Natürlich setzte Machata den Schlag in den letzten Sandbunker. „Zieht mich magisch an, die Scheiße“, knurrte Machata, wozu Wermesgrüner nur bemerkte: „Ok, machen Sie das in Krötzelbrösel und nehmen Sie diesen Schmä..“.
„Von Schmaedeke“, ergänzte Machata eilfertig. „Na gut, von mir aus auch von Schmaedeke. Machen Sie mir mal ein Project schedule, aber nicht mehr als eine Seite und gucken Sie, wie wir das steuerlich optimieren können. Rufen Sie in der Angelegenheit auch den Lorra an. Seit der Sache mit der Stiftung Verbraucherschutz schaukelt der sich doch auch nur noch die Glocken. Ich hoffe, das geht jetzt voran, ich brauch dann schon mal ein Paar Zahlen, wenn ich aus Südtirol zurück bin, so in drei Wochen“.
Auf dem Weg zurück ins Büro überlegte Dr. Wermesgrüner intensiv, wo er die neuen, verbesserten Teflon Buchsen für das Lenkgetriebe seines SL Baujahr 1967 her bekommen sollte, schließlich stellten die Passstraßen in Südtirol eine echte Herausforderung für seinen historischen Boliden da. Mit dem 29. Platz bei der letzten „Exclusive Vintage Car Mountain Challenge“ wollte er sich diesmal nicht zufrieden stellen. Dabei hätte er fast die Ausfahrt zu seinem Büro verpasst.
„Erwischt...!“ Mit einem mechanischen Geräusch rastete die Parkkralle am Hinterrad des schwarzen Mini mit Frankfurter Kennzeichen ein. Kopfschüttelnd wandte sich der Mitarbeiter der Firma Klotzbach an die Politesse, die ihn in die ruhige Seitenstraße „Hinterm Englischen Garten“ in Bad Homburg bestellt hatte: „Der hat es aber ganz schön übertrieben mit dem Tuning seines Wagens. Die Bleche schleifen ja schon fast bis auf dem Boden... Und die doppelten Auspuffrohre hat er wohl von einem ausrangierten Rennwagen“. Das Licht der Straßenlaterne leuchtete auf und fiel schimmernd auf die massive Parkkralle. „Selbst schuld“, entgegnete die Politesse achselzuckend und steckte den gesalzen Strafzettel zur Verwarnung unter den Scheibenwischer.
Unbemerkt von den Vorgängen auf der gegenüber liegenden Straßenseite saß der Besitzer des zu tief gelegten Minis in seiner kleinen Dachwohnung vor dem Bildschirm seines Laptops. Seitdem er kurzfristig die Zusage von IDOPSA bekommen hatte, ein Callcenter im sächsischen Krötzenbroda aufzubauen, verbunden mit der Anweisung, seine Arbeit am nächsten Werktag aufzunehmen, stand Clemens v. Schmaedeke wie unter Strom. Obwohl es schon spät war, arbeitete er noch immer fiebrig an einer PowerPoint-Präsentation, mit der Schmaedeke für Politik und Verwaltung die Bedeutung der Investition von IDOPSA in den Standort Krötzenbroda überzeugend darlegen wollte. Wie immer lag der Teufel im Detail, und die Zeit bis zu seiner Abfahrt am nächsten Morgen schritt unbarmherzig voran. Als Schmaedeke schließlich mit seiner Präsentation fertig war, dämmerte es bereits. Hektisch warf der Jungmanager seine Kleidungsstücke aus dem Schrank, legte sie in den geöffneten Rollkoffer und drückte den widerstrebenden Deckel zu. Dabei blitzte kurz die Erinnerung an seine erste unternehmerische Tätigkeit auf. Ein von ihm in einer Auflage von zehntausend Stück produzierter Aufkleber mit dem Wappen der Holger-Börner-Business-School in Schwetzingen, der auf dem Kofferdeckel klebte: Zwei gekreuzten Dachlatten, darunter ein aufgeschlagenes Buch, mit dem Schriftzug „SEMPER FIDELIS“.
Auch die achttausend Polo-Hemden, die Schmaedeke in verschiedenen Farben mit den gekreuzten Dachlatten auf dem Rücken für seine Kommilitonen, ihre Eltern und die Professoren hatte herstellen lassen, warteten immer noch in einem Außenlager auf ihre ersten Käufer. Zwei dieser Hemden entdeckte er noch auf seinem in der Nacht unbenutzten Bett. Schmaedeke öffnete nochmals den Koffer und stopfte sie obendrein. Diese Fehlinvestition von einst war für den Absolventen der Börner-Business-School zwar ein schmerzliches, aber letztlich notwendiges Lehrgeld. Jetzt kam es für ihn indes darauf an, das Gelernte in der Praxis umzusetzen. Allerdings fehlte ihm noch am Ort seines ersten Wirkens eine Unterkunft. Übermüdet gab Schmaedeke in die Suchmaschine „Hotel Krötzenbroda“ ein. Merkwürdigerweise musste die Maschine passen. Rasch rief er eine Hotelreservierungsplattform auf und wiederholte seine Suchanfrage. Doch erneut hieß es nur lapidar: „Keine Treffer“. Schmaedeke rieb sich die Augen, startete Google-Earth, und schon flog er wie im Zeitraffer in eine nahe gelegene Region, die ihm auf seinen Sightseeing Trips zu den angesagtesten Hot Spots der Welt bislang vollständig entgangen war. Was hätte ihm auch Krötzenbroda schon gegenüber New York, Kitzbühl und Saint Tropez bieten können? Mehr als durch gelegentlich dahin gestreute abfällige Bemerkungen seiner Professoren und eine eben begonnene, bald darauf aber schon wieder abgebrochene Seminararbeit mit dem Thema „Die Konsumkette als Beispiel für staatlich regulierte Planwirtschaft und Warendistribution“ wusste der junge Clemens v. Schmaedeke nur wenig über die neuen Bundesländer. Merkwürdig, dachte er nur beim Anblick des unscharf auftauchenden, stark verpixelten Gebietes, das den Ort anzeigen sollte. Da ist gar nichts zu erkennen. Das muss wohl einst mal militärisches Sperrgebiet gewesen sein, vielleicht in der Grenznähe. Und bis heute ist offenbar keine aktuelle Luftaufnahme eingestellt worden... Komisch.
Ein Blick auf die Uhr aber zeigte Schmaedeke, dass nicht viel mehr Zeit blieb, über die unscharfe Anzeige nachzudenken. Es war bereits fast halb zehn. Schnell zog er sich noch einen Espresso aus der Kapselhülle. Dann streifte er seine dunkelblaue Anzugjacke über, beförderte seinen Rollkoffer in den Hausflur, und beeilte sich zu seinem Auto zu kommen, das ein Geschenk seines Vaters zu seinem Examen war. Als Schmaedeke die wuchtige Parkkralle daran entdeckte, fluchte er und trat wütend gegen das blockierte Hinterrad. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fasste er sich an den gestauchten Fuß. Auch die Bömmel seiner gerade neu erworbenen braunen Lederschuhe hingen nur noch auf halb acht. „Die halten ja nichts aus, diese verdammten China-Importe“, schnaubte Schmaedeke verärgert über sein doppeltes Missgeschick vor sich hin. „Das ist ja mal wieder ein Tag.“
Ein Blick in seine leere Brieftasche zeigte ihm als nächstes an, dass er die Reise wohl ohne seinen zum Rennwagen umfrisierten Mini antreten müsse. „Dann nehme ich eben die Bahn, dafür wird es schon noch reichen“, schoss es ihm durch den Kopf. Schmaedeke holte sein I-Phone aus der Tasche und gab flink die gesuchte Verbindung ein. Diesmal klappte es mit der Information besser. Stündlich ein ICE bis Magdeburg. „Ab hier regionaler Anbieter, nicht im Geschäftsbereich der DB“, lautete die weitere Auskunft.
Ein Linienbus brachte ihn zum Bahnhofplatz. Vor der verspiegelten Fassade des Bankhauses Schröder & Henkst gelte sich Schmaedeke sein Haar. Bis zur Abfahrt blieb noch ein wenig Zeit, so dass er sich im Bahnhofskiosk noch die „Bild-Zeitung“ und das „Handelsblatt“ kaufte, die ihm schon an der Privatuni in Schwetzingen als Leib- und Magenblatt gedient hatten. Ersteres als delektierende Leibspeise, letzteres als oberflächliche nährende Informationsquelle, damit er im Gespräch mit seinen Dozenten immer den Eindruck erwecken konnte, in seinem Fach auf dem Laufenden zu sein. Während Schmaedeke sich im Großraumabteil niederließ und sich wie stets zuerst angeregt der Lektüre der „Bild-Zeitung“ widmete, rauschte die Landschaft unbeachtet an ihm vorbei. Nach knapp fünfstündiger Fahrt kam er mittags in Magdeburg an. In der Eingangshalle des alten Hauptbahnhofs blickte sich der Jungmanager orientierungslos um. „Das sind sie also, die blühenden Landschaften. Geht doch...! Schon fast alles wie Zuhause“. Der zufriedenstellende erste Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass ihn eine gegenüber des Bahnhofs gelegene Filiale von Burger King in weißen Lettern auf roten Hintergrund willkommen hieß. Die Ebbe in seiner Kasse ließ Schmaedeke dann jedoch von dem anvisierten Besuch absehen und stattdessen mit einer Thüringer Bratwurst in der Bahnhofshalle vorlieb nehmen. Die dafür verlangten Ein-Euro-Sechzehn zählte Schmaedeke zwar ein wenig verwundert aber passend auf den Tresen.
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