„Du weißt was ich mir wünsche?“
Das ging mir zu weit, auch wenn er eine durchaus große Menschenkenntnis besitzt.
„Ich erkenne dein Inneres. Dein Herz und deine Seele wollen Frieden. Du brauchst mehr Humor. Lebe wie ein Kind. Genieße jeden neuen Tag und denke nicht wie was war. Grüble nicht über die Zukunft nach. Sie kommt meist anders als du es dir vorstellst.“
„Ja, ist ab und zu so. Manchmal kommt was dazwischen.“
„Wie reagierst du, wenn so etwas passiert?“
„Etwas verärgert. Je nach dem.“
„Das ist dein Gemüt!“
„Sicher“, sagte ich. „Alles ist nicht angenehm.“
Max: „Da hast du Recht. Komm, las uns noch etwas bergauf gehen. Ist es nicht so, daß unvorhergesehene Dinge zum Leben gehören?“
„So ist das Leben“, gab ich zur Antwort. Dabei war ich mehr beschäftigt das unwegsame Gelände zu meistern. Es war dafür die kürzeste Route zum Gebirgsbach. Ich wusste nicht was er dort wollte. Wasser hat er selbst genug am Brunnen seines Hauses.
„Gehe voraus!“, wies er in die entsprechende Richtung und stupste mich freundschaftlich an.
Ich vermutete, daß er mir etwas zeigen wollte.
Am Bach angekommen sollte ich über einen breiten Holzstamm balancieren. Er war an dieser Stelle knietief und knapp drei Meter breit. Der Stamm war etwas glitschig. Auf halben Weg drehte er sich plötzlich unter meinen Füßen. Daraufhin verlor ich das Gleichgewicht und flog in das kalte Wasser. Als ich schnell ans Ufer watete sah ich Max mit einem Bein auf dem Baumstamm stehen.
„Was soll denn das?“, fragte ich verärgert. Das Wasser war wirklich kalt und ich fror.
„So ist das im Leben!“, antwortete er mir. Wenigstens lachte er mich nicht aus. Nach dem kleinen Scherz hatte ich das zwar erwartet, doch er tat es nicht. Was wollte er?
„Mir ist kalt. Ich möchte zurück. Das macht wirklich keinen Spaß!“
„Du brauchst nicht umzukehren. Folge mir einfach. Außerdem muss nicht alles Spaß machen im Leben. Hast du selbst gesagt. Und ein Zurück gibt es nicht.“
Er stand am Baumstamm. Jetzt war für mich die Gelegenheit der Revanche gekommen. Ich beugte mich vor, ergriff den Stamm und wollte ihn drehen. Er bewegte sich einfach nicht.
Während Max unbeschwert an mir vorbeiging sagte er: „Der Stamm und ich sind zu schwer für dich!“
Ich hätte mich wirklich gefreut, wenn er auch ins Wasser geflogen wäre.
Gerade, als ich mich über mein Misslingen ärgern wollte rief er ohne sich umzudrehen: „Komm, du solltest dich aufwärmen.“
„Wo denn bitteschön?“, fragte ich noch etwas mürrisch.
Die nasse Kleidung und die kalte Luft waren bereits unangenehm. Die Gedanken ihn zu überlisten verflogen.
Hinter einem Hügel sah ich Dampf aufsteigen. Als ich näher kam stand ich vor einer Art Zelt, was mich von der Form an ein Iglu erinnerte.
„Was ist das? Zum aufwärmen?“
Hinter dem Zelt sah ich noch einen Bären. Er war sicher im gleichen Alter wie Max.
„Hallo kleiner Bär!“, begrüßte er mich.
„Hallo!“, entgegnete ich.
„Ich bin Yvo und das ist eine Schwitzhütte. Sie ist extra für uns vorbereitet.“
„Danke!“ sagte ich, ohne zu wissen was das zu bedeuten hatte. Für uns sagte er. Es war alles geplant stellte ich fest. Mein Ärger verflog. Außerdem hatte ich gelernt, daß genau das, was man sich selbst vorgibt und gedankenlos daherplappert zu leicht wirklich passieren kann.
Yvo reichte mir und Max einige Körner, welche wir zerkauten und mit etwas Wasser einnahmen.
„Lege deine nasse Kleidung ab und komm herein!“, forderte mich Max auf.
„Hier dampft dein Gemüt ab und du kannst dich aufwärmen.“
Er war wirklich gut vorbereitet und ich hatte das Gefühl alles war zu meinem Besten.
Meine Kleidungsstücke legte ich über ein Holzgerüst, welches dafür vorgesehen schien.
Ich bemerkte, daß seine Worte mich auf mein inneres Ungleichgewicht hinwiesen.
Manchmal ist das Gemüt zu hitzig, und wir als Menschen sind dabei oft sehr kalt anderen gegenüber.
Der Sturz ins kalte Wasser war ein Gleichnis meiner inneren Einstellung. Wenn man stürzt, gibt es nur den Weg nach vorn. So lange man wieder aufstehen kann geht es weiter. Und kaltes Wasser macht wach. Normalerweise.
In der Schwitzhütte war es dunkel. Die glühenden Steine in der Mitte ließen kaum Licht durch.
Max: „Wir wollen hier zusammen ausruhen. Lass von all deinen Gedanken und Sorgen ab. Hier bekommst du einen klaren Kopf.“
Ich versank in einen Zustand der Ruhe.
Yvo kam in die Schwitzhütte. Der Eingang konnte dicht verschlossen werden. Er legte etwas feuchtes Gras mit verschiedenen Kräutern auf die Steine. Dadurch entstand Dampf, der angenehm wärmte. Meine Poren öffneten sich und ich atmete den Duft und die Frische ein. Es war, als ob mein ganzer Körper atmete. Ich entspannte und fühlte mich wohl. Dabei war ich sehr aufmerksam. Meine Sinne schienen auf Hochtouren zu Laufen.
„Nun werde ich unsere Ahnen herbeirufen.“
„Unsere Ahnen?“, fragte ich verdutzt.
Yvo: „Du kannst uns vertrauen. Bleibe entspannt.“
Langsam versank ich in eine bleierne Schwere. Überhaupt fühlte sich mein Körper sehr träge an. Max schlug eine kleine Trommel und gab einen Gesang von sich, dessen Worte ich nicht verstand.
Yvo entzündete eine Pfeife. Er zog einige male kräftig und reichte sie wortlos an mich weiter. Auch ich sog einige Züge in meine Lungen ein. Der Gesang und Trommelwirbel schien lauter zu werden, schneller und intensiver. Er zog mich in seinen Bann. In meinem Kopf drehte es sich. Ich versuchte Max oder Yvo zu sehen. Alles wurde jedoch nur schwarz. Auch die minimal durchschimmernde Glut verschwamm zu einem Nichts. Max´ Gesang versetzte uns in Ekstase. Ich wusste nicht was mit mir geschehen wird. Am Höhepunkt seines Gesanges hielt Max inne. Es war absolut still. Ich hörte, wie auch er einige tiefe Züge inhalierte. Ich nahm das Geräusch meines Herzschlages wahr. Der Puls hämmerte in meinen Ohren. Yvo schien ihm die Pfeife abzunehmen, denn augenblicklich setzte Max´ seinen Gesang und Trommelwirbel wieder fort.
Sein Gesang rückte nach einiger Zeit in die Ferne und wurde immer leiser. Ich vernahm ihn nur noch leise und weit entfernt. Obwohl mein Körper bleiern war, behielt ich eine hohe innere Aufmerksamkeit, die mich vereinnahmte. Ich tauchte in einen tiefen Trancezustand ein, von dem ich absolut überwältigt wurde. Mein Zustand war unbeschreiblich. Ich glaubte mein Kopf hing, oder sei irgendwie verschoben und nicht am richtigen Platz. Mir viel auf, daß dieses eigenartige Gefühl am ganzen Körper wahrnehmbar war. Ich drehte mich, oder alles um mich herum drehte sich. Es war als ob ich tanzte. Anders ausgedrückt war es eher so, als wurde ich von etwas getanzt. Ich genoss einfach diesen Taumel und gab mich dem Ereignis voll hin.
Ich überschritt meinen physischen Grenzbereich. Durch die Tiefe der Trance war ich frei geworden. Wie lange dieser Zustand anhielt, weiß ich nicht. Ich fühlte mich wie entrückt.
Durch das Erleben und die Verwunderung war ich mit mir selbst und allen Dingen um mich glücklich. Irgendwann bemerkte ich, daß es in unserer Schwitzhütte ganz still geworden ist. Ich fühlte eine innere geistige Kraft in mir aufsteigen, die ich kaum in Worte kleiden kann.
Dieses Gefühl erfüllte mich total. Ich verschmolz mit dem Geschehen. Dabei wurde mir meine Verbundenheit mit der der Gesamtheit aller Dinge bewusst. Meinen Körper fühlte ich in dem Zustand kaum noch.
Von Max und Yvo vernahm ich nur noch leise Worte und sah farbige Nebelschwaden. Es war, als ob sie lebendig wären und durch die Schwitzhütte gleiten würden. Jetzt konnte ich Max´ Körper sehen. Er schien von innen heraus ein sanftes goldenes Licht zu verbreiten. Yvo verstrahlte ein ähnliches Licht. In meinen Augenwinkeln, es war, als ob ich fast rundherum sehen kann, wurde ich einer dritten Person gewahr. Dort saß ein dritter Bär. Er strahlte Zuversicht und Weisheit aus. Ich akzeptierte die Gegebenheiten einfach ohne nachdenken zu müssen. Mein Gefühl sagte mir, daß er ein Ahne von Max und Yvo ist. Als ich das vermutete nickte er mir lautlos und freundlich zu. Seine Aura umgab eine Güte und solch aufrichtige Herzlichkeit, daß ich mich richtig wohl fühlte.
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