Das Pulver
Helmut Höfling
Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deCopyright: © 2012 Helmut Höfling ISBN: 978-3-8442-4676-6
Ja, sein und eure Macht verhasst zu machen,
Gesteh’ ich ein die scheußlichsten Gerüchte,
Bekenne alles frei, Verbannung, Mord,
Selbst Gift - - -
- - - Man wird dir, hohe Frau, nicht glauben.
Jean Baptiste Racine: Britannicus (1669)
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Die größten Verbrechen sind eine Bagatelle im Vergleich damit, sich acht Monate lang damit abzugeben, seinen Vater zu töten und all seine Liebe und Güte entgegenzunehmen, auf die sie dann mit einer doppelten Dosis Gift Antwort gab. Medea war eine Stümperin gegen sie.
Marquise de Sévigné, Verfasserin von 1500 kulturgeschichtlich und stilistisch bedeutsamen Briefen, über die Marquise de Brinvilliers
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Das Menschenleben ist zu einem Handelsartikel geworden, es ist beinahe das einzige Mittel, zu dem man in allen Familienschwierigkeiten greift, Gotteslästerungen, Tempelschändungen, Gräuel aller Art sind an der Tagesordnung.
Nicolas de la Reynie, Polizeidirektor von Paris zur Zeit des
„Sonnenkönigs“ Ludwig XIV.
Der Tod des Alchimisten
Die Kassette
1
„Die Kassette!“, war ihr erster Ausruf, als die Marquise von Brinvilliers den Tod ihres Liebhabers erfuhr. Kein Schmerzensschrei, kein Zeichen von Verzweiflung, keine Träne - nur „die Kassette!“ Woran dachte sie dabei, was war ihr daran so wichtig, wichtiger als ein Menschenleben? Barg die Kassette einen Schatz: Geld, Gold, Juwelen - oder ein Geheimnis, das dem Besitzer Macht verlieh über andere, Dokumente, die jemanden ins Verderben stürzen konnten, am Ende gar sie selbst?
„Die Kassette!“ Wer die Marquise genau kannte, hätte die nur mühsam unterdrückte Besorgnis in ihrer Stimme kaum überhören können, obwohl ihre Miene nichts davon verriet, sie wirkte gefasst und beherrscht wie immer.
Sofort nach dem Ableben von Sainte-Croix hatte man sie benachrichtigt, noch ehe die Legende sich verbreitete, er sei an den Folgen eines Unfalls während eines chemischen Experiments gestorben. Die Glasmaske, mit der er sein Gesicht vor den giftigen Dünsten schützen wollte, sei, so hieß es, bei seiner gefährlichen Arbeit heruntergefallen und auf dem Boden zerbrochen. Nur ein einziger Atemzug des Gifthauchs habe genügt, ihn auf der Stelle zu töten. Ganz so abwegig klang das nicht, wenn man wusste, womit er sich seit vielen Jahren beschäftigte.
In Wirklichkeit aber war Sainte-Croix nach mehrmonatigem Krankenlager am dreißigsten Juli 1672 eines natürlichen Todes gestorben. Einige Personen, die ihn in dieser Zeit in seiner heimlichen Klause in der Sackgasse Place Maubert besucht hatten, waren Zeugen seines Siechtums gewesen. Dort in seinem sagenhaften Laboratorium befand sich auch ein „Ofen der Geheimnisse“, wo der Verstorbene sogenannte „philosophische Studien“ betrieben, mit anderen Worten: am Stein der Weisen gearbeitet hatte, dem Traum aller Alchimisten.
In jenen Jahren im Schatten des „Sonnenkönigs“ hatten die Alchimisten, vertreten durch Männer wie Vanens, Chasteuil, Cadelan, Rabel, Bachimont, neben den Zauberinnen und Hexenmeistern weit über Paris hinaus das Land mit einem dichten Netz überzogen, mit dem sie Menschen aller Stände, selbst des höchsten Adels, mit ihrer gefährlichen Mitwisserschaft gefangen hielten wie Spinnen ihre zappelnden Opfer, um sie nach Belieben auszusaugen. Sie waren aber als Mitwisser zugleich auch Mittäter der abscheulichsten Verbrechen und darum ebenso Gefangene ihrer Kunden.
Diese Gesellschaft der Alchimisten und sogenannten „Philosophen“, die den Stein der Weisen suchten, blickte auf einen sehr bewegten Anfang zurück. Oberhaupt, in der Sprache der Kabbalisten, der Anhänger der mittelalterlichen jüdischen Geheimlehre, „Meister“ genannt, war François Galaud de Chasteuil, der zweite dieses Namens, Spross einer bekannten Familie der Languedoc, die dem Heer, der Kirche und der Literatur bedeutende Männer geschenkt hat. Im Jahre 1625 als zweiter Sohn des Oberstaatsanwalts der Rechnungskammer von Aix geboren, ahnte noch niemand, dass vor ihm ein äußerst bewegtes Leben voller Abenteuer lag. Als Doktor der Rechtswissenschaft beendete er seine Studien und wurde mit neunzehn Jahren zum Malteserritter ernannt, einem Orden, dem er so herausragende Dienste leistete, dass ihm der Großmeister das Ehrenkreuz auf die Brust heftete. Später wurde er Hauptmann der Garden des großen Condé.
Im Alter von siebenundzwanzig Jahren zog er sich nach Toulon zurück, rüstete ein Schiff aus und nahm unter maltesischer Flagge an der Kaperfahrt gegen die Türken teil. Sein Dasein als Freibeuter fand ein jähes Ende, als algerische Seeräuber ihn gefangen nahmen. Nach zwei Jahren in der Sklaverei gelangte er nach Marseille, wo er zur Abwechslung Klosterbruder wurde und rasch zum Prior der Karmeliter aufstieg. Das asketische Leben eines Mönchs aber war seine Sache nicht, er schmuggelte ein junges Mädchen, ein schlankes blondes Kind mit großen, unschuldsvollen Augen, in die Abtei und hielt es in seiner Zelle vor den Blicken seiner frommen Brüder verborgen. Was kommen musste, kam: Sie wurde schwanger. Doch ehe das nun nicht mehr so schlanke blonde Kind mit den großen und nicht mehr so unschuldsvollen Augen zur Niederkunft kam, erwürgte Chasteuil sie im Bett, von einem Laienbruder unterstützt, und trug sie bei Nacht in die Klosterkapelle, wo er einige Steinfliesen hob und ein Grab für die Tote schaufelte. Für einen Pilger, der vom Schlaf übermannt, neben einer Säule schlummerte, war es ein böses Erwachen, als ihn dumpfe Geräusche in der sonst so stillen Halle aufschreckten und er beim fahlen Schein des Mondes die beiden Männer bei ihrer schaurigen Arbeit erblickte. Starr vor Entsetzen wagte er kaum zu atmen und blieb bis zum Morgengrauen in seiner Ecke kauern. Erst als bei Tagesanbruch die Kirche geöffnet wurde, erstattete er sofort Anzeige. Chasteuil wurde verhaftet und zum Tod durch den Strang verurteilt. Er stand schon am Fuß des Galgens, als plötzlich wie vom Himmel gefallen der Galeerenhauptmann Louis von Vanens mit einigen Soldaten aufkreuzte und seinen Freund Chasteuil befreite, der, seinen Retter im Schlepptau, nach Nizza floh.
In einem abgelegenen Winkel, wo sie sich vor ihren Häschern sicher fühlten, schlugen die beiden Freunde ihre Behausung auf und begannen mit der mühevollen Arbeit, den Stein der Weisen zu finden, das heißt, aus Kupfer Gold und Silber zu machen. Chasteuil, der sich bereits mit Alchimie befasst hatte und im Besitz des berühmten Mysteriums zu sein glaubte, weihte Vanens zum Dank für die Rettung vor dem Henker in das sorgsam gehütete Geheimnis der Herstellung von Silber ein, nicht jedoch von Gold, ein Wissensschatz, den er dem Freund nicht preisgeben wollte. Bald darauf trat Chasteuil in die Dienste des Herzogs von Savoyen als Oberstwachtmeister der Garden de la Croix-Blanche und - unglaublich, aber wahr - als Erzieher von dessen Sohn, des jungen Prinzen von Piemont. Die Hoffnung, Metalle in Gold verwandeln zu können, hielt ihn weiter an zu „philosophieren“, und dass ihm der große Wurf gelinge, davon war er erst recht überzeugt, zumal er ein Öl erfand, das ihm todsicher den erwünschten Erfolg bescheren würde.
Chasteuil hatte eben erst die Vierzig überschritten, als er und Vanens sich mit Robert von Bachimont, Herr von La Nuré, verbanden, der mit einer Kusine des Oberpräfekten Fouquet verheiratet war. Dieser Bachimont besaß in Paris ein Haus in der Nähe des Temple mit vier Schmelzöfen, einem großen im dritten Stock, zwei kleineren im Zimmer nebenan und einem großen unten im Keller; außerdem hatte er eine Wohnung in Compiègne, im Ecu de France , wo nichts als Tiegel, Retorten, irdene und gläserne Gefäße, Destillierkolben, Schmelzöfen mit offenem und geschlossenem Herd, eiserne Röste, Mörser, Ammoniaksalze, Eisenfeilspäne, tausenderlei Pulver, Pasten und Tinkturen zu sehen waren. Darüber hinaus gehörte ihm auch noch eine Niederlassung in der Abtei d’Ainay bei Lyon, aufs beste eingerichtet für das Schmelzen von Metallen, die Destillation von Heilkräutern und andere alchimistischen Verfahren. Mit dem Grafen von Castelmehor, der einige Jahre der eigentliche Regent von Portugal gewesen war, gesellte sich eine weitere wichtige Persönlichkeit zu dem Dreierbund. Er habe ihm, so erklärte Bachimont, das Geheimnis der roten Glasfarbe enthüllt.
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