1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Ich hatte mich in meinem Stuhl herumgeworfen.
Auf der Schwelle stand die merkwürdigste Gestalt, die ich je gesehen hatte. Ein großer Mann, straff wie ein Pfeil trotz der Jahre, die dichte Runzeln unter seinen Augen eingegraben hatten. Der Schnitt des schwarzen Samtrocks betonte seine breiten, eckigen Schultern. Seine Kniehose war aus feinem gelben Damast und seine Strümpfe aus dazu passender Seide. Diamanten glitzerten an den Schnallen seiner Schuhe, an der Uhrkette, an den Fingern und am Knauf seines Galadegens. Ein großer Rubin glühte in den Mechelner Spitzen seiner Brustkrause, die in Falten von seinem Hals herabfiel. Über seinem Arm hing ein Mantel, und unter den Ellbogen klemmte er einen Hut, der nach der letzten Mode gekrempt war.
Doch unauslöschlich haftet mir noch heute sein Gesicht im Gedächtnis. Die Züge waren groß und scharf geschnitten. Die Nase glich einem Schnabel über einem schmallippigen Mund und einem brutalen viereckigen Kinn. Die lebhaften schwarzen Augen waren wie mit gelblichen Funken gesprenkelt. Er hatte sein silbrig-weißes Haar straff zurückgekämmt und mit einem schwarzen Band geknotet und gebunden. Ein Netz von Falten durchfurchte Wangen und Stirn, doch das Fleisch schien so fest und kräftig wie meines. Vorbildliche Erziehung, Vornehmheit und Reichtum – das alles strahlte er aus. Aber daneben spürte man noch nackte Gewalt, den Willen eines Raubtiers und eine unbarmherzige Ichsucht, die keine anderen Interessen außer den eigenen gelten lässt.
Er beantwortete meinen langen, starrenden Blick, indem er sich leicht verbeugte, voll freundlichen Spottes.
„Ihr Sohn, Ormerod?“, fuhr er fort. „Mein Großneffe? Robert heißt er doch, nicht wahr? Jedenfalls haben Sie ihn damals so nach dem gestrengen Master Juggins von London getauft. Nach jenem Herrn, der Ihnen damals geholfen hat, ein neues Leben zu beginnen, nachdem vorher Ihre Laufbahn als Jakobit gescheitert war.“
Langsam richtete sich mein Vater auf.
„Ja, Murray, er ist mein Sohn. Und es ist weder seine Schuld noch meine, dass er auch Ihr Großneffe ist. Und wenn Sie schon auf meine Vergangenheit anspielen und hoffen, dadurch meinen Sohn gegen mich aufzuhetzen – dann muss ich Sie enttäuschen. Er weiß, dass ich mich dazu habe verleiten lassen, den Stuarts zu dienen. Er weiß aber auch, was ich daraus gelernt habe: nämlich dass das Land wichtiger ist als der König.“
Der Mann auf der Schwelle nickte mit dem Kopf.
„Ein ganz interessantes Thema für Sie, nicht wahr? Ich meine, nachdem die Jakobiten Sie aus Frankreich vertrieben hatten und die Hannoveraner aus England. Aber Hut ab, wenn ein Mann dem Pech trotzt – wenigstens philosophisch!“
Er ließ die Tür ins Schloss fallen und schritt hinter mir auf die linke Seite des Tisches zu, wo ein leerer Stuhl stand.
„Ich möchte nicht unhöflich sein“, bemerkte er sanft und gelassen. „Ich sehe nämlich noch einen anderen alten Freund – oder besser gesagt: einen alten Feind. Sie haben sich gut gehalten, Corlaer – genauso gut wie ich, wirklich!“
Peter zerquetschte eine Walnuss zwischen Zeigefinger und Daumen und richtete einen leeren Blick auf Murrays Gesicht.
„Jo“, sagte er.
„Um es gleich vorwegzunehmen“, fuhr Murray fort. „Lassen Sie sich nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen. Ich habe bereits alle Vorkehrungen zu meiner Sicherheit getroffen. Ich weiß nur zu gut, wie gefährlich und schlagfertig Peter ist – trotz seines gutmütigen Mondgesichts. Es wäre doch schade, wenn er sich selbst das Genick bräche – oder…?“
„Jo, jammerschade!“, kicherte der Holländer.
„Ich bluffe nicht“, behauptete Murray. „Aber hoffentlich können wir heute Abend alles friedlich erledigen, ohne dass sich jemand den Schädel einrennt.“
Er warf Mantel und Hut auf einen Stuhl neben dem Feuer und legte seine Hand auf den leeren Sessel zwischen mir und meinem Vater.
„Gestatten Sie?“
Mein Vater, der immer noch aufrecht stand, sprach kein Wort. Dieses Schweigen legte Murray mit einem Achselzucken als Zustimmung aus. Anmutig ließ er sich auf den Sessel nieder und zog aus der Tasche eine goldene mit Brillanten verzierte Schnupftabakdose.
„Sie haben doch nichts dagegen?“, fragte er und ließ den Deckel aufspringen.
Im Kreise herum bot er uns die Dose an. Ein würziger Geruch von Schnupftabak kitzelte meine Nase.
„Ausgezeichnetes Zeug!“, bemerkte er. „Reifer Rappee. Wie bitte…? Ach so… Niemand? Na, dann!“
Er stäubte sich eine Prise in die Nasenlöcher, schnupfte und benutzte dann geziert ein spitzenumrandetes Taschentuch.
Mein Vater lehnte sich über den Tisch. Sein Gesicht war hasserfüllt.
„Es ist also wahr?“
Murray betrachtete ihn einigermaßen überrascht.
„Wahr? Aber, mein teurer Sir, es ist bestimmt Rappee!“
Mein Vater wandte sich Peter und mir zu. „Bisher hatte ich immer noch gehofft, dass ich mich in diesem Mann geirrt und ihm unrecht getan hätte. Aber nun hat er sich durch seine eigenen Worte verraten.“
Behutsam stellte Murray die Schnupftabakdose vor sich auf den Tisch.
„So, so“ murmelte er, „ich verstehe! Sie haben auf meinen Vornamen angespielt – oder vielmehr auf meinen Kriegsnamen.“
Mein Vater lachte bitter. „Kriegsnamen…! Der Name eines Piraten! Aber lassen Sie uns offen und ehrlich miteinander reden, Andrew Murray. Sind Sie Kapitän Rappee?“
„Ja, ich bin der Mann, der auf hoher See als Kapitän Rappee bekannt ist. Und Sie waren es, Ormerod, der mich zu diesem Gewerbe getrieben hat, das Sie Seeraub nennen.“
„Dieser Ton passt haargenau zu Ihnen“, sagte mein Vater. „Früher haben Sie Ihre Raubzüge zu Lande ausgeführt. Aber das Handwerk habe ich Ihnen damals gelegt. Heute verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt wieder auf ähnliche Weise, Murray. Sie waren ein Bandit – und Sie sind ein Bandit!“
„Sie wollen mich einfach nicht verstehen“, seufzte Murray. „Ich hatte als Edelmann stets Höheres im Sinn, als nur Geld zusammenzuraffen wie Sie und Ihresgleichen.“
„Was ich hier besitze, das habe ich mir durch eigene harte Arbeit erworben“, entgegnete mein Vater. „Und das ist für mich mehr wert als der große Herrensitz in England, den ich durch jugendliche Torheit verloren habe. Aber wie kommt eigentlich ein Pirat dazu, über die Vorzüge seiner adligen Herkunft zu reden?“
Die Zornesröte flammte in Murrays Gesicht auf.
„Niemand kann mir meine Herkunft vorwerden“, rief er. „Ich führe meinen Stammbaum auf Jakob V. zurück.“
„Das habe ich schon mal gehört“, bemerkte mein Vater trocken.
Murray holte tief Atem. Offensichtlich rang er nach Selbstbeherrschung.
„Lassen wir’s gut sein!“, rief er mit einer schauspielerischen Geste. „Ich bin, was ich bin, Sir – und der Tag kommt bestimmt, an dem ich so hoch stehen werde wie die Höchsten unseres Landes.“
Er richtete sich kerzengerade in seinem Sessel auf. Doch mein Vater antwortete mit derselben trockenen Verachtung:
„Auch das habe ich schon mal gehört. Wollten Sie nicht einmal Herzog werden, wie? Nein, nicht durch eigenes Verdienst. Sie wollten vielmehr geschickt die schmutzigen Vorteile ausnützen, die die Jakobiten Ihnen zuschacherten. Ja, Sie hätten Ihr Land ins Verderben gestürzt und leichten Herzens an die Franzosen verkauft – nur für ein Herzogtum! Und heute würden Sie es genauso machen.“
Murray stopfte sich eine Prise Schnupftabak in die Nase.
„Sie urteilen ungerecht, Sir“, sagte Murray mit einem hoheitsvollen Stolz, den er früher nicht gezeigt hatte. „Wenn alles erwartungsgemäß verläuft, kann ich schon bald beweisen, dass ich für eine gute Sache kämpfe. Ich bereite ein Bündnis vor, das…“
Er unterbrach sich und drehte sich plötzlich zu mir herum.
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