Normalerweise würde ein Mann wie er ein eigenes Kapitel verdienen. Aber das müsste er schon selbst schreiben. Andreas war damals schon eine der schillernden Figuren im Rock-Regional-Geschäft. Er hatte eine sehr einprägsame und ausdrucksvolle Stimme. Und im Gegensatz zu meinem doch wohl eher etwas dreckigen und rauen Organ eine gewisse Brillanz, die ich bis heute noch bewundere.
Sein einziger Fehler zu dem damaligen Zeitpunkt war, er hatte seine Laufbahn nach Tri-Vox und diversen anderen Bands etwa ein Jahr zuvor beendet. Er wollte auch nach langem Belabern meinerseits nicht zurück.
Als Brainchild sich in ein kleines Studio eingemietet hatte um Demobänder zu produzieren, bat ich Andreas doch bei einer Nummer Background zu singen. Natürlich hatte ich ganz andere Pläne, aber ab und zu muss man Diplomat sein. Einmal im Studio angekommen gab ich ihm seinen Text. Er bemerkte, dass der Text recht lang sei. Darauf entgegnete ich ihm, er müsse nur jede zweite Zeile singen und im Refrain die erste hohe Stimme. Der Song hieß „Together Forever“ und wurde später zu einem unserer erfolgreichsten Lieder. Nach den Aufnahmen hatte Andreas Sch. wieder Blut geleckt. Ich konnte ihn nun dazu mobilisieren bei uns einzusteigen und verwirklichte auf diese Weise einen weiteren Traum für mich.
Ein bitterer Beigeschmack der Aufnahmen war, dass die Leute in diesem Studio trotz des hohen Alters das sie hatten und ihrer Erfahrung über die sie angeblich verfügten nicht im Stande waren, mit all ihrer High-Tech unsere Songs vernünftig aufzuzeichnen. So gingen wir in ein anderes Studio und wiederholten die Aufnahmen. Dies Taten wir unter dem Protest unseres Schlagzeugers Fröschel der daraufhin ausstieg. Es folgten noch ein paar kleinere private Streitigkeiten, die aber längst beigelegt sind und die niemanden etwas angehen. Auf jeden Fall waren wir mitten in den Aufnahmen und hatten keinen Drummer mehr. Da Studiomusiker nicht in Frage kamen, wegen ihres hohen Preises und unserer beschissenen Kasse, machten wir die Bekanntschaft mit einem Drum Computer, der für die damaligen Verhältnisse und die Verhältnisse des Studios wirklich gut war. So brachten wir die Aufnahmen zu Ende und konzentrierten uns auf die Suche nach einem neuen Schlagzeuger.
Zum Thema Aufnahmen kann ich jedem nur folgende Tipps geben: Wenn jemand in ein Studio geht, sollte er sich niemals von irgend welchen teuren und bunten blinkenden Geräten beeindrucken lassen. Es entscheidet der Bediener über Gedeih oder Verderb. Des Weiteren sollte man sich immer Referenz-Aufnahmen, sprich Bänder von anderen Bands die in diesem Studio aufgenommen haben, geben lassen und sie auf den verschiedensten Anlagen durch probieren. Auch im Auto oder ähnliches. Eine gute Aufnahme klingt überall gut. Nicht nur in der Nobel-Hifi-Anlage. Bekommt man als Antwort es gäbe keine Referenz-Bänder oder man könnte sie aus irgendwelchen rechtlichen Gründen nicht bekommen, verlasst das Studio ohne Umweg. Ach ja, ein Demo-Band ist das wichtigste Utensil einer Band. Man tritt damit an Plattenfirmen, Agenturen und Veranstalter heran. Es muss also mindestens so gut sein, dass man es auf Platte pressen kann. Man sollte auch nie Freunde fragen wie es ihnen gefällt. Ohne Böses zu wollen, sagen diese Leute oft es währe hervorragend, weil sie dich nicht verletzen wollen. Aber ich muss gestehen, obwohl ich das selbst weiss, hören unsere Bänder auch heute noch zuerst unsere Freunde.
Persönlich würde ich mir heute zu allen Aufnahmen die ich mache einen unabhängigen Produzenten holen. Ein echter Profi kostet zwar viel Geld, aber wenn ich überlege wie viel Geld ich für Demos (bis heute sind es fast dreißig Stück) ausgegeben habe, hätte ich mit weniger Geld besseres Material erhalten und hätte viel Zeit und Nerven in diversen billig Studios gespart. Die Adressen von Produzenten kann man bei jeder Plattenfirma oder jedem Musikverlag erfragen.
Zurück zu Brainchild. Wir suchten noch immer einen Schlagzeuger. Wir schalteten Anzeigen und verteilten Flugzettel in Musikgeschäften. Wir erlebten Dinge, die eigentlich eher in einem schlechten Film zuhause sein sollten. Ich glaube nur Musiker können sich vorstellen was für Chaoten sich auf solche Anzeigen melden. Wenn man mal regional bekannt ist, dann wissen die Anrufer was sie erwartet und ein Großteil der Idioten verschont dich mit dummem Gehabe und Gesabbel. Aber uns kannte ja niemand. Wir waren neu und wollten uns nicht auf Aquavid berufen, da wir ja genau davon weg wollten.
Nach einem Trinker, einem Chauffeur, einem durchgedrehten Polkaspieler, einem Bauern mit Namen Sepp und diversen anderen Nervenschändern bekamen wir nach einigen Wochen einen Anruf von dem Drummer Frank Gi. Ein aus Mainz stammender Drummer mit gutem Timing und gutem Groove.
Da wir auch menschlich gut zusammen passten, stand unserer Regionalkarriere nichts mehr im Wege. Wir probten zu dieser Zeit in einer der Kultstätten der Rockmusik in den 70ern und 80ern, in der Hahn-Mühle an der A67 in Höhe Pfungstadt. Die Hahn-Mühle war ein alter, riesengroßer Bauernhof, in dem etwa 20 Bands probten. Außerdem gab es noch eine Stahlbaufirma und einen Architekten plus einen Auto- und Gitarrenlackierer und einen Chemiker mit eigener Firma. Es gab da – außer der Wohnung des Besitzers, der nebenher noch Landwirt war – noch sechs weitere Wohnungen, die vermietet waren. Alles in allem war dort 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche Leben und Party. Natürlich war da nicht nur Schönes. Denn so ziemlich alles was im Umkreis von 50 Kilometern geklaut wurde tauchte hier irgendwann auf. Außerdem roch es auf dem ganzen Hof nach Shit und auch härtere Drogen waren im Umlauf. Na ja, wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Trotzdem haben wir in diesen „Heiligen Hallen“ viel gelacht.
Zum Beispiel als ich eines Tages auf den Hof fuhr und unseren Chemiker erblickte – wir nannten ihn den „Alkimist“ (ich weiss, wie man Alchemist schreibt) – ich kam dazu, als er jeden Autofahrer der auf den Hof wollte stoppte und ihn aus dem Wagen holte, wild gestikulierte, etwas seltsame Paste auf sein Auto schmierte und darauf rum prügelte. Als ich dann an der Reihe war wollte er den Kotflügel von meinem alten Ford Granada (mein Kadett hatte ich verkauft als ich Geld für das Demo brauchte) einschmieren. Als er merkte dass der Wagen gespachtelt war ließ er ab und sagte beim nächsten mal vielleicht. Neugierig habe ich den Rest der Band aus dem Proberaum geholt und wir haben uns das weitere Spektakel betrachtet.
Unser Alkimist hatte doch tatsächlich eine Politur zusammengebraut, die den Lack vor echten Kratzern schützte. Er polierte damit ein Stück lackiertes Blech, holte aus, und schlug mit einem schweren Siegelring eine riesige Riefe in den Lack. Dann nahm er einen Lappen, polierte kurz drüber und der riesige Kratzer war weg. Wir waren beeindruckt und warteten mit ihm auf das nächste Opfer. „Der“ Nächste, dass war eine Punk-Band in einem alten Opel D-Rekord. Der Alkimist fing mit seiner Zeremonie an und als er zuschlagen wollte verlor einer der Punks die Nerven und das Vertrauen und schubste ihn weg. Der Schlag war jedoch nicht mehr zu stoppen. Er ging an der präparierten Stelle vorbei und riss eine riesige Schramme quer über die Tür. Obwohl es bei der alten Karre eigentlich egal war, rastete der Punk völlig aus und rannte wie bekloppt hinter dem Alkimisten her. Der Alkimist war sogar recht flott, und so hatten wir eine ca. 15-minütige Verfolgungsjagd wie aus einem Tom und Jerry Film und eine herrliche Schimpfkanonade eines Punks. Der Punk gab dann irgendwann auf, pfiff eine Büchse Hansa Pils ein und ging kommentarlos in seinen Proberaum, wo die anderen auf ihn warteten.
Am selben Abend hatte mich der Punk dann noch mal erschreckt, als ich im Dunkeln in die Modau, dieser Bach war unsere Toilette, pinkelte. Er kam, bunt wie er war, aus den Hecken und brüllte noch immer den Namen das Alkimisten.
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