Man sollte von den Mafiosi sagen können, dass sie ehrliche Leute waren, keinesfalls gefährliche Gangster. Damit verbunden war eben auch die Aufforderung, seine getroffenen Vereinbarungen einzuhalten. Ganz besonders dann, wenn sie innerhalb der Familie getroffen wurden.
8. Es gab verschiedene Gründe, warum die sizilianische Mafia offiziell dem Drogenhandel entsagte. Ein maßgeblicher Grund war es, unter dem Radar der Ermittler zu operieren. Manche Dinge tolerierte die Polizei, aber nicht alles. Alkohol und Glücksspiel waren eher harmlose Laster, die der Gesellschaft allgemein nicht schadeten. Auch Polizisten gaben sich diesen Lastern hin, wurden erpressbar. Damit ließ sich mehr oder weniger gefahrlos Geld verdienen. Bei Drogen allerdings verstand die Staatsgewalt keinen Spaß. Hier griffen übergeordnete Behörden rigoros durch. Außerdem wurde ein wachsender Mitwisserkreis geschaffen, wodurch die Organisation angreifbar wurde. Ihr bester Schutz waren Verschwiegenheit und Anonymität ihrer Mitglieder. Dieser Schutz wurde vom Handel mit Drogen massiv beschnitten. Zudem waren Dealer in der Regel selbst abhängig, was sie zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Familie machte. Selbst wenn ein Don sich entschied, mit Drogen Geld zu verdienen, so bestand Anfang der dreißiger Jahre die Gefahr, das ganze amerikanische Mafia-Syndikat gegen sich aufzubringen. Erst in den 1950ger Jahren gaben die Dons der Gier nach dem schnellen Geld nach und weichten diese Regel gegen den Drogenhandel auf, auch wenn sie nie gestrichen wurde.
9+10. Die letzten beiden Regeln machten Stevenson etwas verlegen. Schließlich brach er diese beiden gerade jetzt, mit diesem Gespräch. „Ich verrate weder meine Familie, noch spreche ich mit Außenstehenden über das Wesen der Cosa Nostra.“ Diese Regel war der Garant dafür, dass die Organisation weiterlebte. Ihr enger, familiärer Zusammenhalt und ihre drakonischen Strafen schützten sie vor Verrätern und Polizisten. Ihr Netzwerk zwischen den Familienclans machte sie zu einem international operierenden Verbrechersyndikat. Die Angst vor dem Syndikat war größer als die Angst vor dem Gesetz des Landes, in dem man lebte. Darum machte man keine Geschäfte mit der Polizei, um etwa eine Strafmilderung zu erreichen. Falls es zu Verurteilungen kam, saßen die Betroffenen schweigend ihre Strafe ab. Der Don kümmerte sich währenddessen um die Familie des Inhaftierten. Man konnte das auch als Geiselhaft bezeichnen. Denn packte man im Knast doch noch aus, machte man mit der Familie des Verräters kurzen Prozess. Saß der Gefangene jedoch schweigend seine Strafe ab, war er in der Regel rehabilitiert und wurde mit offenen Armen empfangen.
Sansone und Massimo wollten alles. Aber beide wussten, was auf dem Spiel stand. Massimo hätte die Mittel gehabt Sansone in den Ruin zu treiben. Doch seine Organisation stagnierte, während Sansone mächtiger wurde und auch zahlenmäßig wuchs. Doch es war ein weiter Weg, bis er Massimo als Nummer 1 in der Unterwelt ablösen konnte.
„Sie sagten, dass Ihr Freund verletzt war. Wie erging es ihm?“
„Besser als man zunächst glaubt. Sansone hatte einen sehr guten Arzt in der Stadt. Er hat niemals zu viele Fragen gestellt und nach ein paar Wochen war er wieder fit. Der Einzige, der uns Sorgen machte, war Massimo. Er wollte wohl austesten, wie weit er gehen konnte. In den nächsten Monaten gab es ähnliche Fälle wie in Bills Motel.“
Den Polizisten ärgerte es, das Stevenson die Schutzgeldeintreibung als eine völlig legale Versicherungsleistung rechtfertigte.
„Sansone beschützte jene Leute, die ihn bezahlten, tatsächlich.
Am deutlichsten wurde das nach einem Zwischenfall im darauffolgenden Jahr…“
Mit Schläger und Colt 1931
Stevenson war jetzt fast eineinhalb Jahre dabei und wusste, wie es zuging. Das Verhältnis zu den Massimos hatte sich besorgniserregend abgekühlt. Schießwütige Auseinandersetzungen wie in Bills Motel waren häufiger, Massimos Aktionen dreister geworden. So wurde in der vergangenen Woche einmal mehr ein Laden überfallen und in Brand gesteckt. Doch noch immer hielt sich Sansone mit Strafaktionen zurück. Er ordnete den Capos an, mit ihren Teams den Laden wiederherzurichten. Das tat seinem öffentlichen Ruf als Beschützer und Wohltäter zwar außerordentlich gut, doch die Spirale der Gewalt drehte sich weiter. Außerdem verlor er doppelt Geld. Anstatt die Ladenbesitzer darum zu erleichtern, musste er selbst welches in die Hand nehmen. Wie lange würde sich der Don das noch bieten lassen? Es sah ganz danach aus, als wolle er eine offene Konfrontation mit Massimos Schergen um jeden Preis vermeiden. Ein Krieg hätte bedeutet: alles oder nichts. Noch war er auf eine Co-Existenz angewiesen, denn einen ausgewachsenen Krieg konnte sich Sansone nicht leisten. Massimo war in allen Belangen der Stärkere von beiden. Angefangen bei der Anzahl von Männern, Waffen, die Kontakte im Rathaus, bei der Polizei und zum Gericht bis hin zur Hafenarbeitergewerkschaft, dank derer er praktisch über unbegrenzte finanzielle Mittel verfügte. Der Druck auf Sansone wuchs stetig. Zunehmend hoch waren die dadurch verursachten finanziellen Einbußen. Denn die zum Aufräumen abkommandierten Männer konnten kein Schutzgeld einnehmen. Außerdem hatte es in diesem Jahr in den eigenen Reihen bereits 9 Tote gegeben. Das machte den Don natürlich nicht gerade glücklich.
Da die Zeiten rauer wurden, war es unerlässlich, mit den Waffen aus Peropnes Arsenal vertraut zu sein. Stevenson hatte im letzten Jahr oft mit Luigi vor der Stadt das Schießen geübt. Er war nicht gerade ein Naturtalent und musste üben, üben, üben. Aber er steigerte sich. Es gelang ihm immer besser, die Entfernungen zum Ziel zu bestimmen, die Geschwindigkeiten der Kugeln, den Einfluss des Windes und der Schwerkraft einzuschätzen. Wenn das Zielen auch dauerte: Seine Treffsicherheit war mittlerweile lobenswert.
An jenem Abend Ende November 1931 sprach ihn Barkeeper Giovanni an.
„Steve, hast du heute Abend Zeit?“
Er leerte das Whiskyglas und nickte. Giovanni putzte ein Glas und sah zu Boden. Offenbar kostete es ihn einiges an Überwindung, mit der Sprache herauszurücken. Schließlich aber gab er sich einen Ruck und bat ihn, seine Tochter nach Hause zu begleiten. Gestern hätten sie irgendwelche Typen mit zweideutigen Bemerkungen angemacht. Er machte sich Sorgen und wollte nicht, dass sie heute allein heimging.
Stevenson war ein Gentleman und genoss Respekt in der Gegend. Wenn wieder einer die Tochter anpöbeln wollte, müsste er erst an ihm vorbei. Giovanni mochte ihn und seine zurückhaltende Art. Andere Soldaten und ihre Capos waren selbstverliebte Prolls. Bei ihm aber wusste er seine Tochter in guten Händen. Sie hieß Marylane, war jung und athletisch, hatte lange braune Haare, braun-grüne Augen, war 23 Jahre alt. Bisher kannten sie sich nur flüchtig. Mary machte noch die Küche sauber und ihr Vater bedankte sich.
„Oh, Steve, du glaubst nicht, wie dankbar ich dir bin. Komm am Sonntagmittag zum Lunch vorbei. Da mache ich dir was ganz Besonderes.“
Stevenson ließ sich vorsichtshalber einen Baseballschläger von Perpone geben. Es war fast dunkel, als die beiden losgingen. Sie erzählten sich voneinander. Er stammte aus New Orleans und hatte der Stadt nach dem Tod seines Vaters den Rücken gekehrt. Seiner Mutter hatte er wohl damit sehr weh getan, so kurz nach dem Tod des Ehemannes nun auch noch den Sohn zu verlieren. Ein paar Monate war er quer durch die USA getrampt. Als das Geld weniger wurde, fing er an zu arbeiten und konnte sich, dank der fallenden Automobilpreise, bald ein eigenes Taxi leisten.
Dieses jedoch wurde zerstört und Sansone war sein Retter in der Not.
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