Einmal fragte er mich: „Na, was ham' wa denn ausgefressen, dass wa hier gelandet sind?” Ich antwortete sofort: „Ich habe einen Scheißdreck getan! Ich bin hier gelandet, weil ich der einzige Mexikaner in einer Gruppe von Weißen war und weil ich einen Eintrag im Strafregister hatte.” Es machte mich wütend diesem Bauerntrampel zuzuhören und diese rassistische Memme fragt mich dann auch noch so lässig, was ich getan hätte, als ob ich ihm jetzt beichten sollte, dass ich dutzende von Menschen getötet hätte oder schlimmer. Ich versuchte mich zu beruhigen und sagte nichts während er mich über seinen Schreibtisch hinweg anglotzte. Er fragte mich nichts mehr über meinen Fall oder die Umstände, die Ausschlag gebend waren.
Nach diesem Zwischenfall machte der Sergeant schnell und teilte mir mit, dass mein neues Zuhause im Flügel J-21 sein werde. Nach einiger Übergangszeit würde ein Gremium entscheiden, ob mir der Freigang zusammen mit den anderen Häftlingen erlaubt sei. Erst mal dürfe ich nur alleine Freigang haben. Das meiste, was er sagte, ergab für mich keinen Sinn, aber ich stellte keine Fragen. Ich ging davon aus, dass ich ohnehin bald alles wissen würde, was es über diesen Trakt zu wissen gibt. Ich nahm ihm die Anmerkung, was ich getan hätte, immer noch übel und wollte ihn loswerden. Wir verließen das Büro des Sergeants und sie brachten mich zu einem Trakt. Ich konnte großen Lärm, der von dort herauskam, hören. Oberhalb der Stahltür war ein Schild mit der Aufschrift „J-21 Todestrakt”. Die Tür öffnete sich automatisch und wir betraten den Flügel.
Es war, wie wenn man ein altes, muffiges Verließ betreten würde. Überall, wo ich hinschaute, war schwarzer Maschendrahtzaun zu sehen. Über die Gitterstäbe der Zellen hatten die Behörden diesen Maschendraht gezogen und damit die Zellen in vergitterte Käfige verwandelt! Der Trakt war dunkel, düster und laut, so laut, dass es ohrenbetäubend war! Jeder schien gleichzeitig zu schreien! Ich konnte die negativen Energien spüren, die meinen ganzen Körper durchflossen. Es gab drei Reihen von Zellen, die übereinander gebaut waren. Sie wurden „Rows” genannt. Die unterste Reihe war die 1-Row, die mittlere die 2-Row und die oberste die 3-Row. Mir wurde eine Zelle am Ende der 1-Row zugeteilt. Die Männer brüllten auf dem Gang herum und verkündeten lautstark, dass ein neuer gerade den Trakt betreten hätte und dass ich eine Zelle in der 1-Row belegen würde. Ich ignorierte die gesichtslosen Stimmen und folgte den Wachen zur Zelle 20.
Kapitel 4
Der absolute Tiefpunkt
Als ich Zelle 20 sah, realisierte ich, dass alles gerade noch schlimmer geworden war. Die Zelle, in die sich mich steckten, war eine so genannte Management Cell, eine Übergangs- oder Disziplinierungszelle. Das waren speziell angefertigte Zellen, um die gewaltbereitesten Häftlinge unterzubringen und im Zaum zu halten. Der vordere Teil der Zelle bestand aus Stahlstäben und über die Stangen und den Maschendraht waren Stahlplatten geschweißt. Das Haupttor der Zelle bestand aus Stangen, die man zur Seite schieben musste, um sie zu öffnen, aber es gab auch noch eine stählerne Schwingtür davor. Am Ende dieses langen Flügels gab es kein Sonnenlicht, nur Dunkelheit, eine Welt der Schatten, eine endlose Nacht. Und hier würde ich den Rest meiner Tage verbringen! Ich ließ die Situation auf mich wirken. In diesem Moment war ich überzeugt, dass dieser Ort in der Tat die Hölle auf Erden war. Der Wachmann stellte die Plastiktüte mit meinem Eigentum hinein und ich betrat die Zelle. Ich wurde angewiesen, mich vor der Zellentür hinzuknien und meine Hände hinter mir durch die Essensklappe zu stecken, damit der Wärter meine Handschellen entfernen konnte. Ich folgte den Anweisungen und die Handschellen wurden mir abgenommen. Ich sah mich in der heruntergekommenen Zelle um. Dreckablagerungen befanden sich an den Wänden, Kakerlaken krabbelten überall auf dem Boden herum und in der Ecke war eine faulig riechende Toiletten-Wasch-Kombi angebracht. Diese scheußliche Zelle war wie ein Sarg. Sie war 5 auf 9 Fuß (circa 1,50 m mal 2,70 m) groß. In meinem Innersten war mir nun klar, dass ich den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte.
Nach kurzer Zeit kam der Hilfswärter zu meiner Zelle. Die Wachleute hatten die zweite Stahltür nicht geschlossen, also konnte ich wenigstens mit ihm reden. Ein Hilfswärter ist ein zuverlässiger Häftling, der auf dem Flügel arbeitet, um den Wachleuten beim Saubermachen, beim Servieren des Essens und Sonstigem zu helfen. Er stopfte einen Lumpen unter der Tür durch. Die Zellentür hatte eine Metallplatte unten angeschweißt, unter der ein Zwischenraum von einem guten Zentimeter zwischen dem Metall und dem Betonboden war. Auch ein wenig Scheuerpulver schob er durch. „Ich bin Cadillac“, sagte er, „ich bin der Porter, das Mädchen für alles, auf diesem Flügel. Ich weiß, dass du diese Dreckszelle saubermachen musst. Dafür sind der Lumpen und das Putzmittel. Um deine Sachen werde ich mich später kümmern.“ Ich dankte ihm und er ging, aber ich fragte mich, was zum Teufel für Sachen er meinte. Ich begann, die Zelle zu säubern - es war ein Albtraum. Ich scheuerte stundenlang von oben bis unten und als ich schließlich fertig war, war ich völlig verdreckt.
Nachdem ich die Arbeit beendet hatte, setzte ich mich auf meine Pritsche und dachte über diesen neuen Ort nach. Plötzlich hörte ich eine Stimme von hinten. Ich drehte mich um und blickte auf die Wand. Dort war ein kleines, tiefes Loch und der Kerl in der nächsten Zelle hatte es geöffnet, was mich total überraschte. Ich schaute durch das Loch und sah sein Auge. Ich sagte: „Was gibt's?“ Jetzt konnte ich ihn besser sehen. Er war weiß, groß und dick. „Ich heiße Red“, sagte er. „Du bist neu im Trakt, richtig?“ „Ja, Mann, ich bin der Neue. Mein Name ist Flores, ich komme aus Dallas.“ Er fragte mich, was ich vom Bezirksgefängnis so mitgebracht hätte. Ich erzählte ihm, dass ich meine Unterlagen über die Gesetze, ein paar Umschläge und einen Notizblock mitbringen durfte. Red erzählte mir: „Wenn ein Neuer in den Todestrakt kommt, dann legen alle zusammen und sammeln Dinge, die er brauchen könnte. Es wird nämlich eine Weile dauern, bis du deine ID-Karte bekommst und einkaufen kannst.“
Nachdem er das gesagt hatte, begannen sich die Zahnräder in meinem Kopf zu drehen. Ich wusste, dass ich hier niemandem etwas schulden wollte, weil das nur der Anfang von vielen Problemen wäre. Deshalb sagte ich zu Red: „Nein danke, Mann, ich brauche nichts. Mir reicht das Zeug, das ich habe.“ Er erahnte meine Gedanken, lachte über meine Antwort und sagte: „Ne, Mann, so läuft das hier nicht. Die Kumpels hier werden nicht versuchen, ein Spielchen mit dir zu spielen und erwarten keine Gegenleistung. Sie tun nur das, was auch für sie getan worden ist, als sie in den Todestrakt kamen.“ Ich dachte noch darüber nach, was Red gesagt hatte, als irgendjemand ihn rief: „Hey, Red!“ Er ging vom Loch weg und zur Tür seiner Zelle. Eine Stimme von oben fragte ihn: „Wer ist denn der Neue da unten?“ Red erklärte: „Der ist gerade erst angekommen. Sein Name ist Flores und er ist aus Dallas.“
Plötzlich hörte ich eine Stimme, die mich rief: „Hör mal, du aus Dallas! Que Rollo? Ich bin aus Foritos, mein Name ist Polo.“ Weil er das so gesagt hatte, wusste ich natürlich, dass er - wie ich auch – Mexikaner war, und er erzählte mir, dass er ebenfalls aus der Hauptstadt stammte. Ich freute mich, dass ich einen Mexikaner in meiner Nähe hatte, der sogar aus der gleichen Gegend wie ich kam. Da fühlt man sich doch gleich besser! Vielleicht würde es hier ja doch gar nicht so schlimm werden. In einer Situation wie dieser ist es um so wichtiger, etwas Vertrautes, deine eigenen Leute, um dich zu haben. Da brüllten mich plötzlich ein paar Typen von oben an. Einer, der Showtime hieß, und ein anderer namens Prieto waren ebenfalls Mexikaner und in der 3-Row untergebracht. Sie unterhielten sich jetzt miteinander und überlegten, welche Dinge sie mir schicken könnten. Polo erzählte mir, dass die Typen im Todestrakt das immer für die Neuen machen würden und dass ich mir, wie gesagt, keine Sorgen machen müsse, dass ich danach irgendwem irgendetwas schulde. Er erzählte mir alles auf Spanisch und jetzt fiel es mir leichter, all diese Dinge von meinen neuen Freunden anzunehmen.
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