Nach diesen klaren Worten herrschte stilles Nachdenken an Deck der Yacht. Jeder war mit eigenen Gedanken beschäftigt. Ein kaum wahrnehmbarer Jasminduft breitete sich allmählich an Deck aus. Alida, die so oft den Duft als erste verspürte hob ihr Haupt, und lächelte dem unerwarteten, und doch bekannten Gast entgegen. Sie stand abrupt auf gefolgt von Lore. Beide eilten nach Achtern. Erst jetzt erkannten die Anderen den lieben Gast. Sie sprangen alle auf und warteten dass der Gast ins Deckhaus kam. Nur Donovan blieb sitzen in seinen Gedanken vertieft.
Hände haltend betraten Alida und Lore das Deckhaus. Don folgte, danach die jungen Leute. Es dauerte eine Weile bis sie Magda begrüßten. Als wenn die trüben Gedanken der Diskussion wie durch eine Windböe weggeblasen waren, verbreitete sich eine ansteckende Fröhlichkeit aus.
„Mr. Donovan, darf ich Ihnen Frau Pantera vorstellen. Das ist die Dame die Ihnen im Traum so arg zugeredet hat.“ Diese charmante Vorstellung holte Donovan zurück in die Gegenwart. Er wischte seine verschwitzte Hand an der Hose ab, streckte sie mutig der unbekannten Frau entgegen, die sie einfach ignorierte. Stattdessen nahm sie mit beiden Händen Donovans Kopf und küsste ihn auf die Stirn. Er stand da, sprachlos, unsicher was demnächst passieren werde. Magda drückte ihn sanft in den Stuhl hinein.
„Setzt euch bitte, macht es euch bequem“, sagte sie. Sie mochte einfach nicht im Stehen reden.
„Magst du ein Glas eiskalte Limonade Tante Magda?“, wagte sich Susi zu fragen.
„Danke, sehr gerne.“ Sie wandte sich anschließend an Donovan. „Du siehst etwas mitgenommen aus Bruder Donovan. Ich nehme an die jungen Leute haben dich mächtig verunsichert. Es wäre bestimmt verfrüht zu fragen, was du mit deinem restlichen Leben anfangen willst.“
Donovan blickte sie verlegen an der zugleich von ihrer gütigen Ausstrahlung fasziniert war. Viele Geschichten hörte er von Erscheinungen der Mutter Gottes und anderen Heiligen. Erzählungen vom Hörensagen von alten Menschen oder Dorfweibern, die ähnliches angeblich bezeugen konnten. Die Popanze nahmen solche Mythen nie wirklich ernst, versuchten sie aber doch im Nachhinein sehr werbewirksam in bare Münze umzusetzen.
Seit Donovan unter diesen jungen Menschen weilte, fühlte er sich in eine surreale Welt versetzt, in der alles Unvorstellbare machbar, alles Undenkbare zur nüchternen Realität geworden war. Ihm wurde auf einmal bewusst, wie wenig er und seiner Bruderschaft von den Menschen und der Welt wusste. Die bis in den Exzess mystifizierten Galionsfiguren der Mutterkirche offenbarten sich ihm als ganz gewöhnliche Menschen, wie soeben die Erscheinung der Magda. Ihr Verhalten ihm gegenüber empfand er als eine ganz normale Begegnung. Er begriff in diesem Moment, wie die Mystifizierung eine gewaltige Entfremdung der religiösen Charaktere bewirkte. Der Klerus katapultierte alles was er nicht beweisen konnte und durfte in den abstrakten Himmel. Stattdessen lieferte er mystische Absurditäten. Donovan fasste endlich Mut, die ihm gestellte Frage sachlich zu beantworten.
„In der Tat Schwester Magdalena, bin ich bis an die Knochen total verunsichert. Als Bluthund abgerichtet, sehe ich kaum eine Chance ein Schoßhund zu werden. Zweifelsohne ist es ein berauschendes Gefühl unter reinen Seelen zu sein. Was aus mir werden soll, bin ich nicht gewohnt selbst darüber zu entscheiden. Seit meiner Jugendzeit träume ich davon aus den Fesseln dieser Bruderschaft zu entfliehen. Jetzt wo ich ausgestiegen bin, weiß ich nicht wo ich hingehöre.“
„In der gleichen Zwangslage stehen Millionen von Menschen, die zwar keine abgerichteten Bluthunde sind, jedoch Mitwisser. Jeder der einen Krieg miterlebt hat, weiß aus eigener Erfahrung, wie wenig man sich auf die Gottesmänner und deren Verheißungen verlassen kann. Immer und immer wieder stellen die verzweifelten Menschen die gleiche Frage: Oh Gott wie kannst du so etwas zulassen? Auf diese einfache und berechtigte Frage bekommen die Gläubigen nie eine Antwort. Auch diejenigen, insbesondere die Frauen, die ihre Schreie an meine Schwiegermutter richten: Oh heilige Mutter Gottes, hilf uns in unserer Not . Auch sie bekommen keine Antwort. Warum das so ist, fragen sich viele. Zunächst betrachtet sich meine Schwiegermutter nicht als Mutter Gottes, nicht von dem Gott, vor dem die Leute so ehrfurchtsvoll in den Gotteshäusern beten. Dieser Gott hat nie eine Mutter, sondern nur einen Erfindervater gehabt. Mit dieser unsäglichen Erfindung sind die Gottesmänner noch lange nicht fertig. Wie gesagt, aus diesem Dilemma kommen nur wenige heraus.“
„Mein Dilemma ist nicht religiöser Art, liebe Schwester Magdalena. Morgen werden meine Auftraggeber wissen wollen, wann ich gedenke meinen Auftrag zu erledigen.“
„Mach dir deswegen keine Sorgen Donovan. Morgen wird die Welt aus den Zeitungen erfahren, wie eine Touristengruppe, rein zufällig versteckte Munitionslager in den unterirdischen Kavernen von Rabaul entdeckt haben. Somit bist du aus dem Schneider. Die Zeitzünder die du im Koffer mitgebracht hast, werden wir irgendwo in der Tiefe des Ozeans versenken. Von dieser Warte her kannst du dich bei deinen Brüdern unbefleckt wieder einklinken. Solltest du mit uns nach Palau segeln wollen, bist du willkommen. Das Dilemma ist aber nach wie vor da”, meinte Ezra.
„Wenn ich mich nicht melde werden sie mich als verhaftet betrachten und eine neue Truppe mit anderen Killern schicken. Damit ist dem ahnungslosen Volk von Rabaul wenig geholfen. Den einzigen vorübergehenden Ausweg sehe ich darin, meinen Verein wissen zu lassen, dass ich für eine Weile untertauchen musste. Das verschafft mir Zeit zum Nachdenken. Ich wüsste deshalb keinen sicheren Platz zum Untertauchen, als auf eurem Schiff nach Palau zu segeln.“
„Wie willst du dann Kontakt aufnehmen?“, wollte Edy wissen.
„Vom Postamt ein Ferngespräch nach Melbourne führen oder ein Telegramm schicken.“
„Wenn du mit uns segeln willst, musst du morgen sehr früh zum Postamt eilen. Dir steht es auch frei gleich von hier weg zu gehen, deinen eigenen Weg suchen oder nach Panama fliegen und deinen Bossen über uns berichten. Du wirst in keiner Weise von uns gehindert.“
„Worüber soll ich denen berichten? Von einem neumodischen Computer, von der Erscheinung der Magdalena und meine Unterhaltung mit ihr. Von den jungen Leuten, die sich über Gott und die Welt bis Mitternacht unterhalten. Das mit der Erscheinung würde schon reichen mich in eine Schwitzkammer einzusperren, von wo aus der Weg zum Fleischwolf der kürzeste ist. Auch dann, sollte ich meine Klappe halten, hätte ich meine Misere nur um kurze Zeit erträglicher gemacht. Wann bekomme ich noch einmal solch eine Chance spurlos auszusteigen?“
„Ich sehe Bruder Donovan, du hast deine Überlegungen rund um abgeschlossen, zumindest was deine Rückkehr anbelangt. Wie oft kommt es vor, dass einige von euch durchdrehen oder das Weite suchen?“, fragte Magda.
„Die Jüngeren resignieren sehr früh, die Abgebrühten werden schnell zum Ausbilder befördert oder bekommen einen lukrativen Posten bei einer skurrilen Behörde. Sehr wenige von uns werden alt, zumindest kenne ich keinen über fünfzig. Der Nachschub an Waisenbuben ist enorm und die Popanze gehen sehr locker mit dem frischen Fleisch um.“
„Du sollst wissen Bruder, dass wir über alles wachen und alles wissen. Wir die zeitlosen Seelen sind jedoch der absoluten Neutralität verpflichtet und greifen nur im äußersten Fall in das Geschehen ein. Diese jungen Leute sind eher der relativen irdischen Neutralität verpflichtet, daher verfügen sie über einen wesentlich größeren Spielraum. Weder die einen noch die anderen sind befugt im irdischen Sinne Gewalt anzuwenden, über andere zu richten oder Menschenseelen zur Gewaltanwendung zu ermuntern.
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