Typisch für Aquavid: Backstage genau so viele Leute als im Publikum.
Vielleicht haben wir damals musikalisch so provoziert, weil wir alle in etwa die selben Schwierigkeiten hatten. Wenn ich auch der einzige war, der so ein abgefahrenes Elternhaus hatte, so hatten wir doch alle Schwierigkeiten mit den Eltern, der Obrigkeit und der Welt an sich. Altersbedingt sicherlich nicht ungewöhnlich. Ein Psychologe würde wahrscheinlich unseren Alkoholkonsum in diese Tatsache einbetten. Aber ich glaube, gesoffen haben wir nur aus Spaß.
Wie bereits erwähnt, hatten wir mit der Zeit selbst den Kanal langsam voll und wollten in Zukunft etwas vorsichtiger mit dem Alkohol umgehen. Es wundert mich ein wenig, dass diese Erkenntnis im Alter von 18 bis 20 Jahren von selbst kam. Denn eigentlich ist nie jemand bei unseren Exzessen zu Schaden gekommen. Es gab nicht mal einen Kratzer im Auto oder ähnliches. Und das war auch gut so.
Härtere Drogen haben wir schon immer von je her abgelehnt. Ich persönlich kann mit gutem Gewissen sagen, fast keinen Gedanken an so ein Zeug verschwendet zu haben (Selbstversuche ausgenommen). Das einzige was ich probiert habe war Haschisch. Und, weil ich sonst meine Lehre nicht geschafft hätte, jede Menge Aufputschmittel in Tablettenform. Ich schätze der ganzen Band fehlte in dieser Zeit wohl Schlaf. Allerdings habe ich auch hier irgendwann festgestellt, dass das Zeug ebenso genial wie gefährlich ist. Denn man kann mit diesen Tabletten jeden gewünschten Zustand zu jedem gewünschten Zeitpunkt herstellen. Und das macht es so gefährlich. Vor allem, wenn man einen Arzt hatte, der einem auf Zuruf alles von Valium bis Rohibnol und von Kaptagon bis Ephedrin zukommen lies.
Auf jeden Fall entschlossen wir uns, in dieser Phase zu einer Image-Änderung von Aquavid. Allerdings nahmen wir vorher noch ein Demo-Band auf. Wir gingen dazu in ein kleines Studio nach Biebesheim am Rhein. Ich weiss bis heute noch nicht, wie wir an die Adresse kamen, oder wer uns dort hin brachte. Jedenfalls standen wir an einem Wochenende plötzlich im Studio. Meine erste Studioerfahrung verlief eigentlich so, wie man es sich bei den Beatles und anderen Bands dieser Ära gehört hatte. Nur weit weniger erfolgreich. Wir nahmen an nur einem Samstag fast 20 Songs auf. Das lief ganz einfach. Wir bauten in dem relativ großen Aufnahmeraum alles auf und spielten unser komplettes Set hintereinander weg. Die Tatsache, dass wir alle das Programm so endlos oft gespielt hatten und normalerweise auch mit Alkohol noch spielten, ermöglichte es uns im nüchternen Zustand ohne endlos viele Takes und Wiederholungen sofort gutes Material abzuliefern. Ich habe später nie verstanden, warum man am Anfang seiner Karriere problemlos an einem Wochenende ein ganzes Album aufnehmen kann, und wenn man zehn Jahre im Geschäft ist benötigt man – obwohl man doch vermeintlich besser geworden ist – für ein Album vier und mehr Monate.
Vorfahren, Plane hoch, loslegen... ein Überraschungsauftritt live vom LKW. in Frankfurt am Main. Diese Art von Show ermöglicht auch den schnellen Rückzug – wenn nötig.
Unser guter alter Freund Pitche besorgte uns in dieser Zeit auch einen anderen Proberaum in dem wir so oft und so lange proben konnten wie wir wollten. Der Proberaum war relativ weit entfernt von unseren Wohnorten und so konnten wir unbehelligt von Freunden an unserem neuen Image feilen. Obwohl mit unserem neuen Standort eine nicht unerhebliche Fahrerei und damit verbundene Kosten auf uns zu kamen, genossen wir es sehr.
Wir wollten wieder zurück zu englischen Texten. Wir wollten nicht mehr die Hau-Ruck Band sein. Vielleicht wurden wir auch ein bisschen reifer, vielleicht auch intellektueller. Aber auf jeden Fall war uns zu diesem Zeitpunkt klar, wir wollten Profimusiker werden. Wir wollten darum kämpfen nach oben zu kommen. Man sollte nicht mehr zu unseren Konzerten gehen, um ein paar party-fegende Halbalkoholiker zu erleben. Außerdem wollten wir für alle Gleichaltrigen spielen. Denn uns hing noch sehr lange das Verbot einiger Eltern nach, die ihren Kindern untersagt hatten unsere Auftritte zu besuchen. Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber es gab wirklich eine ganze Reihen von Eltern die ihren Kindern unsere Konzerte verboten hatten.
Hinten v.l.n.r.: Norbert Cl., Frank Wolfraum, Burkhard Gl. Vorne v.l.n.r.: Frank Gi., Andreas Sch., Bernd Lt.
Durch ziemlich beschissene Umstände trennten wir uns damals von unserem Freund Michael Rh. an den Drums. Für ihn übernahm unser Organist Fröschel die Rolle des Schlagzeugers und als neuer Keyboarder kam damals Bernd Ld., genannt Lucky, zu uns. Er ist für mich bis heute noch einer der perfektesten Musiker mit dem ich jemals auf einer Bühne gestanden habe. Auch wenn wir menschlich nicht immer so gut miteinander arbeiten konnten, so hatten wir doch nie Streit.
Mit Lucky kam dann auch eine musikalische Wende. Da er auf den Einsatz einer Orgel verzichtete (ich habe diesen Umstand immer bedauert) und statt dessen Synthesizer und diverse Keyboards einsetzte, hatten wir sofort einen ganz anderen Stil. Man kann sich als Nicht-Musiker wahrscheinlich nur schwer vorstellen, wie viel es ausmacht, wenn das Brüllen von Hammond-Orgel und Lesslie durch das Einfügen von sphärischen Streichern und ähnlichem ersetzt wird.
Man kann genau die selben Lieder spielen und erhält trotzdem ein vollkommen verändertes Hörergebnis. Trotz dieser Tatsache verwarfen wir alles alte Material und komponierten völlig neue Songs. Damals übrigens mit einer Leichtigkeit, wie ich sie mir heute manchmal wünschen würde.
Nach relativ kurzer Zeit hatten wir ein beachtliches Programm von ca. 20 Songs beisammen. Diesmal war das Material bedeutend besser durchdacht und arrangiert. Die Texte waren wieder englisch und wir fingen damals an, mit einem echten Chor – damit meine ich echten Satzgesang und nicht Unisono-Gebrüll – zu arbeiten. Da wir völlig weg wollten von dem Aquavid Image brauchten wir einen neuen Namen für diese Band. In einem alten Webster-Dictionary, dass der Ami mal irgendwann im Proberaum rumfliegen ließ, fanden wir den Namen BRAINCHILD. Was ja wörtlich übersetzt soviel bedeutet wie „Gehirnkind“. Aber sinngemäß ist es so etwas wie ein Geistesblitz oder so.
Wir hatten aufgrund unserer üppigen Arrangements und unseres neuen Stils natürlich einen gewissen Touch von Bombast-Rock der, wie wir meinten, durch den Namen Brainchild repräsentiert wurde. Aber das war Ende der Achtziger kein Nachteil. Und da Lucky auch ein sehr guter Gitarrist war, konnten wir auch durchaus gitarrenlastige Kracher bringen. Wir waren flexibler als je zuvor.
Leider blieb bei dieser Umstrukturierung der Begründer meines musikalischen Werdegangs auf der Strecke. Erbs verließ uns.
Dass ich unter dieser Trennung persönlich sehr gelitten habe brauche ich wohl nicht zu sagen. Ich werde aber hier darauf nicht näher eingehen. Unsere Besetzung war fortan Klaus (Fröschel) Mz. am Schlagzeug, Norbert (Ami) Cl. am Bass, Burkhard (Buck) Gl. an der Gitarre, Bernd (Lucky) Ld. an den Keyboards und ich als Sänger.
Beflügelt von den Einflüssen unseres neuen Sounds, wurde mein Denken immer mehr in Richtung Bombast geprägt. Ich träumte davon in einer Band zu arbeiten, die mit zwei Sängern gleichzeitig arbeitet. Aber nicht wie bei Bands wie Styx, wo die Sänger auch als Instrumentalisten arbeiten, sondern wirklich zwei echte reine und sonst nichts tuende Sänger. Ich fand einen Gleichgesinnten in dieser Idee in meinem damals schon langjährigen Freund Andreas Sch..
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