Uwe Westphal
EHRENFRIED & COHN
Roman
Für Margarete Feldmann
THE SECOND COMING
Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.
Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight: somewhere in sands of desert sand;
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Wind shadows of the indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?
William Butler Yeats (1865-1939)
DANK
Es waren sehr viele Menschen in Großbritannien, Israel, Deutschland und den USA, die diesen Roman ermöglichten. Hunderte von Briefen, Fotos und erzählten Erinnerungen halfen mir, ihre Zeit als Modeschöpfer im Berlin der dreißiger Jahre zu verstehen.
Besonderer Dank gebührt: Alice Newman, Kurt Ehrenfreund, Joanna, Claus und Ruth Newman, Martin Laska, Regina Laska, Amelie Winhard-Stuart, Susanne Gorke, Johanna Ofori Attah, Sabine Rathmann-Fluschnik und Nea Weissberg.
ANMERKUNG
Die im vorliegenden Roman verwendeten Personennamen und Firmennamen sind zum Teil frei erfunden. Namensähnlichkeiten mit noch lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Die im Roman genannten Firmennamen sind frei erfunden.
IMPRESSUM
Herausgeber: Uwe Westphal
Umschlag-Design: Ilaria Fioravanti
Preis: 4,99 ,- €
ISBN 978-3-7375-7485-3
© Uwe Westphal
Kontakt zum Autor:
officewestphal@gmail.com
Weitere Informationen über Uwe Westphal gibt es unter www.uwewestphal.com
Ehrenfried & Cohn
Ehrenfried & Cohn, @EhrenfriedCohn
Der Autor des vorliegenden Romans, Uwe Westphal, besitzt das Recht auf Veröffentlichung, Verwertung und Vervielfältigung. Sämtliche Rechte an den verwendeten Abbildungen liegen ebenfalls beim Autor. Ohne seine ausdrückliche Genehmigung ist insbesondere eine anderweitige Veröffentlichung, Verwertung und Vervielfältigung untersagt.
Bei Verletzung dieser Rechte ist der Autor berechtigt, Unterlassung zu verlangen und Schadensersatz geltend zu machen.
Vorspiel
Der Schmerzensmann
Regen prasselt auf das hölzerne Dach der kleinen bretonischen Kirche. „Welcome to the historic Church of Cléguérec“, begrüßt der Fremdenführer die kleine Reisegruppe in hörbar ungeübtem Englisch. Klackend fährt der Metallschlüssel in das Schloss, und die Tür zum Kirchenschiff öffnet sich. Durch die Fenster dringt fahles Licht. Kurt, ein weiterer Deutscher, zwei Engländer und zwei Iren treten zögernd ein. Albert, der Fremdenführer, beginnt seinen Vortrag über die Geschichte des im 15. Jahrhundert erbauten Gotteshauses. „Viel wird er in diesem abgelegenen Teil der Bretagne fast ohne Touristen nicht zu tun haben“, denkt Kurt.
Nach wenigen Minuten löst sich Kurt von der Reisegruppe und schlendert allein auf den Altar zu. Neben dem Abbild des gekreuzigten Jesus Christus, grob aus Granitfels geschlagen, entdeckt er eine hölzerne Figur. Ungefähr so groß wie ein zehnjähriger Junge. Der rötliche Kopf ist haarlos, die starr ins Nichts blickenden Augen haben keine Lider, der Mund hat keine Lippen. Die Zähne ragen hervor, fast wie bei einem Totenkopf. Die Nase ist durch zwei Löcher nur angedeutet. “Das ist unser Saint-Barthélémy, der heilige Bartholomäus“, hört er Albert sagen, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war. Kurt tritt einige Schritte näher an die Figur heran. Erst jetzt erkennt er, dass der kleine nackte Eichenholzkörper des Bartholomäus viele senkrechte Schnitte aufweist. Es sind tiefe Schnitte, Verletzungen. Als hätte jemand den Bartholomäus vom Kopf bis zu den Füßen absichtlich mit diesen Schnitten übersät, fast geschändet. Auf dem braunrötlichen Untergrund des Holzes der Skulptur war Kurt das zuerst nicht aufgefallen.
Fragend schaut Kurt Albert an. „Das sind doch Wunden, überall blutende Wunden, am ganzen Körper.“ Albert nickt und zeigt auf den rechten Arm der Figur. Halb abgewinkelt vom Körper hält Bartholomäus ein Messer in der Hand. Die scharfe Schneide ist dem Körper zugewandt. Über dem angewinkelten linken Unterarm, fest an den kleinen Holzkörper gedrückt, hängt eine Art grauer Stoff, so als trüge die Figur einen Vorhang oder ein Kleidungsstück mit sich. Auf diesem Tuch ist ein bärtiges Gesicht zu erkennen. Der Kopf hängt schlaff herab. Dort wo die Augen sein sollten, sind nur kleine Löcher. Ein flach gedrücktes Gesicht. Von der Taille abwärts hängt es in ordentlichen Stoffbahnen herab. Die Haltung dieser Figur ist Kurt seltsam vertraut. So hält auch er seinen Arm, wenn der Vater ihm Stoffe zur eiligen Lieferung an die Bekleidungsfirmen am Berliner Hausvogteiplatz mitgibt. Oder wenn die Mutter ihn bittet, Vorhänge in die Wäscherei zu bringen.
„Ja, mein Junge, das sind Wunden. Der Apostel Bartholomäus starb einen furchtbaren Tod. Aber kennst du denn diese Geschichte nicht?“ Kurt schaut. Dann schüttelt er seinen Kopf. „Soll ich sie dir erzählen?“ Kurt schaut noch immer. Dann nickt er „Bartholomäus hat Gottes Wort verkündet. Dafür haben sie ihn ermordet. Sie haben mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen. Dann haben sie ihn auf einen Tisch gespannt und ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.“
Albert zieht aus seiner Hosentasche ein bretonisches Taschenmesser, wie es Kurt schon einmal bei den Fischern von St. Malo gesehen hatte, wenn sie die Köpfe der Fische abschnitten. Albert klappt es auf und deutet mit der Klinge kleine Schnitte auf seinem Jackenärmel an. „So ähnlich haben sie es mit Bartholomäus sicher auch gemacht.“ Kurt schwindelt bei dem Gedanken an die Schmerzen, und die Kälte im Kirchenschiff lässt ihn plötzlich frösteln. „Und daran ist Bartholomäus auch gestorben?“, fragt Kurt. „Nein“, antwortet Albert kurz und steckt sein Messer wieder in die Hosentasche. „Was hat er denn dann gemacht?“ „Er hat sich vom Tisch erhoben. Dann hat er seine Haut über den Arm genommen. So wollte er einfach davongehen.”
„Mit der Haut über seinem Arm?“ Verständnislosigkeit und Faszination mischen sich in Kurts Blick. „Oui, mein Junge. Natürlich haben sie ihn nicht gehen lassen. Sie haben ihn festgehalten. Dann haben sie ihm den Kopf abgeschlagen.“ „Das sind Legenden, nicht wahr?“
„Ja, mein Junge. Man nennt das Legenden. Ein Mensch ohne Haut, der Körper vereitert, ohne Schutz. So wurde Bartholomäus zum Schutzpatron der Aussätzigen, der Leprakranken. Sie haben seine Statuen und Bilder um Beistand und Hilfe angefleht. Aber die Leute hier sind auch praktisch. So wurde der Bartholomäus im 17. Jahrhundert auch zum Schutzpatron der bretonischen Gerber und Flachstuchhändler. Die Häute und Pelze von Füchsen, Kühen und Frettchen waren begehrt bei Pariser Schneidereien. Flachstücher aus der Bretagne gingen meist an die Hutmacher, für ihre opulenten Kreationen. Die Pariser Näherinnen bauten daraus auch Krinolinen für die hohen Herrschaften. Das brachte den Händlern der Bretagne Wohlstand, und so wählten sie den Bartholomäus als Patron aus.“
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