienische Opernensemble, das sein Vater unterhalten hatte, zum Opfer gefallen war, wie ebenso die Gastspiele hochbezahlter Künstler, die gewöhnlich die Kasse nicht füllten, kaum Aussicht auf königliche Gnade hatten. Auch nicht bei einer spanischen Tänzerin...? Da müsste doch etwas zu machen sein... oder? Wenn nur nicht die Sache mit dem öffentlichen Anstoß wäre und dem Konflikt mit der Obrigkeit...
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