Oft hörte Lisa Basti sagen, dass Sex nicht alles sei, dass Liebe über dem Sex stehe, dass moderne Menschen nicht Sex wie Tiere haben müssten, dass zivilisierte Menschen ihre Impulse in Schach halten können müssten, und dass nur Männer, die nichts in der Gesellschaft leisteten, sich sehr mit Sex vergnügten. Das wäre dann ihre Art, ihr Versagen zu kompensieren. So versuchte er Lisa zu überzeugen, dass alles normal war.
Wenn es mal zum Sex kam, kümmerte er sich wenig um Lisa. Es war ihm egal, ob Lisa zufrieden war und nach nicht einmal einer Minute sagte er dann: „Oh, das war schön, es geht uns doch gut. Ich bin froh, so eine Familie zu haben.“ Er hatte seinen Orgasmus bekommen. In solchen Fällen hörte Lisa immer zu und sagte nur: „Basti, tu, was für dich gut ist. Ich komme schon gut zurecht.“
Sie dachte wirklich, dass es so normal wäre. Sie redete mit vielen Frauen und die meisten sagten das gleiche, und mit der Zeit dachte auch sie, dass es normal wäre, dass der Sex nach einigen Jahren unterging. Aber sie hatte sich trotzdem immer scheiße gefühlt und sich doch innerlich beklagt. „Es kann doch nicht sein, dass ich mir mit 29 sage, Sex ist nicht mehr wichtig. Was werde ich dann mit 50 sagen?“ Eine innere Stimme sagte ihr, dass das nicht normal war, dass sie das nicht einfach so akzeptieren musste, nur weil es überall so war.
Dass Basti kaum familiäre Verantwortung, außer die finanzielle, trug störte Lisas Eltern mehr als Lisa selbst. Sie kam damit ganz gut zurecht. Hatte ihr Hobby, ihre Freundinnen, Melanie und nun Wanted.
Alle Gespräche ihrer Eltern in die Richtung blockte Lisa entschieden ab: „Glaubt ihr, ich habe selbst keine Augen, um das zu sehen? Habe ich mich beklagt? Wo ist dann euer Problem damit?“
So ging es seit über 6 Jahren.
Aber an diesem Tag war alles ein bisschen anders. Es schien so, als ob Basti eine Gewissenskur gemacht hatte. Es sollte nun anders sein, anders werden.
Melanie war glücklich, mit ihrem Vater endlich mal richtig zu spielen. „Warte mal, Papa, ich zeige dir, wie Wanted das macht. Schau mal, Wanted sagt das, Wanted macht dies, Wanted macht das so, Papa, Papa, warum machst du das nicht wie Wanted, usw.“ So ging es die ganze Zeit. Basti schämte sich. Er sah, wie Wanted, nur weil er sich Zeit für sie nahm und sie öfter miteinander spielten, großen Einfluss auf das Kind hatte. Er schämte sich, dass er das kaum für seine Tochter getan hatte.
Basti tat so, als ob er den Namen Wanted nicht hörte, und machte alles, was seine Tochter ihm sagte. Ja, langsam bemerkte er, was er alles versäumt hatte. Aber das war nicht der Tag um sauer oder frustriert zu sein oder sich Vorwürfe zu machen. Heute ist mein Tag, egal, was passiert, dachte er und zwang sich, glücklich zu sein.
Gegen 18 Uhr war das Abendessen fertig, und Lisa rief laut: „Essen ist fertig!“
Die beiden rannten hinein und Basti ging zu Lisa, hielt sie um die Hüfte, beugte sich auf ihre Schultern und sagte: „Mein Schatz, was hast du uns so gezaubert? Es riecht so gut, humm, ich habe wirklich Hunger.“
Man merkte, dass er alles versuchte, um sie wieder zurückzukommen.
Mit einer kleinen Bewegung entfernte sich Lisa aus seiner Umklammerung; billige Schmeichelei, sagte sie sich.
Nach dem Essen bestand Basti darauf, die Tochter selbst ins Bett zu bringen.
Aber nach nur fünf Minuten rief Melanie nach Lisa.
Lisa lief schnell in Melanies Zimmer, kniete sich auf den Boden neben dem Bett und streichelte ihr die Haare. Basti saß am Bett neben Melanie mit einem Buch in der Hand.
„Mama, ich möchte, dass du mir diese Geschichte von Wanted erzählst!“
„Welche, meine Liebe?“, fragte Lisa. „Wanted hat uns so viele Geschichten erzählt.“
„Ja, Mama, ich möchte die Geschichte von dem kleinen Affen, der ein Stück Fleisch aus der Hand eines Kindes geklaut hat, hören.“
„Oh, Schnuckiputzi, ja, die Geschichte gefällt mir auch. Okay, ich fange an: Es war einmal ein kleiner Affe, der…“
„Nein, Mama, ich möchte doch die andere Geschichte von Koffi und dem kleinen Affen“, sagte Melanie.
„Meinst du die lustigen Detektiv-Abenteuer von Koffi, einem dreijährigen Kind mit übernatürlichen Kräften mit seinem neuen Freund Bitacola, dem kleinen Affen, 2 ungleiche Detektive unterwegs in Afrika und in der Welt?“
„Ja, Mama, die ist soooo schön.“
„Okay. Ich erzähle dir die Geschichte des ersten Bandes ‚Koffi sucht einen Freund: Hallo lieber Affe, willst du mein Freund werden?‘“
„Oh ja, Mami, genau das will ich hören. Kannst du auch wie Wanted erzählen?“
„Ich werde es versuchen. Hallo lieber Affe, mein Name ist Koffi, ich suche einen Freund, willst Du mein Freund werden?
Koffi ist ein kleines Kind, ein dreijähriges Kind, nicht wie andere in seinem Alter. Sehr früh, noch im Bauch seiner Mutter, hatte er schon geredet und sich über Sachen gewundert, die er im Bauch gar nicht sehen konnte.
Zum Beispiel beklagte er sich, wenn seine Mutter sich bückte: „Aie, ich war beim Einschlafen und gerade in diesem Moment bückst du dich“, sagte er zu seiner Mutter. Oder: „Leg dich nicht auf den Rücken, sondern auf die Seite, ich verdaue gerade“, oder auch: „Es ist so kalt, warum musst du immer so früh duschen?“, oder auch: „Es ist so warm, warum musst du so spät duschen?“, oder: „Was isst du gerade so? Ich mag was Scharfes essen, sehr scharf. Ich mag keine süße Sachen“, oder: „Seid leiser, ihr redet zu laut, ich möchte mich ausruhen.“ Oder: „Warum hörst du auf zu singen? Das Lied gefällt mir!“
Schon im Bauch seiner Mutter drohte er: „Was macht so viel Lärm? Das stört mich.“, als die großen Trucks voll beladen mit riesigen Holzstämmen mit hoher Geschwindigkeit durch das Dorf fuhren und dabei oft Unfälle verursachten. „Wenn ich geboren bin, verspreche ich dir, Mama, ich werde all das stoppen!“
„Mama, Mama, kannst du das erzählen, das mit dem Brief?“
„ Jeden Morgen vor dem Wasserholen stand er vor dem Haus und sah, wie die Kinder in khakifarbenen oder blauen Kleidern vorbeiliefen. Das erste Mal war das für ihn merkwürdig, er rannte schnell zu seiner Mama und rief:
„ Mama, Mama!“
„ Ja, was ist, Koffi? Warum schreist du so laut?“
„ Mama, warum tragen sie alle die gleichen Kleider?“
„ Das sind Uniformen“, sagt die Mama.
„ Was sind Uniformen, Mama?“
„ Das sind Kleider, die Schüler tragen.“
„ Warum tragen sie das, Mama?“
„ Weil sie Schüler sind.“
„ Was sind Schüler?“
„ Schüler sind Kinder, die zur Schule gehen“, antwortete die Mama.
„ Warum sind sie Schüler?“
„ Weil sie zur Schule gehen.“
„ Warum gehen sie zur Schule?“
„ Weil sie zur Schule gehen müssen.“
„ Was ist dann Schule, Mama?“
„ Dort lernt man lesen und schreiben.“
„ Warum muss man lesen und schreiben lernen, wenn man reden kann, Mama?“
„ Um Sachen zu wissen, und man kann dann Briefe schreiben, Bücher lesen.“
„ Was sind Briefe?“
„ In Briefen erzählen erwachsene Kinder ihrer Mama und ihrem Papa, wie es ihnen geht.“
„ Warum muss man Briefe schreiben, Mama? Wenn ich dir sagen will, wie es mir geht, dann komme ich doch zu dir und rede mit dir.“
„ Ja, aber wenn du groß bist und nicht mehr hier wohnst kannst du an deinen Papa schreiben und ihm alles erzählen, was du so machst.“
„ Nein“, schrie er energisch. „Ich möchte nicht weggehen.“
„ Wenn du groß bist, musst du weggehen, mein Liebling.“
Читать дальше