All diese tollen, liebenswerten Eigenschaften versteckten sich im Alltagsgrau unterm Küchenschrank. Ich bekam sie selten bis nie zu Gesicht und da ich mich (blöd, wie ich damals war und dabei noch dachte, das Richtige zu tun) an- und ausschalten ließ wie die Sportschau und nie laut wurde, um Jim daran zu erinnern, dass es mich in seinem Leben gab, befasste er sich lieber mit der Fernbedienung oder mit dem Joystick seiner PlayStation als mit mir.
Nach einem heftigen Start in die Beziehung waren Tage und Nächte gleich, es gab kein Hell und kein Dunkel, kein Kalt und kein Heiß. In der gemeinsam eingerichteten lauwarmen Blase fühlten wir uns gut. Aber eben nie mehr als das. Die Leidenschaft ist nie mit eingezogen und so litt ich darunter, dass mir seine Liebe nicht unter die Haut ging. Trotz all der der Wärme und Sicherheit, berührten seine Worte meine Seele nicht und ich hatte die Gewissheit, dass der Zeitpunkt gekommen war, jemand zu finden, der mich tief im Inneren berührte.
Ich fand mich zu jung für Heirat und Kinder. Vor allem aber fand ich mich zu jung für ein emotional unerfülltes Leben. Man munkelt, dass bei den meisten Ehepaaren, die länger als 10 Jahre verheiratet sind, der Weihnachtsmann öfter kommt als sie selber. So wollte und durfte ich nicht enden. Ich hatte das Gefühl, dass ich, Nora SchmiDT mit „DT“ mit meinen 28 Jahren zu etwas Höherem berufen war, als einer lauwarmen Beziehung. Dass es mehr geben musste, als vor mich hin zu leben und darauf zu warten, dass etwas Besseres geschieht. Ich hatte das Gefühl, ich musste dieses „Besser“ leben, erleben und in meinem Leben erlauben.
Mit jedem Kilometer, den dieser Zug also zwischen das Ruhrgebiet und mich brachte, fühlte ich mich leichter und sicherer und wusste, ich betrete unbekanntes, aber neues, aufregendes Land. Ein neues Leben tat sich vor mir auf und jede Träne, die ich trotz allem weinte, verabschiedete mein altes Leben und hieß das neue willkommen.
Ich war Nora Schmidt. Ich war 28. Ich hatte die beste Zeit meines Lebens vor mir. Hoffte ich...
Rhabarberschorle Prelude
No more champagne
And the fireworks are through
Here we are, me and you
Feeling lost and feeling blue
It's the end of the party
And the morning seems so grey
So unlike yesterday
Now is the time for us to say...
Abba "Happy New Year''', 1979
Irgendwo im Allgäu.
Schnee fällt.
Eine Kirchenglocke läutet das neue Jahr ein. Es ist still und doch summt die Luft.
Keine Raketen, nur die Wunderkerzen, mit denen wir unseren Namen in die sternenklare Nacht schreiben, knistern leise ihr vergängliches Lied.
Ich stehe im Schnee in zu dünnen Schuhen, hinter mir Menschen, die ich noch nie gesehen habe und auch nicht kennenlernen möchte.
Ich friere.
Ich frage mich, wie um alles in der Welt ich hier her gekommen bin und möchte im Moment doch nirgendwo anders sein.
Rhabarberschorlen-Ole
He was my North, my South, my East, my West,
My working week and my Sunday rest.
My noon, my midnight, my talk, my song,
I thought love would last forever: I was wrong.
W. H. Auden "Funeral Blues"
Wikipedia.de sagt: [...] Sex erfüllt zahlreiche Funktionen: Er befriedigt die Libido, dient in Form des Geschlechtsverkehrs der Fortpflanzung und drückt in der Regel als wichtige Form der sozialen Interaktion Gefühle der Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe aus. Besonders in Liebesbeziehungen kann das Sexualleben eine zentrale Rolle als Ausdruck der Verbundenheit der Partner spielen. Er ist jedoch nicht ausschließlich an Liebesbeziehungen bzw. Partnerverbundenheit gekoppelt.
Emma.de sagt: [...] Das nie verwirklichte Hippie-Ideal "Make love not war" wird im Garten Eden zwischen dem Kongo-Strom und den Flüssen Lomami und Kasaif... völlig selbstverständlich in die Tat umgesetzt – allerdings nicht von Menschen, sondern von Menschenaffen: den Bonobos, bei denen die Frauen den Ton angeben. (Ausgaben „März/ ApriI 2009/ Bonobo-Affen“)
Nach dem Abschied von Jim falle ich in mein Kleine-Schwester-Syndrom zurück.
Ich.
Will.
Mehr.
Ich bin hungrig. Ich bin hungere nach allem. Ich bin hungrig auf gutes Essen in durchgeknallt teuren Restaurants. Es lüstet mich nach wilden Exzessen, nach durchgemachten Nächten und durchtanzten Schuhen. Ich bin durstig auf das Leben, das da vor mir liegt. Ich verzehre mich nach Überfluss, ich sehne mich nach allem, was ich in den letzten Jahren nicht hatte.
Ich bin hungrig auf MEINS. Eigene Wohnung, eigener Job, in dem ich mich definieren kann, eigenes Geld, eigenes Bankkonto. Die kleinen Dinge im Leben eben.
Ich freue mich auf alles, was jetzt vor mir liegt – Kultur, Liebe, Sex, Essen, Arbeiten. Ich bin hungrig nach Dingen, die ich noch nie gemacht habe und zu denen ich bisher auch nie die Möglichkeit oder das Geld oder die Freiheit hatte, sie zu tun. Darüber hinaus lüstet es mich nach Männern. Gerade in diesem Zusammenhang bin ich hungrig nach Dingen, von denen andere Menschen glauben, „das geht doch nicht, das kann die nicht machen!“. Eines dieser Dinge ist, Sex zu haben wie ein Mann.
Aber Irrtum. Das geht. Auch Frauen können Sex haben wie ein Mann.
Erwartungsfrei und voller Spaß, die Lüsternheit im Blick, nicht an Morgen denken. Einfach alles vergessen, was man je gehört hat über Frauen und Männer und die Bienen und die Blumen. Wenn man vorher ein wenig getrunken hat, geht es noch viel einfacher. Vor allem das mit den Erwartungen, denn man kommt nicht mehr zum Nachdenken.
Lass mich klarstellen, geneigte/r LeserIn: Männer vögeln.
Bei ihnen ist es fleischliche Lust, die nicht emotionslastig ist. Der Schwanz denkt, der Schwanz lenkt und der dazugehörige Kerl läuft seinem besten Freund hinterher. Die Befehlszentrale verlagert sich in den Genitalbereich und zieht ca. 15 Sekunden nach dem Abspritzen wieder in den Kopf, denn dann wird entweder Bier gewünscht oder die Sportschau oder die Alte aus dem Bett. Gern auch alles drei gemeinsam.
Frauen machen Liebe.
Frauen kuscheln, die wollen Sekt und Kerzen und wilde Verrücktheiten ins Ohr geflüstert bekommen, gern auch in italienischer Sprache. Muskeln, die durch ein sauberes (!) Schiesser-Feinrippunterhemd und einen Dreitagebart unterstrichen werden. Das Aftershave dezent und nur bei direktem Hautkontakt der weiblichen Nase am männlichen Hals wahrnehmbar. In der kommenden Zeitspanne, die gern zwischen zehn Minuten und zwei Stunden liegen kann und die zwischen Erfolg und Misserfolg entscheidet, muss der Mann ganz tapfer sein. Er muss Geduld beweisen und ganz viel Fingerspitzengefühl an den Tag (oder den Venushügel) legen. Ein falsches Wort, ein falscher Blick und schon ist die Schlacht verloren. Führen die italienischen Vokabeln und die Fingerspiele jedoch zum Ziel und die Frau öffnet ihre Lotusblüte, dann will sie lange, intensive Bewegungen. Diese, verbunden mit Schwüren der ewigen Liebe (am Besten nicht auf Schwäbisch oder ähnlich unattraktiven Dialekten vorgetragen), führen auf direktem Weg in die Zielgerade. Sollte sich der Mann nach dem Liebesspiel zu einer innigen Umarmung und sogar einem Kuss mit Zunge hinreißen lassen, ist ihm ein Wiedersehen und eine Fortsetzung gewiss.
Bleibt die Frage: wie vögeltdenn nun also eine Frau?
Nun ja, an einem Freitagabend mit einer langen Woche hinter mir, stellt sich das in etwa so dar:
RlNG, RlNG.
RING, RlNG.
RlNG, RlNG.
Warum ich mein Telefon ausgerechnet auf den Ritt der Walküre eingestellt habe, weiß ich immer noch nicht so recht. Hektisch in meiner Tasche kramend, finde ich irgendwann das nervige Handy.
„Links unten“, sagt meine Mutter immer. Häh? „Na ja, wenn du etwas in einer Damenhandtasche suchst, dann findest du es im Normalfall links unten.“
Читать дальше