Am Nächsten Tag erzählte Stevenson von diesen Kerlen, die Marylane bedroht hatten. Der Don war erschüttert und ließ sofort auch Silvio und Stevensons Capo Nuncio ins Hinterzimmer kommen. Sansone, sonst ein augenscheinlich ruhiger Mensch, war an diesem Tag von nackter Wut gepackt. So wütend hatte Stevenson ihn noch nie gesehen: „Was fällt diesen Hosenscheißern ein, mein Revier zu beschmutzen? Denken diese Clowns, dass sie in einem verdammten Freizeitpark sind oder was? Wie kann man nur so irre sein, sich mit einem meiner Leute anzulegen? Und obendrein auch noch wehrlose Frauen zu belästigen!“
Silvio mischte sich ein:
„Da sind wir um Haaresbreite einer Katastrophe entgangen.
Die Menschen hier bezahlen uns Schutzgeld, da sollte zumindest in unserem Gebiet die Ordnung gewährleistet sein, für die man uns schließlich bezahlt.“
Dem pflichtete Sansone bei und fragte sich, warum Giovanni nichts gesagt hatte. Er hätte sich dieser Sache doch sofort angenommen. Nuncio meinte: „Sollen wir Mao Lii Thai besuchen? Er kann uns sicher was zu diesen Kerlen sagen.“
Mao Lii Thai war kleiner und unauffälliger Chinese, der seine Ohren scheinbar überall hatte. Wenn irgendwo etwas passierte: Mao wusste davon. Derartige Informationen waren wertvoll. So wertvoll für Sansone, dass er ihm eine kleine Wohnung bezahlte. Vom Unternehmungsdrang getrieben boxte Nuncio in die Luft.
„Diesen Freaks verpassen wir eine Lektion, Boss. Mit meinen eigenen Händen mache ich sie fertig.“
Nackter Hass blitzte in Sansones Augen: „Immer mit der Ruhe, Nuncio. Niemand bringt irgendwen um, klar? Ich will keine Toten auf meinen Straßen verantworten.
Schlagt diesen Typen das Gehirn aus ihren Schädeln und lasst sie in ihrem eigenen Blut liegen. Jeder soll sehen, was passiert, wenn man mein Revier beschmutzt. Die armen Kinder der Stadt sollen über ihre entstellten Gesichter lachen!“
Sansone zündete sich eine Zigarre an und erklärte die Aufgabe des heutigen Tages:
„Also Jungs, besorgt euch ein paar Schläger von Perpone. Ihr werdet nach Chinatown fahren und Mao Lii Thai befragen.
Kennt er das Versteck von diesen Lumpen, lasst euch den Weg erklären und fahrt dahin. Bringt diesen halbstarken Lackaffen Manieren bei und ruft von der nächstgelegenen Telefonzelle aus anonym einen Krankenwagen! Wenn das erledigt ist, kommt ihr sofort wieder her.“
Stevenson und Nuncio erhoben sich und ließen sich von Perpone die Schläger und vorsichtshalber noch zwei 1911er Colts geben. Sansone hatte ausdrücklich den Gebrauch von Schusswaffen untersagt. Aber wenn die Störenfriede auch bewaffnet waren, sah man selbst mit dem Schläger eines Ligaspielers alt aus. Stevenson fuhr durch eine späte und verregnete Nacht. Eine steile Straße hoch und dann rechts auf den großen Platz. Trotz des Regens stand Mao umringt von ein paar Männern auf dem leeren Marktplatz. Es waren Kontaktmänner, die Mao erst beruhigen musste, als sie den weinroten Falconer F8 vorfahren sahen.
Auf diesen kleinwüchsigen Chinesen war wie immer Verlass.
Er wusste Bescheid. Es hatten sich schon einige Leute beschwert und auch der Aufenthaltsort der Rowdies war schon zu ihm durchgesickert. Die Polizei unternahm nichts gegen die Raubzüge dieser Bande. Denn der Sohn des Stadtrates, John Oregan, war der Anführer, so hieß es. Er glaubte wohl, dass dies seine Stadt sei und er hier machen konnte, was er wollte. Mao berichtete weiter, dass es sich bei ihrem Treffpunkt um eine leer stehende Fabrikhalle im Works – Quarter handelte. Sie bedankten sich und fuhren los.
Das Industriegebiet war in desaströsem Zustand. Viele Fabriken und Lagerhallen waren Vandalismus und Verfall preisgegeben. Das Works – Quarter war nachts eine der gefährlichsten Gebiete der Stadt, was die Neuansiedlung von Unternehmen erschwerte. Wenigstens stieg die Zahl der Arbeitslosen nicht mehr. Die Krise hatte ihren Scheitelpunkt erreicht. Seit zwei Monaten ging die Zahl der Menschen ohne Arbeit sogar wieder leicht zurück, auch wenn davon noch nicht viel zu sehen war. Mao hatte ihnen gesagt, dass sich diese Rüpel in der alten Gießerei aufhielten.
Das war ein Hallenkomplex aus sechs großen Gebäuden.
Der Verwaltungstrakt war im Jahre 1929 fast völlig ausgebrannt. Vom Dachstuhl war nach dem Feuer nicht viel übriggeblieben. Traurig sahen die schwarzen Fensterlöcher aus, die an eine glorreiche Zeit in Wachstum und Wohlstand erinnerten. Es goss in Strömen und ein Blitz hellte den Straßenzug auf. Das Verwaltungsgebäude der Gießerei zog sich die ganze Straße über mehr als 400 Meter hin. Das Gelände umfasste ein ganzes Karree, welches von vier Straßenzügen umrahmt wurde. Das ausgebrannte Verwaltungsgebäude nahm die gesamte Westseite in Anspruch. Bog man von dieser Straße nach links ab, stieß man auf einen großen Torbogen. Oben war mittig eine Uhr angebracht. Es mutete wie ein Grenzübergang an. Vier Schranken verschlossen das Gelände. Man konnte sich leicht vorstellen, was hier für ein Betrieb gewesen sein musste, wenn eine derart große Ein – und Ausfahrt benötigt wurde. Die Zeiger der Uhr standen auf um sechs. Um diese Zeit hatte die Tagschicht Feierabend gehabt. Man hatte sie zum Ende einer Schicht abgeklemmt und nie wieder angestellt, als ob die Zeit hier für immer stehen geblieben wäre. Der Rest des Geländes war durch eine etwa 2,50 Meter hohe Mauer von der Außenwelt abgetrennt. Lediglich ein Gleisanschluss am Nordende unterbrach sie.
Als Stevenson das Auto einmal um das Gelände gelenkt hatte, parkten sie gegenüber vom Haupteingang. Sie schwangen sich über eine der Schranken und sahen sich drei Lagerhallen, einem ebenso großen Lokschuppen und einem Gießwerk gegenüber. Dank des durch den Regen verursachten Geräuschpegels konnten sie nicht gehört werden. Aber auch sie hörten abgesehen vom Rauschen des Regens nichts. Es brannte nirgendwo Licht. Im Verwaltungsgebäude war mit Sicherheit niemand. Dort lief das Wasser in Strömen von den Wänden. Wo sollten sie bloß anfangen zu suchen? Das ganze Areal maß etwa 600 mal 400 Meter und zwischen den großen Hauptgebäuden befanden sich noch unzählige kleinere Garagen, Schuppen und Lagerräume. Alles war außerordentlich dicht bebaut.
„Pass auf, wir müssen uns nach Autos umsehen. Wenn wir die finden, wissen wir, in welchem Gebäude wir weitersuchen müssen.“
schlug Nuncio vor. Sie teilten sich auf und trafen sich zehn Minuten später wieder an der Schranke. Es waren nicht die Autos, sondern ein Feuerschein im Inneren der Gusshalle, die den Aufenthaltsort der Rowdys verriet. 30 mal 250 Meter maß die Halle etwa. Drei gleich hohe Schornsteine ragten in den nächtlichen Himmel. Der Personaleingang war zugemauert worden. Die LKW-Laderampe war durch Rolltore verriegelt. Es gab noch das große, hölzerne Flügeltor für Dampfrösser am anderen Ende der Halle.
Dieses konnte leicht aufgebrochen werden. Stevenson übte sich in seinem Fach und öffnete die Tür nach nicht einmal dreißig Sekunden. Nuncio schob sie auf. Das ganze über fünf Meter hohe Tor konnte man nur von Innen öffnen.
Stevenson hatte lediglich eine Tür im Tor geknackt. Aber immerhin, sie waren drin und der Beweis, dass sie richtig waren stand vor ihrer Nase. Da parkten vier Autos unterschiedlicher Herkunft und Baujahre. Ein brauner F6, ein Bolt-Truck mit Ladefläche und ein Ford, vielleicht drei oder vier Jahre alt. Diesen Autos (und allen anderen jener Zeit) sah man die Verwandtschaft zur Kutsche an. Die Räder an der Außenkarosserie mit Kotflügeln umrahmt, vorne der Motorraum mit senkrecht stehendem Kühlergrill.
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