„Jedenfalls weiß ich schon wie die nächsten Tage und Wochen aussehen werden, es geht ab auf die Piste! Frühling in Deutschland, die Mädels tragen die neue Mode, schicke Pumps und lassen es so richtig krachen, und ich bin dabei“. Torsten wohnte in Kassel, auch das unterschied ihn von den meisten seiner Kameraden, denn Kassel hatte doch zumindest den Hauch einer Großstadt und Probleme mit guten Clubs und Bars gab es nicht. Hier war sein Revier und Torsten hatte genügend Selbstbewusstsein, um zu wissen, dass die nächste Zeit sicherlich spannend werden würde. „Drei Wochen Urlaub, das heißt jeden Morgen ausschlafen und abends ab ins Abenteuer. Allein der Gedanke, einfach aus dem Haus zu gehen, sich frei bewegen zu können und vor nichts und niemand Angst haben zu müssen, ist doch einfach genial, oder?“ Torsten verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und grinste erwartungsvoll vor sich hin. Die letzten Monate waren in Bezug auf Freigang einer Inhaftierung gleichgekommen, nur mit dem Unterschied, dass das Leben hinter Zäunen ihrer eigenen Sicherheit und nicht derer diente, die außerhalb des Lagers lebten. „Ja, genau darum möchte ich ja auch so schnell es geht hinaus in die Natur und einfach durch die Gegend streifen. Joggen im Wald, mit geschlossenen Augen am See liegen oder einfach nur mit dem Fahrrad durch die Gegend strampeln, alles Dinge, die wir unser ganzes bisheriges Leben lang so selbstverständlich hingenommen haben, bekommen ab heute eine ganz neue Bedeutung, das ist doch irre, oder?, Kai schüttelte den Kopf, „ich hätte mir nie vorstellen können, mich jemals über solche Selbstverständlichkeiten freuen zu können, aber jetzt kommt mir die Vorstellung mich frei bewegen zu können, wann immer ich will wie ein Sechser im Lotto vor. Allein wenn wir jetzt bald landen und einfach so aus der Maschine spazieren, unbewaffnet, ohne Schutzweste und ohne dieses verdammte Adrenalin im Hirn, Mann, da fängt das Leben noch mal an.“ Lars hatte der lebhaften Unterhaltung stumm zugehört und sich bei den Ausführungen seiner Freunde seine eigenen Gedanken gemacht. Immer wieder musste er feststellen, dass er Torsten um seine unbeschwerte Lebenseinstellung ein wenig beneidete, denn er selbst war eher pessimistisch veranlagt und oftmals fiel es ihm schwer, Dinge locker anzugehen und auf einen positiven Ausgang zu hoffen. Torsten war auch während des Einsatzes immer der gewesen, der die Gruppe aufmunterte, der Späße machte, wenn es wirklich wenig zu lachen gab und der es einfach verstand, die Kameraden ein wenig abzulenken und neu zu motivieren. Er war keinesfalls oberflächlich, dies zu behaupten wurde seiner Person nicht gerecht, aber er hatte einfach die Art ein Glas immer halb voll und nie halb leer zu sehen. Bewundernswert, dachte Lars, das ist mir nun wirklich nicht in die Wiege gelegt. Darüberhinaus, da war sich Lars sicher, hatte Torsten die letzten Monate einen wirklich guten Job gemacht, allerdings mit dem immensen Vorteil, sich nicht in unmittelbare Gefahr begeben zu müssen. Torsten war Hubschraubermechaniker und hatte mit seinem Team immer dafür gesorgt, dass die Maschinen einsatzbereit und völlig intakt waren. Er stand in engem Kontakt zu den Piloten, musste aber aufgrund seiner Tätigkeit das Lager so gut wie nie verlassen. Ein einziges Mal hatte ein technisches Problem an einer der Maschinen dazu geführt, eine ungeplante Außenlandung vornehmen zu müssen und hier war die Technik gefordert, die Angelegenheit außerhalb des Lagers in Ordnung zu bringen. Die Situation war brenzlig gewesen, denn einen Kampfhubschrauber der ISAF manöverunfähig im Gebiet der Taliban stehen zu haben, ist nun wirklich nicht der Wunsch eines Einsatzkommandos. Torsten und seine Leute hatten die Situation aber gut im Griff und selbst hierbei verlor er nicht den Humor und scherzte noch über die Bewachung der Aktion durch die Bodentruppen. „Mann Leute, sind wir wichtig, wir haben ja mehr Bodyguards als der Präsident von Amerika.“ Nach der Rückkehr ins Lager war allerdings auch ihm die Anspannung unter der er und seine Männer gestanden hatte deutlich anzumerken und er suchte das Gespräch mit Lars „Weißt du nach diesem Erlebnis von heute und obwohl ja Gott sei Dank gar nichts geschehen ist, ist mir erst einmal absolut bewusst geworden, was ihr da draußen für einen Scheißjob habt und wie froh ich sein kann nicht zu fliegen sondern nur zu schrauben. Ich habe euch Flieger, ja ehrlich gesagt, immer um euren Job beneidet, aber jetzt und hier möchte ich wirklich nicht mit euch tauschen. Da steh ich doch lieber Tag für Tag hier in der Halle und sorge dafür, dass eure Vögelchen keinen Schnupfen bekommen.“ Er lachte, und Lars hatte trotz des Lachens das Gefühl, Torsten selten so ernsthaft erlebt zu haben. „Ok, natürlich ist es hier im Lager ruhiger als draußen, aber selbst uns dort oben in der Luft geht es doch noch wesentlich besser als Kai und seinen Leuten, die ständig auf diesen verfluchten Straßen unterwegs sein müssen, wo du nie sicher sein kannst, ob mal wieder so ein ferngesteuerter Selbstmordattentäter auf seinem Moped vorbeirattert oder ob nachts mal wieder Minen unter dem Straßenbelag versteckt wurden. Die Jungs haben wirklich einen Scheißjob und bekommen dafür auch noch weniger Geld als wir. Die Bodentruppen sind natürlich heil froh, dass wir da sind und einige Gefahren von oben früher und besser einschätzen können als sie, letztendlich ein hundertprozentiger Schutz können wir aber nicht sein. Die Gefahr für die Jungs am Boden bleibt am größten. Wir haben immer noch eine ausreichende Distanz zu irgendwelchen geplanten Angriffen und sollten sich diese direkt auf uns richten auch die Chance schneller weg zu sein als die Fahrzeuge am Boden. Insgesamt muss man aber doch immer wieder das Gefüge betrachten. Jeder von uns hier ist wichtig, nur zusammen können wir unseren Auftrag erfüllen, jede Einheit für sich alleine gelassen, kommt nicht zum Ziel. Deshalb habe ich auch absolut etwas gegen die Leute, die ihren Dienst wichtiger nehmen als den anderer, wir gehören alle zusammen und so soll es sein“. Torsten nickte zustimmend und stellte zum wiederholten Male fest, wie gerne er sich mit Lars unterhielt. Im Grunde genommen zwei Männer mit zumindest im privaten Bereich völlig unterschiedlichen Ansätzen, deren Denkweise vor allem in Bezug auf ihr Dienstverständnis aber sehr parallel verlief. So wie Lars Torsten um seine Leichtigkeit beneidete, so bewunderte Torsten die Souveränität des anderen, seine ausgeglichene Art und seine Fähigkeit immer wieder das Gespräch mit den Kameraden zu suchen, ein Gespür für aufkommende Missstimmungen zu haben und durch geschickte Gesprächsführungen immer wieder dazu beizutragen, Streitigkeiten zu vermeiden und Standpunkte zu klären. Lars war ein erfahrener und guter Pilot, einer der sich auf seine Laufbahn vielleicht etwas einbilden konnte, dies aber niemals tat, denn so wie er es eben im Gespräch mit Torsten erläutert hatte, so lebte er auch. Er machte seinen Dienst so gut er konnte, suchte seine engeren Bekannte und Freunde nicht nach Rang und Namen aus und war einfach ein sympathischer Typ. Das einzige was ihm widerstrebte, waren Menschen egal ob im dienstlichen oder privaten Bereich, die Dinge nur halbherzig angingen, die sich mit ständigen Entschuldigungen um Arbeiten herumdrückten oder einfach nicht in die Pötte kamen. Von solchen Menschen distanzierte Lars sich, höflich aber bestimmt. Streit zu suchen war absolut nicht seine Art, sich einer aufkommenden kriseligen Situation nicht zu stellen aber eben so wenig. Dieses Gesamtbild führte dazu, dass Lars sowohl bei Vorgesetzten als auch bei Untergebenen (wobei dies ein Begriff war, den er selbst nie benutzte) sehr beliebt war und man ihn schon wiederholt zur Vertrauensperson gewählt hatte. „Lagermutti“ war sein aktueller Spitzname, mit dem er aber gut leben konnte. In dieser Funktion hatte er auch mehrere Gespräche mit Kai geführt, der im Laufe des Auslandseinsatzes in eine schwere persönliche Krise gestürzt war.
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