Ein halbes Jahr später fand endlich der Umzug statt. Der Möbelwagen war zwar halbleer geblieben, denn von ihren alten Möbeln nahmen sie nur wenige Stücke mit, aber in den folgenden Tagen kamen häufiger Lieferwagen praktisch aller umliegenden Möbelhäuser, denn das neue Haus wurde mehr oder weniger komplett mit neuen Möbeln ausgestattet.
Die vorangegangenen Umbaumaßnahmen waren umfangreicher und langwieriger, als die Familie es sich ausgemalt hatte. Man war aber auch übereingekommen, den Umbau komplett abzuschließen, bevor der Umzug erfolgen sollte, und das Ergebnis stellte alle zufrieden. Im Keller wurde die Bar herausgeschmissen und stattdessen ein Fitness-Keller eingerichtet. Im dunkleren Nebenraum wurde auf Wunsch der Kinder noch ein Billard und Kicker-Tisch aufgestellt, und eine Minitheke mit Kühlschrank eingerichtet. Der Pranger, der sich dort noch befunden hatte, wurde ausgebaut. Als der Handwerker hörte, dass der entsorgt werden sollte, bot er freundlicherweise an, ihn im Internet zu versteigern. „Das Ding ist bestimmt viel wert. Da kriegen Sie noch etwas für,“ hatte er gemeint. So wurde das gute Stück fotografiert – das hat der Mann gleich erledigt, und dann erst einmal in dem Geräteschuppen hinter der Garage eingelagert.
Der Erzähler muss die Leser an dieser Stelle etwas enttäuschen, jedenfalls diejenigen, die jetzt sofort auf geile Spielchen mit dem Teil hoffen. Das Ding wurde tatsächlich eingelagert und zunächst vergessen, denn der freundliche Handwerker meldete sich nicht wieder. Vielleicht hatte er sich in Wahrheit nur einen Spaß gemacht, vielleicht aber meldete sich auch niemand auf die Anzeige, selbst ich als Erzähler kann da nichts Näheres zu sagen. Die Schroffensteins jedenfalls haben sich dann auch keine weiteren Gedanken dazu gemacht. Ich, als allwissender Erzähler, könnte den Grund natürlich wissen, aber vergessen wir das jetzt auch einfach einmal. Das Teil spielt später noch einmal eine entscheidende Rolle, warten wir das einfach ab…
Nach nur wenigen Tagen im neuen Haus, die Schroffensteins waren noch längst nicht komplett eingerichtet, kam Helene zu dem Schluß, dass sie es allein gar nicht putzen kann, weil es viel zu groß ist. Tobias schlug vor, eine Firma zu beauftragen, so wie man auch eine Gartenbaufirma mit der Pflege des Gartens beauftragt hatte.
Gesagt getan. Helene heuerte eine Firma an. Und war nach zwei Wochen unzufrieden und kündigte wieder. Dann kam eine andere Firma. Auch mit der war sie nicht zufrieden.
„Tobias,“ meinte sie eines abends, „wenn so eine Firma kommt, dann sind immer fremde Leute im Haus. Das mag ich nicht. Ich muss immer aufpassen, was diese Person macht.“ „Warum?“ meinte Tobias, „in meiner Firma kommt eine Putzfrau, die hat sogar einen Schlüssel, weil die abends spät oder morgens früh kommt, jedenfalls außerhalb der Bürozeiten. Wir verlassen uns auf die Firma, die das Personal schickt. Die suchen das Personal auch entsprechend aus.“
„Aber im Büro ist es was anderes. Kommt da auch jedes Mal jemand neues?“ „Nein. Das wechselt nicht so oft. Meistens kommt eine mit Kopftuch, aber vor nicht allzu langer Zeit war auch eine jüngere Deutsche da. Die habe ich zufällig getroffen, weil ich noch länger im Büro war für den Jahresabschluss. Ich hatte sie gefragt, seit wann sie bei uns putzt, sie hatte geantwortet, die ganze Woche schon und da habe ich ihr gesagt, dass ich mich beschweren werde, weil die Herrentoilette nicht sauber war.“
„Du meinst die Türkin war zuverlässiger?“
„Ja. Ich hab’s dem Karim gesagt, dem Chef der Putzteufel. Du kennst ihn vielleicht. Der hat sich diese Dienstleistungsfirma aufgebaut, ist ein fleißiger Kerl, fährt seine Putztrupps noch selbst in den Einsatz, wenn es mal eng ist. Der meinte, die Deutsche täte ihm leid, denn sie braucht den Job, weil sie nichts gelernt hat. Sie sei guten Willens, aber zu undiszipliniert. Hat auch zuviel mit dem Handy gespielt, statt zu arbeiten. Bei der Herrentoilette hatte die mir doch tatsächlich geantwortet, sie habe nicht gewusst, dass sie die auch reinigen soll, sie hätte immer nur die Damentoilette gereinigt.“
Helene meinte, wenn sie sich es recht überlege, wäre ihr eine feste Hausangestellte lieber, eine die bei ihnen wohnt und sozusagen zur Familie gehört und die auch immer verfügbar ist. „Die könnte dann auch beim Kochen helfen und die Kinder mal abholen. Was meinst Du?“
Das war für Tobias ein ganz neuer Gedanke. „Eine eigene Haushälterin? Das wird ja immer vornehmer bei uns.“ Aber trotz des leichten Spotts brachte er am nächsten Tag die Visitenkarte der Firma Karims, der Putzteufel, mit. „Wir rufen da jetzt beide an, letzten Endes musst Du ja entscheiden, was Du willst, aber ich kenne den Karim ganz gut.“
So riefen sie an, fragten, ob er auch Haushälterinnen vermittelt. Aber Karim verneinte: „So etwas habe ich nicht. Was meinen Sie denn genau, eine Pflegekraft aus Osteuropa? Da kenn’ ich jemanden, der das vermittelt.“
„Nein, eine richtige Haushaltshilfe, zum Putzen, Kochen, Wäsche machen und so weiter. Die mir einfach zur Hand geht, aber auch eigenständig arbeitet.“ Mehr als die Empfehlung, es im Internet oder über das Arbeitsamt zu versuchen, hatte Karim aber nicht anzubieten.
Die nächsten Tage recherchierte Helene im Internet, führte ein paar Telefonate und erkundigte sich beim Arbeitsamt. Mit der Geschäftsführerin einer Vermittlungsagentur für exklusives Hauspersonal führte sie zwei längere Gespräche. Das war, was sie wollte: Eine Dienerin, die perfekt Tische eindecken kann und dekorieren, die Zimmermädchen, Köchin und anderes Personal anleiten kann und die eine Fachausbildung mit Auszeichnung bestanden hat.
Als sie Tobias davon erzählte, lachte er. „Was denn für Personal, was für eine Köchin? Vielleicht willst Du auch noch einen Chauffeur? Vielleicht müssen wir auch darüber reden, wie viel Geld Du für Dein Personal ausgeben willst?“
Helene war etwas irritiert. Es war beinahe so, als hätte Tobias sie ausgelacht. Aber im Grunde hatte er natürlich recht: sie waren trotz allem keine Rockefellers. Nach dem Gehalt einer Dienerin hatte sie überhaupt nicht gefragt. Die Antwort fand sie auf der Homepage: ein Monatslohn „ab 4.500 Euro“ stand da. Das war weit mehr, als sie selbst jemals verdient hatte. Es musste eine andere Lösung her, eine die billiger war.
Also versuchte sie es nochmals über das Arbeitsamt. Der Berater dort gab den Tip, nicht nur nach einer Haushälterin zu suchen, sondern auch die Profile von Reinigungskräften und Ungelernten anzusehen, denn eine Haushälterin, die im Haus wohnen soll, sei eine eher seltene Anfrage, und es komme dabei wohl auch sehr auf persönliche Sympathie an.
Helene beherzigte den Rat. Sie hatte gleich eine Reihe möglicher Bewerber ausgemacht und war entschlossen, nun diese Personen kennenzulernen, um zu sehen, ob sich nicht etwas daraus ergibt.
Ein Profil hatte sie zur Seite gelegt: Das war eine Deutsche, 23 Jahre, ungelernt, Schulabbrecher, zuletzt 4 Monate bei einer Reinigungsfirma beschäftigt. Sie suchte „bundesweit“. Irgendwie hatte sie den Verdacht, dass das genau jene Frau sein könnte, die keine Herrentoilette putzen wollte.
Mit zwei anderen Frauen vereinbarte sie Vorstellungsgespräche. Mit der ersten verabredete sie sich in einem Hotel – irgendwie wollte sie nicht, dass diese Person schon gleich die Villa sieht. Das Gespräch verlief freundlich, aber schon nach kurzer Zeit war Helene klar: Diese Frau kam nicht in Frage. Sie war relativ hübsch, mit viel Busen (darin sah sie eine gewisse Bedrohung), vor allem aber schien sie sehr eigene Vorstellungen von den Aufgaben einer Haushaltshilfe zu haben. Die zweite Person, die sie schon am folgenden Tag traf, war nicht nur weniger anmutig, sondern auch etwas ungepflegt. Das ging nun gar nicht – obwohl sie scheinbar mehr vom Fach verstand.
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