Ein paar Wochen später, gerade als wir uns an die Jungs gewöhnt hatten und einen Draht zu ihnen fanden, löste sich die Punk-Band auf, da alle drei in den Knast gewandert sind.
Eine weitere Originalfigur war da noch unser Vermieter auf diesem Bauernhof. Der hatte einen schrecklich alten und stinkenden Traktor, der uns schon immer ein Dorn im Auge war.
Als das alte Dreckding eines Tages zu übel röhrte haben wir kurzerhand das Lenkrad abgeschraubt und im Namen der Umwelt beschlagnahmt. Ohne je ein Wort darüber zu verlieren nahm der Chaot einen 17er Gabelschlüssel und benutzte diesen fortan als Lenkrad. Ich schätze mal den benutzt er bis heute, denn nur wir wussten wo sein Lenkrad war.
Seine Freundin lies es sich damals auch gut gehen. Immer wenn der „Erste“ war und die Bands kamen um die Miete in bar zu zahlen, stand sie den ganzen Tag unter der Dusche, damit sie möglichst leicht bis gar nicht bekleidet die Tür öffnen konnte. Ich meine, mein Fall war sie nie, aber es war doch immer wieder witzig zu beobachten was da so alles los war. Ich weiss nicht mal wie sie hieß. Ich weiss nur, dass sie jeder Duschi nannte.
Leider weiss ich aus zuverlässiger Quelle, dass diese Proberäume nach über fünfundzwanzig Jahren (die Mühle existierte von ca. 1967 bis 1993) eliminiert wurden. Der Bauernhof steht zwar noch, doch wird er heute rein gewerblich genutzt.
Schön war es damals schon, wenn du mal kurz vor einem Gig noch ein paar Drumsticks brauchst oder ein Kabel oder so was. Du bist einfach an die nächste Tür gegangen und hast bei einer anderen Band nachgefragt. Wir haben uns da immer gegenseitig geholfen. Da wurde nichts geklaut und nichts randaliert oder so. Leider ist das heute alles anders. Die Bands machen sich gegenseitig nieder, statt sich zu helfen. Bei uns war das so: Wenn man sich Freitag oder Samstag Nacht nach dem Gig in der Hahn-Mühle über den Weg lief, dann waren die drei ersten Fragen: „Wo habt ihr gespielt?“, „Wie war’s?“, „Wie viel bezahlt der?“. Wenn wir zum Beispiel wussten, Band A hat bei Veranstalter B für 1.000,– DM gespielt hätten wir das nie unterboten, sondern immer ca. 100,– DM mehr verlangt. Auf diese Art und Weise hielten wir die Preise oben. Und durch unsere Bandabsprachen war klar, dass es keine billigere Band gab. So konnten wir eine „Regionalszene“ lange Zeit so aufrecht halten wie es hunderte von Bands vor uns taten. Aber so ab etwa 1990 haben einige dumme Looser-Bands angefangen alle anderen zu unterbieten. Die Folgen waren katastrophal und bis heute nicht wieder gut zu machen.
Die Veranstalter nahmen nur noch die Looser-Bands. Die waren zwar billig und meistens auch schlecht. Nach einiger Zeit hatte der Veranstalter zwar die Bandgagen gespart aber durch die permanente Scheiß-Musik das Publikum verloren. Und ohne Publikum kein Umsatz – da hilft auch nicht die gesparte Bandgage – ohne Umsatz kommt die Pleite. Auf diese Art und Weise wurden (nur im Rhein-Main-Gebiet) von 1991 bis 1994 etwa zwanzig Clubs dichtgemacht. Darunter auch sehr etablierte Clubs, die oft schon seit der Rock’n Roll-Ära existierten. Damit zerschlug sich auch die regionale Rock-Szene und man splittete die Bands in Feierabendmusiker ohne Chancen, Phantasten ohne Chancen und Semi- bzw. Vollprofis.
Gott sei Dank gehörten wir gegen Ende der regionalen Rock-Szene schon zu den Semi-Profis. Dennoch tun mir bis heute all die vielen guten Bands der damaligen Szene leid, die es nicht geschafft haben. Man muss sich mal vorstellen, dass man an einem Samstag Abend zwischen mindestens zehn Live-Acts wählen konnte und hatte immer gute Musik. Jetzt wäre eigentlich die Stelle, an der ich sagen müsste: „Die gute alte Zeit“. Aber ich lasse es wohl besser.
Bei Brainchild indes verlief alles wie gewünscht. Wir wurden populärer dank viele Auftritte und auch immer dreister. So setzten wir uns zum Beispiel bei dem Frankfurter Büro der Plattenfirma Bellaphone (Anm. d. Verf.: Keine Ahnung, ob es die heute noch gibt) einfach ins Büro und verlangten nach einem Mann der unsere Karriere förderte. Die haben uns dann sogar noch einen Kaffee gegeben bevor sie uns absagten und raus schmissen.
Lockeres Miteinander der Musiker in der Hahnmühle
Beflügelt von dieser Aktion haben wir uns mit einem kleinen – hinterhältigen – Trick, den ich hier nicht preisgeben möchte, unerlaubter Weise Einlass in den CBS-Tower (Anm. d. Verf.: Keine Ahnung, ob es den heute noch gibt) in Frankfurt am Main verschafft. In diesem Tower gab es am Eingang nur den Pförtner, seine Rezeption und drei Aufzüge. Sonst nichts, keine sichtbaren Treppen, Sitzecken oder ähnliches. Nach dem Trick im Aufzug angekommen drückten wir irgendein Stockwerk nur um erst einmal zu verschwinden. Als der Aufzug hielt, und eine sehr junge aber gar nicht hübsche Dame in den Lift kam fragte ich sie nach dem Chefproduzenten, dessen Namen ich von Pitche wusste. Ohne sich dabei etwas zu denken nannte die Lady uns Stockwerk und den Weg zu seinem Büro. Mit dieser Information kamen wir auch bis in das Büro mit den endlos vielen Goldenen Platten (damals gab’s noch keine CD’s auf dem breiten Markt) von Tina Turner, den Stones und so weiter.
Für uns gab’s da auch was: nämlich einen satten Rausschmiss. Aber wir jubelten durch herrliche Ablenkungstaktiken einem A&R-Manager noch ein Band unter. Dann flogen wir raus. Vorbei an einem vor Wut tobenden Pförtner.
Es dauerte auch nur ein paar Tage, dann gab es den typischen Standard-Vordruck-Absage-Antwort-Brief. Aber das war uns egal. Wir bekamen gute und gut bezahlte Auftritte und bis etwa Frühjahr 1990 verlief alles echt gut. Sogar der SWF 3 (heute SWR 3) spielte eine Nummer (Together forever) von uns des öfteren. Später als der SWF 3 immer populärer wurde, entwickelte er sich trotz oder gerade wegen der hohen Beliebtheit beim Hörer, zu einem der arrogantesten Radiosendern mit den wohl arrogantesten Mitarbeitern die ich in meiner Karriere je erlebt habe.
Insgesamt hatten wir viele Auftritte in Jugendclubs und bei diversen Open-Airs. Wir waren auch noch ein weiteres mal im Studio. Wir konnten mit Fug und Recht behaupten, dass Brainchild eine der erfolgreicheren Regionalbands war. Unsere Live-Performance wurde immer besser und wir bekamen den ersten Touch Professionalität. Selbst wenn es bei Brainchild mal nicht so toll lief waren wir auf der Bühne immer genau das, was die Zuschauer sehen wollten. Wir wurden auch selbstsicherer und wenn irgendwo ein Verspieler war standen wir alle darüber. Unsere Auftritte wurden im Laufe der Monate und Jahre immer größer. Wir hatten damals auch den Proberaum gewechselt und probten jetzt ganz für uns auf einem abgeschiedenen Bauernhof. Alles lief eigentlich bestens. Nur ich hatte ein Problem.
Denn ich persönlich blieb immer mehr auf der Strecke. Unsere neueren Songs drifteten immer mehr in den Pop ab. Nach all der Zeit gefiel mir auch plötzlich der Bombast nicht mehr so wie am Anfang. Unsere Bewegung in Richtung „Spandau Ballett“ und „Chicago“ überforderte mein stimmliches Potential. Außerdem war diese Art von Musik noch nie mein Stil. Meine, für diese Musik doch zu dreckige, Stimme wurde immer weniger gebraucht.
Also habe ich nach langen quälenden Überlegungen und endlosen Diskussionen (jede Band kennt diese Art von Diskussion wohl zu genüge) den Dienst bei Brainchild kurz vor einer anstehenden Tour durch Frankreich aus eigener Entscheidung quittiert. Wahrscheinlich war das einer meiner ersten und schwersten Fehler. Ich wollte wieder etwas mehr „Back to the Roots“.
Es war eine Entscheidung, die mir sehr schwer fiel. Hatte ich doch eigentlich die Band seit Anfang der Achtziger mit vorbereitet und aufgebaut. Außerdem war ich ja nach dem Ausscheiden von Erbs dass letzte Gründungsmitglied das noch von Witness übrig war.
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