„O natürlich — ich verstehe: Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee“, bemerkte ich, mich an meinen Nachbar wendend.
Das war schlimmer als alles Vorhergehende! Der junge Mann wurde puterrot und ballte die Fäuste mit allen Anzeichen eines beabsichtigten Angriffs. Aber schließlich schien er sich zu fassen und unterdrückte den Sturm mit einem auf mich gemünzten Fluch, den ich zu überhören suchte.
„Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen“, bemerkte mein Wirt; „keiner von uns hat den Vorzug, der Gefährte Ihrer guten Fee zu sein; ihr Mann ist tot. Ich sagte, daß sie meine Schwiegertochter sei, daher muß sie meinen Sohn geheiratet haben.“
„Und dieser junge Mann ist…“
„Ganz gewiß nicht mein Sohn!“ Heathcliff lächelte wieder, als ob es ein allzu kühner Scherz sei, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.
„Mein Name ist Hareton Earnshaw“, knurrte der andere, „und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!“
„Ich habe es nicht daran fehlen lassen“, entgegnete ich, innerlich über die Würde lachend, mit der er sich vorstellte.
Er starrte mich an, länger, als ich den Blick aushalten konnte, aus Furcht vor der Versuchung, ihm entweder eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Ich fühlte mich in diesem angenehmen Familienkreise durchaus fehl am Platze. Die düstere seelische Atmosphäre überwog die warme äußere Behaglichkeit um mich her, und ich beschloss, mich auf keinen Fall ein drittes Mal unter dieses Dach zu begeben. Die Mahlzeit war beendet, und da niemand zu geselliger Unterhaltung Neigung zeigte, ging ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick: die Nacht war vorzeitig hereingebrochen, der Himmel und die Berge schwammen in dem heftigen Wirbel des Windes und des alles begrabenden Schnees.
„Jetzt glaube ich selbst, daß ich ohne Führer nicht nach Hause zurückfände“, entfuhr es mir unwillkürlich, „die Straßen werden bereits verschneit sein, und selbst wenn sie es nicht wären, könnte ich sie kaum einen Schritt weit erkennen.“
„Hareton, treibe die zwölf Schafe in die Scheune! Sie werden einschneien, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege auch eine Planke vor!“ sagte Heathcliff.
„Was soll ich nur tun?“ fragte ich mit aufsteigendem Ärger. Es kam keine Antwort auf meine Frage. Als ich mich umblickte, sah ich nur Joseph, der einen Eimer mit Grütze für die Hunde hereinbrachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Schwefelhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims heruntergefallen war, als sie die Teedosen an ihren Platz zurückgestellt hatte.
Als er seine Last abgesetzt hatte, unterzog Joseph das Zimmer einer kritischen Prüfung und stieß in krächzendem Tone hervor: „Möcht wissen, was das für ’ne Mode is, müßig dazustehen und zu gucken, wie alle auslöschen! Aber Sie sind zu nix nutze, und ’s hat kein Zweck, drüber zu reden. Sie wem Ihre schlechten Gewohnheiten nie lassen. Gehn Sie zum Teufel wie Ihre Mutter!“
Ich glaubte einen Augenblick lang, daß diese Rede an mich gerichtet sei, und ging, zur Genüge erbost, auf den alten Kerl zu mit der Absicht, ihn zur Tür hinauszuwerfen. Mrs. Heathcliff jedoch hinderte mich daran durch ihre Antwort.
„Du schändlicher alter Heuchler!“ schrie sie. „Hast du nicht jedesmal Angst, daß dich der Teufel bei lebendigem Leibe holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Ich warne dich davor, mich zu reizen, sonst werde ich als ganz besondere Gunst darum bitten, daß er dich holt. Halt! Sieh her, Joseph“, fuhr sie fort und nahm ein großes, dunkles Buch von einem Brett, „ich werde dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst fortgeschritten bin: ich bin bald so weit, daß ich das Haus säubern kann. Die rote Kuh ist nicht durch Zufall eingegangen, und dein Rheumatismus kann auch nicht gerade zu den glücklichen Heimsuchungen gerechnet werden!“
„Du schlechtes, schlechtes…!“ keuchte der Alte. „Der Herr erlöse uns von dem Übel!“
„Nein, Verworfener! Du bist ein Auswurf! Scher dich weg, oder ich tu dir etwas Schlimmes an! Ich werde euch alle in Wachs und Ton modellieren lassen, und der erste, der die Grenze überschreitet, die ich setze, wird… ich werde nicht sagen, was mit ihm geschehen wird, aber du wirst schon sehen! Geh, ich habe ein Auge auf dich!“
Die kleine Hexe legte einen Ausdruck gespielter Bosheit in ihre schönen Augen, und Joseph, in ehrlichem Entsetzen zitternd, eilte hinaus und betete dabei und stieß das Wort ›schlecht‹ hervor. Ich glaubte, ihr Benehmen sei nur der Ausdruck einer derben Spottlust, und als wir wieder allein waren, bemühte ich mich, sie für meinen Kummer zu interessieren. „Mrs. Heathcliff“, sagte ich ernst, „Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie belästige. Ich wage es, weil ich sicher bin, daß Sie, mit solchem Gesicht, gar nicht anders als gütig sein können. Geben Sie mir einen Wink, wie ich den Weg nach Hause finden kann. Ich weiß ebenso wenig, wie ich heimkommen soll, wie Sie den Weg nach London fänden!“
„Gehen Sie denselben Weg, den Sie gekommen sind!“ erwiderte sie und machte es sich in einem Stuhl bequem, eine Kerze und ein großes, aufgeschlagenes Buch vor sich. „Es ist ein kurzer Rat, aber der vernünftigste, den ich Ihnen geben kann.“
„Wenn Sie morgen hören, daß man mich im Sumpf oder in einer Grube voll Schnee tot aufgefunden hat, wird dann Ihr Gewissen Ihnen nicht zuraunen, daß Sie einen Teil Schuld daran tragen?“
„Wieso? Ich kann Sie nicht begleiten. Die würden mich nicht einmal bis zur Gartenmauer gehen lassen.“
„ Sie? Wie könnte ich es wagen, Sie zu bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht den Fuß über die Schwelle zu setzen!“ rief ich. „Ich bitte, daß Sie mir den Weg beschreiben, nicht zeigen, oder daß Sie Mr. Heathcliff veranlassen, mir einen Führer zu stellen.“
„Wen? Hier wohnen er selbst, Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen wollen Sie haben?“
„Gibt es keine Burschen auf dem Gut?“
„Nein, das sind alle.“
„Das bedeutet also, daß ich gezwungen bin hierzubleiben.“
„Das müssen Sie mit Ihrem Wirt abmachen. Ich habe nichts damit zu tun.“
„Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, keine übereilten Ausflüge mehr auf diese Höhe zu machen“, rief Heathcliffs scharfe Stimme vom Kücheneingang her. „Was Ihr Hierbleiben betrifft — ich bin nicht auf das Unterbringen von Gästen eingerichtet. Sie müssen das Bett mit Hareton teilen oder mit Joseph, wenn Sie das wollen.“
„Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen“, entgegnete ich.
„Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er reich oder arm; es passt mir nicht, daß irgendjemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht bewachen kann“, sagte dieser unverschämte Kerl.
Bei dieser Beleidigung war meine Geduld zu Ende. Ich stieß einen Laut der Wut hervor, drängte mich an ihm vorbei zum Hof und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, daß ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und als ich rundherum ging, erhielt ich eine neue Probe der höflichen Formen, mit denen sie untereinander verkehrten. Zuerst erschien der junge Mann, um mir behilflich zu sein.
„Ich werde mit ihm bis ans Ende des Parkes gehen“, sagte er.
„Du wirst den Teufel tun!“ rief sein Herr oder was er sonst für ihn sein mochte. „Wer soll nach den Pferden sehen, he?“
„Ein Menschenleben ist wichtiger, als einmal die Pferde nicht zu versorgen; jemand muß doch gehen“, sagte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartete.
„Nicht, wenn du es befiehlst“, versetzte Hareton. „Wenn dir an ihm liegt, hieltest du besser den Mund.“
„Dann hoffe ich, daß sein Geist dich verfolgt und daß Mr. Heathcliff nie wieder einen Pächter findet, bis das Gehöft zerfallen ist!“ erwiderte sie scharf.
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