Er wurde weich und schlang die Arme mit der Gebärde eines Schauspielers um ihre Schultern.
„Na, na, Moira!“, schalt er sie sanft. „Mach das nicht noch einmal! Juan wird künftig auf dich aufpassen. Doch nun zurück an Bord, mein Kind! Ich muss noch hierbleiben und einiges erledigen. Und bedanke dich besonders bei diesem Gentleman hier! Master Ormerod heißt er. Sein Vater ist ein großer Kaufmann in dieser Stadt.“
Miss O’Donnell dankte mir mit einem Knicks, während ich mich höflich verneigte. Dabei fragte ich mich, wo ihr Vater sich wohl so genau über mich erkundigt haben konnte. Denn als wir uns trafen, schien er noch nicht im Geringsten zu wissen, wer ich war.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danke könnte“, sagte das Fräulein mit einem Augenzwinkern zu mir. „Ich finde einfach keine Worte.“
Verständnisvoll lächelte ich ihr zu.
„Nochmals besten Dank, Master Ormerod“, sagte der Oberst. „Bitte, empfehlen Sie mich Ihrem Vater. Gute Nacht!“
„Gute Nacht, Sir“, erwiderte ich. „Und gute Reise für Sie, Miss. Wenn ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein kann, dann sagen Sie es ruhig.“
„Nein, Master Ormerod, hier trennen sich unsere Wege“, erklärte sie freundlich.
Ich wandte mich ab, und wir gingen in der entgegengesetzten Richtung davon. Darby McGraw neben mir schnatterte in einem fort, denn die strahlende Schönheit der jungen Dame hatte seine schlechte Laune weggeblasen und seine Lebensgeister neu entfacht.
„Was für ein hübsches Mädchen, Master Ormerod!“, rief er. „Mit blauen Augen wie die Seen in Irland! Ja, sie hat mich sofort an meine Heimat erinnert. An meine Heimat, die ich nie wiedersehen werde.“
„Warum denn nicht?“
„Sie sagen, ich käme unter die Seeräuber.“
„Du schwätzt dir da ein dummes Zeug zusammen!“, erwiderte ich barsch.
„Unsinn?“, rief er. „Für mich wär’s das Schönste, Master Robert! Legen Sie bei Ihrem alten Herrn ein gutes Wort für mich ein, bitte!“
„Also gut“, versprach ich, damit er den Schnabel hielt.
Er sprang in die Luft wie ein Füllen, das soeben seinen ersten Hafer bekommen hat, und sprudelte hervor:
„Sie sind ja bis über beide Ohren in die Kleine verknallt! Ja, die hat’s in sich! Wegen der würde ich sogar darauf verzichten, ein Seeräuber zu werden.“
„Die sehen wir nie wieder, Darby“, meinte ich. „Morgen in ein paar Wochen segelt sie schon jenseits der Karibischen Inseln – und wir schuften uns hier mit unserem Kram ab.“
Er warf mir einen verschmitzten Blick zu. „Wer weiß, Master Robert, was morgen ist… Und erst danach! Lassen wir uns lieber überraschen!“
An diesem Abend saßen wir lange beim Essen, denn mein Vater bestand darauf, alles ganz ausführlich zu hören, was ich am Tag erlebt hatte. Dabei verriet er eine seltsame Unruhe, die an ihm ungewöhnlich war. Peter Corlaer dagegen aß mit gemächlicher Feierlichkeit weiter. Nur hin und wieder flackerten seine Äuglein, die zwischen ihren Fettwülsten mühsam hervorblinzelten.
„Ich habe schon von diesem Oberst O’Donnell gehört“, begann mein Vater, sobald ich meinen Bericht beendet hatte. „Er war seinerzeit mit Prinz Karl in Schottland. In England steht bestimmt ein Preis auf seinen Kopf. Zweifellos hat er hier eine Besprechung gehabt – mit ein paar jakobitisch angehauchten New Yorkern.“
„Glaubst du wirklich, Vater?“, fragte ich.
„Wie Master Colden mir erzählte“, fuhr er fort, „hat der Kapitän der Fregatte heute Morgen den Gouverneur besucht und ihm ein Ammenmärchen aufgetischt. Er habe sich bei der Kursberechnung geirrt und sei nordwärts abgetrieben worden. Ich wittere dahinter eine jakobitische Verschwörung!“
„Miss O’Donnell hat gesagt, sie segelten nach Florida“, wandte ich ein. „Dann sind sie also nicht mehr weit vom Kurs abgewichen.“
„Das kleine Mädchen ist bestimmt nicht in die Pläne ihres Vaters eingeweiht. Die Jakobiten sind eine gefährliche Bande.“
„Dabei hast du früher einmal selbst zu ihnen gehört.“
„Das ist wahr, aber ich habe aus der Erfahrung gelernt. Das solltest du mir anrechnen, Robert. Großbritannien ist größer als irgendein König oder irgendeine Familie. Es geht hier um das Land – nicht um den Mann. Und Großbritannien geht es besser unter dem Hannoveraner Georg als je zuvor unter einem Karl oder Jakob Stuart.“
Mit dieser Bemerkung spielte mein Vater auf den englisch-schottischen Thronstreit an, der bereits seit Jahrzehnten schwelte.
Ab 1603 hatte eine Personalunion zwischen England und Schottland bestanden: Der schottische König aus dem Hause der Stuarts herrschte gleichzeitig auch über die englischen Gebiete. Im Jahr 1685 war auf Karl II. sein Bruder Jakob II. gefolgt, dessen absolutistisches Willkürregiment keineswegs auf Gegenliebe stieß und ihn sogar den Tories entfremdete, der aristokratischen, konservativ gesinnten Partei. Erschwerend kam hinzu, dass Jakob II. bereits 1670 Katholik geworden war.
Als dann schließlich die Geburt eines Sohnes die katholische Dynastie zu sichern schien, berief die Opposition den Gemahl seiner ältesten Tochter Maria, den protestantischen Erbstatthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien. Dieser landete am 5. November 1688 in England, und da sich ihm alle zuwandten, blieb Jakob II. nur die Flucht nach Frankreich übrig wo er 1701 starb.
Interessant wurde der Thronfolgestreit wieder einige Jahre später. Weil der katholische Mannesstamm des abgesetzten Jakob II. durch den Act of Settlement von der Nachfolge auf den Thron ausgeschlossen war, wurden die Welfen in Hannover Thronanwärter. Mit den Welfen bestand deshalb eine verwandtschaftliche Bindung, weil sie Nachkommen der an Friedrich V. von der Pfalz verheirateten Elisabeth waren, einer Tochter Jakobs I.
Der Regierungsantritt des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover als König Georg I. von Großbritannien vollzog sich 1714 ohne Schwierigkeiten. 1727 folgte ihm Georg II., der nochmals einen Versuch der Stuarts abwehren musste, die Krone wieder zu erringen. 1746 siegten die Engländer über die Schotten bei Culloden Moor, einer Heide nordöstlich von Inverness in Schottland.
Das war die letzte Erhebung der Jakobiten gewesen – wie man die Anhänger des vertriebenen Jakob II. und seiner Nachkommen nannte. Naturgemäß waren die Jakobiten besonders in Schottland selbst vertreten, wo der größte Teil des Adels zu ihnen gehörte.
All diese geschichtlichen Ereignisse standen hinter den Worten meines Vaters. Aber es wollte mir durchaus nicht einleuchten, warum er die ganze Zeit über an eine neue jakobitische Verschwörung glaubte. Seine Erklärungen hatten mich noch immer nicht überzeugt. Deshalb sagte ich:
„Ich finde nichts Merkwürdiges dabei, dass die Spanier einen technischen Offizier herüberschicken, um ihre Befestigungen am Atlantik überprüfen zu lassen.“
„Ein technischer Offizier aus Irland…?“, betonte mein Vater lächelnd. „Wundert dich das auch nicht? Aber gut! Solche Machenschaften sind immer schwer durchschaubar. Doch was mich am meisten ärgert, ist die Nachricht von dem einbeinigen Seemann.“
„Silver?“
„Ja, ich höre nicht gern, dass die Piraten vor unserem Hafen kreuzen. Ein wirklich starkes Stück! Wenn Murray…“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür hinter mir, und ich sah, wie der Unterkiefer meines Vaters schlaff herabfiel. Peter rechts neben mir zwinkerte scheel mit den Augenlidern und fuhr dann gelassen fort, mit seinen Riesenpranken Nüsse zu knacken.
„Haben Sie mich gerufen, Ormerod?“
Von der Schwelle hallte eine Stimme wie das Geläute einer Glocke, in einem frostigen und gleichförmigen Tonfall.
„Mir war so, als hörte ich meinen Namen. Stimmt’s?“
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