Ich beobachtete eine Szenerie.
Am Dach des robusten Holzblockhauses sah ich Eiszapfen herabhängen. Es war vermutlich sein Elternhaus. Zügig rinnt das Schmelzwasser an ihnen entlang und tropft in den Schnee. Das Tauwetter kündigt die Schneeschmelze an. Vor einem der Fenster kann ich vage ein kleines Gesicht erkennen, dessen Nase sich leicht an die Scheibe drückt.
„Max, nimm deine Nase bitte von der Scheibe weg“, ertönt eine vertraute Stimme.
Im selben Moment rumpelt es plötzlich, und Max weicht erschrocken zurück. Er sieht nur noch weiß vor sich. Der Himmel und die Berglandschaft sind auf einmal verschwunden. Allmählich taucht die vertraute Landschaft durch den weißen Nebel hindurch wieder auf.
„Eine Dachlawine, der Frühling kommt endlich!“, entgegnet Max seiner Mutter, während er noch einen etwas überraschten Gesichtsausdruck macht. „Schade, ab heute kann ich nicht mehr im Schnee spielen, da werde ich bloß nass und der Schlitten rutscht nicht mehr richtig.“
Max´ Vater steigt die Kellertreppen hinauf.
„Schau Ursel, neues Besteck und ein geschnitzter Kochlöffel für uns.“
„Prima Ursus“, lobt seine Frau.
Als das Essen in der Küche bereit steht.
Max: „Mmmh, wie gut das duftet!“
Ursus trinkt Sonntag meist leichten Honigwein zum Essen.
Max darf davon noch nicht probieren.
Mutter: „Max, es ist bald an der Zeit, daß Du lesen und schreiben lernst. Und du musst auch rechnen können."
„Wann ist bald genug?“, will Max wissen.
„Wenn Du willst schon nach dem Essen oder morgen“, schlägt seine Mutter vor.
Vater: „So vergehen die Tage des ungemütlichen Wetters besser.“
Max: „Ja Vati. Können wir trotzdem noch Fische fangen, wenn das Wetter schön ist?“
Vater: „Na klar, du kannst deswegen auch noch spielen gehen.“
Max: „Darf ich dieses Jahr mit zur Jagd?“
Mutter: „Wenn du gut lernst und dein Vater das verantworten kann, dann darfst du im nächsten Jahr mitgehen. Das ist von uns aus auch wirklich fest versprochen mein kleiner Schatz.“
Max: „Da muss ich noch warten, na ja.“
Vater: „Im Sommer gibt es ein großes Fest, da kannst du mitkommen. Der König hat es zur Neujahrsansprache angekündigt und seine Boten geben es im ganzen Land bekannt. Es wird dir bestimmt gefallen.“
Seine Tatzen lösten sich von meinem Kopf.
„Was war denn jetzt los?“, wollte ich erstaunt wissen.
„Du bist mit mir in meine Vergangenheit gereist.“
Er erzählte einfach weiter, als ob das ganz normal wäre: „Ich erzielte Fortschritte. Bis zum angekündigten Sommerfest wollte ich unbedingt das Alphabet können und Zählen lernen. Manchmal saß ich noch nachts in meiner Stube, das war früher mein Kinderzimmer dort oben.“
Er deutete mit seiner Tatze nach oben während er das sagte und lächelte dabei.
„Für heute Abend wird es dein Gästezimmer sein. Die Lampe dort, siehst du?“
Ich nickte ihm zu.
„Im Winter lies ich sie oft lange brennen. Ich benutze sie heute noch gerne. Aber für die nächste Zeit bleibt sie für dich dort stehen.“
Das fand ich sehr nett.
Er kam zu mir und seine Tatzen berührten erneut meinen Kopf.
Max´ Mutter steigt die Treppen hoch in sein Zimmer und öffnet die Tür: „Guten Morgen Max, aufstehen. Es liegt ein wunderschöner Frühlingstag vor dir.“
„Hallo Mutti, ist es spät?“
„Dein Vater möchte, daß wir gemeinsam Frühstücken.“
Dann ist es noch nicht ganz so spät, denkt sich Max.
„Guten Morgen Vati. Ist heute etwas besonderes?“
„Ja Max, du musst dir heute alte Kleidung anziehen und deine ganz alten Schuhe.“
„Wieso, geht es zur Jagd?“, fragt Max verschlafen.
„Heute und in den nächsten Tagen müssen wir im Garten säen“, sagt Vater, ohne auf die Jagd einzugehen.
„Was ist säen?“
„Das siehst du dann bei der Gartenarbeit“, entgegnet sie schmunzelnd.
Max ist froh, daß es noch nicht so spät ist und lässt sich sein Frühstück schmecken.
Am Geräteschuppen.
„Nimm die kleine Schaufel und du kannst Rillen durch die Erde ziehen“, sagt Vater.
Mutter: „Streue die Samen anschließend in die Erde.“
Nach einiger Zeit der Arbeit fragt Max: „Wie wird das Wort Säen geschrieben Mutti?“
„Ich ritze es in die Erde ein, schau. S Ä E N!“
Max hilft fleißig mit.
Nach einer Weile: „Kommt, das Mittagessen ist fertig!“ ruft Mutter.
Max und sein Vater ziehen die Schuhe auf der Terrasse am Hintereingang aus: „Wenn du mit der Mahlzeit fertig bist, kannst du mit Yvo spielen gehen. Sei zu Hause bevor es zu dunkel wird.“
Max nimmt ein Fischnetz und läuft den Berg hinunter zum Treffpunkt am Teich.
Aus einiger Entfernung ruft Max: „Hallo Yvo!“
Yvo hebt die Tatze zum Gruß.
„Heute ist viel Zeit Max, wir könnten eine Burg bauen, aus dem lehmigen Boden am anderen Ufer des Teiches“, schlägt Yvo vor.
„Oh ja, prima! So eine wie auf dem Altberg?“
„Ja Max, die vom König Lukas III ist richtig schön“, antwortet Yvo begeistert. „Und wir könnten sie dort auf dem Hügel aufbauen.“
Eifrig gehen beide ans Werk. Geschickt formen sie mit ihren sanften Tatzen den Lehm.
Max schaut zu Yvo: „Yvo.“
Er schaut Max an: „Ja?“
„Können wir eine Pause machen? Ich möchte im Teich Fische fangen. Für unsere Eltern. Hier ist ein Netz. Du wirfst dort einfach Steine ins Wasser und ich warte bis sie mir ins Netz Schwimmen.“
„Machen wir am besten gleich“, sagt Yvo.
Max steckt einen starken Ast, an dem er das Fischnetz festknotet, in den lehmigen Boden. Ganz langsam geht er in den Teich und breitet das Fischnetz aus. Dort verharrt er einige Zeit bewegungslos. Yvo kommt hinzu und wartet geduldig ab. Max nickt mit dem Kopf und Yvo wirft die Steine in den Teich, so daß die Fische aufgescheucht in Richtung des Fischnetzes schwimmen. Weil das Wasser so klar ist, kann Max beobachten, wie sie sich verfangen. Am Ufer sortieren sie die jungen Fische aus, welche in den Teich zurückgeworfen werden.
„Das ist ein guter Fang“, freut sich Yvo.
Max: „Zwölf Schleien und zehn Forellen sind uns ins Netz.“
Yvo: „Da bleibt jeden von uns die Hälfte. Die Burg ist etwas angetrocknet.“
„Wir können noch die Dächer formen und die vier Türme der Burg bauen“, schlägt Max vor.
Beide mustern die Burg nach getaner Arbeit.
„Die Sonne geht bald unter. Treffen wir uns morgen wieder am Nachmittag?“ fragt Max.
„Na klar!“ Yvo spießt noch seine Fische auf einen angespitzten Ast auf.
Max wickelt seine Fische in das Netz ein. „Bis morgen also.“
„Tschüss!“
Max läuft den Berg zügig hinauf und erreicht in den Wald. Es ist angenehm kühl im Schatten der vielen Bäume. Nach einigen Minuten erreicht er die große Wiese und sieht seinen Vater am Geräteschuppen stehen.
„Hallo Vati, schau mal!“
Max´ Vater: „Gut, wirklich gut der Fisch. Den kannst du morgen mit deiner Mutter zubereiten. Komm, las uns ins Haus gehen.“
„Was habt ihr heute gespielt?“, möchte Mutter wissen.
„Wir bauten Burg Altberg nach“, erzählt Max stolz. „Und wir fingen Fische am Teich. Wenn ihr nächsten Sonntag spazieren geht, zeigen wir euch die Burg. Yvos Eltern kommen auch.“
Hast du dir deine Spontaneität bewahrt?
Ich bemerkte, daß ich wieder im Stuhl bei Max saß, dem komischsten Bären, der mir je begegnet ist.
Ich erinnerte mich an meine eigene Kindheit und überlegte, in wie weit Erwachsene dazu beitragen einen Menschen zu prägen. Und welche Möglichkeiten gibt es sich selbst als Mensch zu formen. Was veranlasst uns gut oder nicht gut zu sein? Was macht uns Selbstsicher, unsicher oder aggressiv? Was lässt uns unsere Spontaneität bewahren und was nimmt sie uns?
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