"Die ganz besonders", erwiderte Markus und merkte bereits als er die Worte aussprach, dass er das Falsche gesagt hatte.
Karlas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Kurz musterte sie ihr Gegenüber, dann stand sie abrupt auf.
"Es war nett, dich kennen gelernt zu haben. Nun muss ich weiter arbeiten. Du hast mich schon zu lange aufgehalten."
"Aber..." Sprachlos sah Markus ihr hinterher bis er sich besann und Karla folgte.
Mit seinen unbedachten Worten hatte er alles zunichte gemacht. Sein Vater würde toben und die anderen ihn mit mitleidigen Blicken bedenken. Er konnte so was einfach nicht. Besaß nicht die Abgebrühtheit andere zu belügen ohne mit der Wimper zu zucken oder sich plausible Erklärungen auszudenken, die ihm jeder abnahm. Dazu war er einfach nicht geschaffen. Aber dieses eine Mal nur wollte er nicht versagen. Es war ihm egal, ob sein Vater auf ihn stolz war, Hauptsache, es würde ihm die Gelegenheit bieten, nicht mehr gezwungen zu sein an den Treffen teilzunehmen. Ihn interessierte kein Schatz, bei dem man nicht einmal wusste, um was es sich handelte.
Nun scheitern, wo er schon so weit vorangekommen war? So leicht würde er sich dieses Mal nicht unterkriegen lassen. Außerdem war Karla ganz sympathisch gewesen.
"Hey, Karla! Warte!", rief er hinter ihr her und stürzte los. Wie nur sollte er ihren Verdacht zerstreuen, der durchaus berechtigt war?
Schnell hatte er sie eingeholt und verstellte ihr nun auf der Treppe den Weg.
"Lass mich durch!", zischte die Wissenschaftsjournalistin. "Lass mich durch oder ich schreie."
"Hör mich erst einmal an, bevor du mich verurteilst."
Markus wusste selbst nicht, woher er den ganzen Mut nahm, sich nicht einschüchtern zu lassen. "Ich weiß zwar nicht, was ich Falsches gesagt habe. Aber wenn ich dich irgendwie unbewusst beleidigt habe, tut es mir leid."
Markus war schlau genug nicht sein genanntes Thema zu verteidigen, das Karlas Misstrauen nur verstärkt hätte.
Karlas Gesichtszüge entspannten sich. Vielleicht hatte sie tatsächlich überreagiert und Markus grundlos verdächtigt. Viele Publikationen waren zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht erschienen. Warum sollte es außergewöhnlich sein, wenn sich jemand mit dem Alltag des einfachen Volkes unter Napoleons Herrschaft beschäftigte? Isis hatte sie mit all ihren Warnungen völlig paranoid gemacht. Markus wirkte nun wirklich nicht wie jemand, der auf sie angesetzt worden war. Dafür stellte er sich viel zu plump an. Sie kannte die Männer und konnte zwischen einer plumpen Anmache und wirklichem Interesse unterscheiden. Ganz im Gegensatz zu Mona, die schon auf mehr Typen reingefallen war, als man an einer Hand aufzählen konnte.
"Du interessierst dich also für Tagebücher und Berichte von Menschen, die die Schlacht hautnah miterlebt haben?"
Seine Aufmerksamkeit war geschärft. Jetzt hieß es aufpassen, was er sagte.
"Nur die Zivilbevölkerung. Pfarrer, Lehrer, einfach quer durch die Schichten der Gesellschaft, die des Schreibens mächtig waren. Das Schlachtgeschehen selbst interessiert mich nicht, auch wenn ich diese Berichte natürlich auch durchsehe. Allerdings finde ich diese nur wichtig, wenn die Soldaten in Städten oder Dörfern untergebracht waren und wie der Umgang der Zivilbevölkerung war."
Er hoffte, die richtige Erklärung gefunden zu haben, die Karlas Bedenken zerstreuen würde.
Schweigend musterte die Wissenschaftsjournalistin Markus.
Sollte sie ihm glauben? Konnte sie ihm glauben? In ihrem Hinterkopf schrillte noch immer die Alarmglocke und die warnenden Worte ihrer Freundin Isis hallten ihr den Ohren wieder. Doch wurden sie beständig leiser und verhallten. Isis sah überall Gespenster, aber Markus gehörte garantiert nicht zu denen, die hinter ihr und den Tagebuchseiten her waren. Ein gesundes Misstrauen war von nutzen, aber man durfte es damit keinesfalls übertreiben.
"Also gut, ich arbeite das Buch gleich durch und wenn ich damit fertig bin, kannst du es haben. Einverstanden?"
Karla hatte ihm nicht gesagt, ob sie heute noch mit den Tagebuchausschnitten fertig werden könnte. Es konnte genauso gut morgen oder übermorgen mit dieser unverbindlichen Aussage gemeint sein. Dennoch wusste sie, dass sie ihn nicht so lange warten lassen würde.
Hamburg-Lokstedt
Isis bog auf die Julius-Vosseler-Straße ein, als ihr zwei Männer entgegen kamen. Augenblicklich machte sich ein Unbehagen in ihr breit. Sie konnte nicht sagen warum, aber diese zwei Männer schienen nichts Gutes im Schilde zu führen. Unauffällig warf sie einen Blick zur Ampel, die leider rot für Fußgänger zeigte.
Sollte sie umkehren und den Weg zurücklaufen, den sie gekommen war? Keine gute Idee, beschloss die Archäologin. Der Weg war viel zu einsam. Auf der großen Hauptstraße hatte sie eher eine Chance, dass jemand auf sie aufmerksam würde. Falls sich jemand die Mühe machte, dem Fußgängerweg größere Aufmerksamkeit zu schenken.
Isis seufzte innerlich. Es half alles nichts. Sie musste an den beiden Männern vorbei.
Links vorbei, rechts vorbei oder durch die Mitte? Für einen kurzen Moment zögerte Isis, dann lief sie los, direkt auf die Männer zu. Die verständigten sich mit Blicken. Es war eine Falle.
Kurz bevor sie mit ihnen zusammenstieß, schlug sie einen Haken und rannte links an der Straßenseite an den Männern vorbei. Dann beschleunigte sie ihren Schritt, wobei ihr schwerer Rucksack sie behinderte. Sie hörte das Schreien der beiden Männer, verstand allerdings kein Wort. In ihren Ohren rauschte es, dennoch vernahm sie deutlich die schweren Schritte ihrer Verfolger.
Isis war eine exzellente Sprinterin, die zu Schulzeiten bei Jugend trainiert für Olympia teilgenommen hatte. Von ihrer Schnelligkeit hatte sie in all den Jahren nichts verloren. Nur eines hatte sich bis heute nicht geändert. Isis war keine Langstreckenläuferin. Obwohl sie mit dem Joggen begonnen hatte und inzwischen deutlich längere Strecken als früher laufen konnte, reichte die Länge der Strecke immer noch nicht aus.
Sie merkte, wie bei jedem weiteren Atemzug ihre Lunge zu brennen begann. Die Beine hatten noch genügend Kraft, doch die Luft wurde ihr knapp.
Nur noch bis zur nächsten Laterne, ging es ihr durch den Kopf.
Isis konzentrierte sich auf ihr Ziel, wusste, dass sie es nicht erreichen würde.
Der Atem ihrer Verfolger kam dicht an ihr Ohr. Die Archäologin wagte nicht sich umzudrehen, um keinen wertvollen Zentimeter Vorsprung zu verlieren. Sie spürte das Keuchen im Nacken und wusste, dass sie verloren hatte, wenn nicht augenblicklich ein Wunder geschah.
Noch einmal zog sie das Tempo an. Es reichte nicht mehr. Isis spürte einen schmerzhaften Griff an ihrem linken Arm und wurde zurückgerissen. Nun hielt man auch ihren recht Arm. Die Archäologin versuchte, die beiden abzuschütteln, es gelang ihr nicht.
"Lasst mich los!", schrie sie zornig.
"Wo wir dich gerade erst haben", bekam sie zu hören. "Wollen wir nicht so sein. Gib uns, was wir haben wollen und du bist uns los."
"Was sollte das sein?", fragte die Archäologin und gab sich alle Mühe, keine Furcht aus ihrer Stimme durchklingen zu lassen. Mit der Frage spielte sie auf Zeit, wollte ergründen, mit was für Gegnern sie zu tun hatte. Verstanden sie sich auf ihr Handwerk oder waren sie nervös und mit der Situation überfordert? Ein nervöser Gegner war schlimmer als einer, der genau wusste, was er tat.
"Wo ist die Karte?", kam eine Frage, mit der Isis am allerwenigsten gerechnet hätte. Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, was die zwei mit der alten russischen Karte wollten, antwortete sie völlig unverbindlich.
"Was für eine Karte?" Im dumm stellen war sie gut, auch wenn es sie in der gegenwärtigen Situation erhebliche Überwindung kostete. "Eine Postkarte? Eine Landkarte vielleicht? Es gibt viele Sorten Karten."
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