Schön, dass wir uns einig waren.
Schlecht, dass Ole aber mich berührte. Ganz tief. Mir kribbelten sämtliche Extremitäten, wenn ich an ihn dachte und mir kitzelten die Haarwurzeln, wenn er an mich dachte.
„Mal sehen“, höre ich mich also sagen, als mir der Personalvermittlungsmensch aus meiner pinken Klappscheußlichkeit heraus von Hamburg erzählt, und weiß eigentlich von Anfang an, dass ich nicht fahren werde. Nach Hamburg. Für EINEN Abend. Für eine Party, auf die ich keinen Bock habe.
,,Und außerdem habe ich ja keine Unterkunft“, murmele ich ins Telefon und „‘Tschuldigung, kann ich hier mal raus?“, drängle ich mich an dem nickenden, grinsendem Jungspund vorbei, der mich die ganze Zeit des Telefonats über angeschaut hat. Für einen kurzen Augenblick scheint es so, als ob er mich auf der Wanderschaft entlang des Ufers der Erinnerung begleitet hatte.
„Ich habe aber nicht mal eine Unterkunft“, nehme ich den Faden mit dem Personalvermittler wieder auf. Dabei drehe ich mich noch einmal ganz wie im Film zu dem Jungspund um und zwinkere ihm zu. Woher sollte die Inspiration für Filme kommen, wenn man solche Momente im richtigen Leben nicht anwendet?
„Das klären wir hier vor Ort“, klingt es aus meinem Telefon und auf einmal ist es still.
Ich jedoch bin innerlich ganz aufgewühlt. Der spinnt doch wohl. Tickt der noch ganz sauber? Hat der einen Hasch-mich? Was glaubt der eigentlich, wer er ist. Außerdem ist am gleichen Tag auch der Geburtstag meiner Großmutter und da kommen alle hin – Oma Lisbeth und Tante Irmchen und der dicke Onkel Hans, der mit den Schuppen auf dem Jackett. Fest entschlossen, nicht nach Hamburg zu fahren, klappe ich mein Telefon wieder zu, lasse es in meine Manteltasche gleiten und schaue langsam der U-Bahn hinterher.
,Wieder eine verpasste Chance‘, denke ich, trolle mich nach Hause und zolle der Woche ihren Tribut. Ich lasse den Freitagabend mit Günther Jauch und einem Glas Sekt ausklingen und schlafe mich traumlos ins Wochenende.
Der Morgen danach.
„Samstag ist Selbstmord“ singt Tocotronic aus dem Radio und ich weiß auch, warum. Das Wetter typisch grau. Von Sonne weit und breit keine Spur. Die Frisur sitzt. Das Kleid ist stramm. Die neue Bauchwegstrumpfhose tut ihren Dienst. Nach einem ausgiebigen Frühstück sage ich die Party ab, natürlich per SMS, wie man das heutzutage so macht, und mache mich fertig für meine Familienfeier. Zupfe noch einmal an den Haaren, ziehe meinen Lidstrich nach, tupfe neues Lipgloss auf und düse los.
Bei Großmuttern vor der Tür angekommen, muss ich erst mal einen Parkplatz suchen und mich dann durch den Schnee zu ihrem Haus kämpfen. Vielleicht liegt es daran, dass ich völlig aus der Puste bin, als ich bei der Familienfeier ankomme, vielleicht liegt es auch an der Vielzahl permanent frierender alter Menschen, aber als ich ins Haus eintrete, trifft mich fast der Hitzschlag. In einem viel zu kleinen, völlig überheizten Zimmer, die Tapete viel zu hässlich und zu altbacken um schon wieder cool zu sein, sehe und höre ich meiner ganzen Verwandtschaft beim Netzwerken zu. Sie tratschen über die Dicke aus dem Nachbarhaus, meckern über die Lokalpolitik und jammern über die neuen Zeiten. Noch ehe ich richtig aus dem Mantel bin, stelle ich fest, dass mein Kleid viel zu schön ist für hier und ehe ich mich über irgendetwas ärgern kann, wird das Wort an mich gerichtet. Ein virtuelles Mikrofon wird von Tante zu Onkel zu Cousin zu mir weitergereicht.
„Kind, du sagst ja gar nix“ – und in dem Moment fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich habe das Gefühl, die kam gar nicht so unerwartet, ich meine, das müssen die doch gesehen haben? So eine Decke fällt ja nicht mal einfach so von oben herunter.
Wer oder was mich in diesem Augenblick reitet, meinen Schlüssel wieder in die Hand zu nehmen, wortlos aufzustehen und aus der Wohnung zu verschwinden, kann ich bei späterer Auswertung unter Weibern auch nicht mehr recht sagen.
„Ich bin mal eben Zigaretten holen“, höre ich mich noch sagen und hinterlasse eine verwunderte Familie, die sich nicht erklären kann, wann und warum ich mit dem Rauchen angefangen habe. Dass ich nicht wiederkomme, merken sie in ihrer Unterhaltung, in der sie die Geschehnisse der letzten fünf Minuten, die „Jugend von heute“ und das Rauchen auswerten und verfluchen, gar nicht.
Wie die „unsinkbare Molly Brown“ stürme ich zum Wagen und folge der Stimme des Navigationsgerätes – oder der Stimme meines Herzens – gen Norden, gen Hamburg. Ohne Unterkunft, ohne den Kerl von dieser Personalvermittlung zu kennen, aber trotzdem mit einem guten Gefühl im Bauch.
,There goes still something‘ und ich weiß, heute Abend habe ich Sex wie ein Mann. Heute ist jemand fällig. Heute wird gevögelt.
Glücklicherweise habe ich meinen Standard-Buko immer im Auto: Gummis, Tampons, Zahnbürste, frischer Schlüppi, Bürste, Mascara, Abschminktücher, Hygienetücher, Sagrotan-Spray...das Übliche eben.
Während der Fahrt diskutiere ich mit dem Navigationsgerät die beste Route aus und schreibe Ole (an dieser Stelle höre ich meine Mutter murmeln: ‚Kind, so was macht man nicht, und wenn, dann schreibt man das nicht auf, das muss ja keiner wissen‘), dass ich ZUFÄLLIG in der Stadt sei und wenn er wolle, könne er mich sehen. Ich gebe die Partydetails und Location durch und zittere so sehr vor Aufregung, dass ich kaum den SENDEN-Knopf finde.
In Hamburg angekommen, stelle ich fest, dass die Ausgangsbasis für die Party sechs Querstraßen von Oles Wohnung entfernt ist. Danke, liebes Universum. Schön, dass du meinen Wunsch nach Oles Nähe so ernst genommen hast!!!
Der Typ von der Personalvermittlung heißt Thomas, Thorsten oder Tobias – die heißen da ja alle so – und stellt sich als Flachzange raus. Optisch nicht der Renner und auch sonst eher mal mau. In seinem Polohemd und seiner Jeans, die eine Nummer zu weit ist, damit man nicht zu viel von der vermanschten Figur sieht, ist er die ideale Besetzung für „Muttis Bester“. Aber in mein Beuteschema passt er leider nicht.
Auch seine mitgebrachten Kumpels sind keine reizvollen Kerle. Sie haben offensichtlich die Polohemden im Doppelpack bekommen und sich beim Jeanskauf gegenseitig beraten. Die Jungs sehen aus wie aus dem gleichen Ei gepellt. Leider sind sie durch und durch nette und spendable Kerle. Da „nett“ aber auch der Hund vom Nachbarn oder aber die kleine Schwester von „Scheiße“ ist und weder Thomasthorstentobias noch einer seiner Kumpel brauchbares Vögelmaterial sind, beschließe ich fast simultan mit meinem Eintreffen, mich nach anderen Möglichkeiten der lustvollen Fortpflanzungsbewegung umzuschauen.
In einem der Zimmer liegen Isomatten und Schlafsäcke und Thomasthorstentobias sagt: „Wir können ja zusammenrutschen. Nach einem tollen Abend, gerade nach so einer Party wie der, die wir noch vor uns haben, schläft man eh nicht so viel und dann merkt man auch nicht mehr, wer da neben einem liegt. Na, klingt doch prima, oder, Nora Schmidt?“
Dabei haut er mir verschwörerisch auf die Schulter und erstickt damit auch den leisesten Zweifel, ob er nicht unter Umständen nach viel Alkohol, wenn sich kein anderer in der Nähe befindet, zum vögelbaren Material überwechseln könnte. Kann er nicht.
Mentale Note Nora Schmidt: In diesem Bett schläfst du nicht!
Der Abend ist jung, man soll den Tag ja nicht vor dem selbigen loben. Ich bin in Hamburg, weit entfernt von der Blümchentapete meiner Großmutter und den Trudchens und Trautchens meiner (allerdings an diesem Abend weniger) heiß und innig geliebten Verwandtschaft und vor allem von dem allzu köstlichen Bienenstich, dem ich für einen kurzen Augenblick ein wenig hinterher weine. Jedoch bin ich nicht weit von Ole entfernt und das ist alles, was in diesem Moment zählt. Ich ziehe also mit den Jungs um die Häuser, mache Party mit Tobiasthomasthorsten und seinen Kumpels in diesem neuen Megaschuppen und schaue immer mal wieder verstohlen auf mein Telefon.
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