Karl Schönherr - Caritas

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1905 brachte Schönherr dieses Bändchen mit Erzählungen im Wiener Verlag heraus. Im Gegensatz zu seinen früheren Novellen, die zumeist heiter, gelegentlich sarkastisch waren, war dieser Novellenband zutiefst anklagend und pessimistisch, Es umfasst die folgenden Kurzgeschichten: Gottes Schwiegermutter; Der Fanghund; Fuhrmanns Engele; Henkermahl; Armenleich; Der Schwegler; Der 335er; Kreuzerschinden; Das Malheurkind

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Karl Schönherr

Caritas

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis Titel Karl Schönherr Caritas Erzählungen Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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GOTTES SCHWIEGERMUTTER

DER FANGHUND

FUHRMANNS ENGELE

HENKERMAHL

ARMENLEICH

DER SCHWEGLER

DER 335er

KREUZERSCHINDEN

DAS MALHEURKIND

Impressum neobooks

GOTTES SCHWIEGERMUTTER

Die Mutter hatte Kinder und fühlte sich einsam.

Der Jüngere war jahraus, jahrein auf der Universität, genannt die hohe Studi, und wenn er in den heißen Tagen des Hochsommers auf Ferien kam, fragten die guten Bekannten immer:

»Alsdann, Herr Schriftgelehrter, wie viel Papier ist denn heuer wieder draufgegangen?«

Im Laufe der Jahre aber lernten sie vernünftiger fragen, indem sie am Papier die erste Silbe verschluckten.

Dann der Ältere, der war gar schon Gesellpriester zuhinterst im Passeiertale und kriegte jeden Samstag einen Gulden und drei Zwanziger bar auf die Hand, Woche für Woche. Ja, der saß in der Wolle und stak im Winter im Schnee. Zum Glück dauert so ein Winter in Passeier nicht ewig, höchstens dreiviertel Jahr.

Und dann wurde eines Tages der große, braune Holzkoffer mit den drei Fächern und dem kunstvollen Vexierschloß vom Dachboden heruntergeholt und sorgsam vollgepackt für eine weite Reise. Nesthockerl, das liebe, lustige, rosige Mädl, ging fort, um niemals wiederzukehren. Gott wollte sie sich weihen. Das hatte ihr der Pater Angelus so herrlich schön ausgemalt. Und nun wollte sie sich vor der bösen Welt verschließen in ein streng versperrtes Frauenkloster. Und noch dazu gar außer Land, weit fort über die Grenze; wahrscheinlich, weil wir in Tirol daheim keine Klöster haben.

Die Mutter weinte bitterlich, da sie wieder ein Kind verlor, aber der Pater Angelus verwies es ihr:

»Mutter, Ihr weint? Wieder eines aufgehoben mit Leib und Seele, für Zeit und Ewigkeit, und braucht sich nicht auf gut Glück herumzuschlagen in der lumpigen, grundverderbten Welt! Auf den Knien danken sollt Ihr, Mutter, für die Gnade. Eure Tochter eine Braut Christi, könnt Ihr das fassen?«

»Wenn sie eine Braut Christi ist«, lächelte die Mutter unter Tränen, »dann wär ja ich eigentlich gar Gottes Schwiegermutter!«

Nun konnte die Mutter ihre Kinder nicht mehr segnen, wie sie es daheim jeden Abend getan. So machte sie allabendlich drei Kreuze in die Luft und sandte sie vom Stubenfenster aus in die Weite; das eine, größte mit einem leisen Seufzer der Universität zu, eines gegen das felsige, windige Passeiertal und das dritte über die Grenze in die Fremde.

Sooft der Mutter etwas glückte und gut ausging, schob sie den Erfolg auf das Kind im fernen Kloster.

Der gottgeweihte Gesellpriester im Passeiertal hätte Grund zur Eifersucht gehabt.

Aber zu verwundern braucht es einen nicht, wenn die Mutter dem Gebete eines jungen, fröhlichen Kindes, das sich dem Herrgott freiwillig zwischen vier Mauern gefangengab, besondere Kraft zuschrieb. »Bin ja Gottes Schwiegermutter geworden! So eine vornehme Verwandtschaft, ja, die spürt man!«

Freilich, wenn sie abends den Kindern die Kreuze nachgesandt hatte und anstatt zu schlafen in der leeren Kammer herumsaß, da mußte sie oft weinen.

»Wenn man halt Kinder hat und fühlt sich so mutterseelenallein!«

Als wieder einmal der Winter kam und der Holzbauer mit seinen kotigen Stiefeln ins Haus tappte, ob Langes oder Kurzgeschnittenes in den Schuppen komme, da herrschte sie ihn an:

»Nichts, kein Langes und kein Kurzes, gar nichts!«

»Soll sie meinetwegen ihr Bettstatt verheizen!« murrte im Gehen der Bauer.

Das tat die Mutter auch. Allgemach wurde das Gerümpel im Hause kurz und klein gehackt. Mit dem Bügelladen kochte sie Kaffee und wärmte mit den alten, zerlatterten Stühlen den Ofen. Die guten Schränke und Kästen verkaufte sie den Nachbarsleuten.

Als auch die ewig raunzende Bettstatt zerlegt und verheizt war, da schlich sich Gottes Schwiegermutter bei Nacht und Nebel aus dem Heimatland fort, über die Grenze.

Auf der langen Fahrt im Nachtzug dachte sich die Mutter aus: Sie werde der Klosterpförtnerin nicht gleich sagen, wer sie sei; ein Besuch aus Tirol sei da und wolle die Schwester Dominika sprechen. Und wenn die dann ins Sprechzimmer kommt und sieht ihre Mutter dastehn, die wird Augen machen.

Als die Mutter in der Station ausstieg, sah sie vor dem Bahnhof einen Wagen stehn; in den stieg sie gleich ein, denn zu Fuß wäre es ihr zu langsam gegangen; und wenn man schon einmal Gottes Schwiegermutter ist, dann will man doch ein bißchen vornehm ins Kloster einfahren.

Nachdem sie zwei-, dreimal den eisernen Glockengriff gezogen hatte, wurde auf den Steinfliesen hinter der Klosterpforte ein Geschlürfe vernehmbar. Die Pförtnerin öffnete das Tor ein wenig und fragte: »Liebe Frau, was wünschen Sie?«

»Bitt, die Schwester Dominika rufen, ein Besuch aus Tirol wär da!« »Ist nicht zu sprechen! Wer tun Sie denn sein?«

Dachte sich die Mutter: »Mit den Klosterleuten kann man schon gar kein Späßchen haben«, und sagte gradewegs heraus:

»Die Mutter bin ich!«

Diese Worte zaubern plötzlich Leben in das welke Mienenspiel der Torwärterin., »Ach du lieber Gott«, seufzte sie auf. »Die Mutter tun Sie sein? Bitt nur einen Augenblick, gleich werd ich’s der ehrwürdigen Mutter Oberin melden!«

Hastig schob sie die Mutter in das Sprechzimmer und trippelte eilig davon. Sie schien froh, so schnell aus der beklemmenden Nähe zu kommen. Die Mutter aber dachte sich:

»Aha, der hab ich jetzt Füß gemacht!«

Und ließ kein Auge mehr vom Sprechgitter. Bald war in dem abgegitterten Raum des Sprechzimmers ein Rauschen vernehmbar, und gleich darauf schob sich die ehrwürdige Gestalt der Oberin mit dem weit ausladenden, blühweißen Kopfschleier ans Sprechgitter vor.

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit, Amen!«

»So? Die Mutter sind Sie, liebe Frau? Nehmen Sie Platz!«

Sie räusperte ein Weilchen, dann fing sie gedrückt an, während ihre Finger verlegen mit dem an der Lende hängenden Rosenkranz spielten:

»Denken Sie, so ein fröhliches Kind, die Schwester Dominika, blühend wie eine Rose, ja; und vor drei Tagen fällt sie beim Frühchor zusammen, ja, und jetzt liegt sie in der Zelle, Fieber über Fieber! Nicht weinen, liebes Mutterl, ja, es wird schon wieder gut werden, wir stehen alle in Gottes Hand, ja; ich hab selber schon zwei Lungenentzündungen durchgemacht, und da schauen Sie mich an!«

Und sie reckte ihre kräftige Gestalt nach allen Richtungen, um die Mutter von der Machtlosigkeit zweier Lungenentzündungen zu überzeugen.

»Mutterl, der Doktor hat auch gute Hoffnung, er ist gerade bei ihr droben.«

Draußen wurden grobe Tritte hörbar. Die Priorin lauschte gegen den Gang hinaus.

»Mir scheint, da kommt er eben zurück!«

Sie verschwand auf einen Augenblick durch die kleine Seitentüre, um gleich darauf wieder mit dem Doktor einzutreten.

»Sie sind also«, begann dieser, »die Mutter von der, na Teufel, wie heißt sie denn gleich«, ein Schnalzer mit dem Daumen kam seinem Gedächtnis zu Hilfe. »Dominika, ja! Na, zum Lachen ist der Fall grad nicht!«

Die Mutter starrte mit ihren graublauen Augen in unsäglicher Angst den Doktor an.

»Papperlapapp!« wehrte der ab. »Ich mein damit gar nichts! Junges Leben vertragt schon einen Puff, nur nicht gleich verzagt! Abwarten, immer abwarten!«

Und summend trollte er sich zur Türe hinaus.

Die Mutter schien sich die längste Weile mit einem schüchternen »Dürft ich nit« oder »Ich möcht recht schön bitten« um irgendein Anliegen herumzudrücken.

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