„Steve, du musst durch die Küche gehen und ihn von da aus mit einem sauberen Schuss durch die Durchreiche in den Kopf töten. Ich kann es von hier aus nicht. Ich gebe dir Deckung und lenke den Typ ab. Die Küche befindet sich dort.“
Luigi deutete mit seiner Waffe auf eine Tür. Stevenson schlich leise zu ihr hin und öffnete sie. Er stand kurz davor, völlig den Verstand zu verlieren. Er schloss seine Augen und atmete durch. Doch ihm wurde nicht wohler. Denn sogleich sah er die Leiche oben auf dem Balkon liegend vor sich. Eiskalter Schweiß tropfte von seinem Kinn. Am Rücken klebte das durchnässte Unterhemd. Sein Urin roch streng und fühlte sich widerlich kalt an. Am ganzen Körper zitternd glitt er durch die Küche, auf die Arbeitsfläche und schaute durch die Durchreiche. Für einen kurzen Moment hatte er sich etwas beruhigen können, doch nun stieg die Panik in ihm wieder hoch. Am liebsten hätte er geschrien.
Im Speisesaal brannte Licht und es lagen noch drei weitere Leichen da, die Luigi offenbar wie Grashalme niedergemäht hatte. Hinter der Bar lag ein Mann auf dem Boden, dessen Aufmerksamkeit voll auf die Tür gerichtet war, hinter der Luigi stand. Er hielt eine Thompson in der Hand und hatte offenbar schon ein Magazin leer geschossen. Ganz leise und langsam wurde der Arm über den Schützen gestreckt. Luigi beobachtete ihn. Den Colt in der Hand war der Arm von Stevenson jetzt fast ausgestreckt und senkte nun die Waffe.
Luigi ging das nicht schnell genug. Wie in Zeitlupe schien Stevenson die Waffe nach unten zu richten, jeden Moment konnte der Schütze die Waffe über sich bemerken.
„Warum drückst du nicht ab? Warum zögerst du so lange?“
Stevenson bereitete sich dieses Mal besser auf den Rückstoß der Waffe vor, spannte den Abzug und feuerte. Die Kugel drang in den Hinterkopf ein und zerschmetterte beim Austritt die Stirngegend des Kopfes. Luigi kam aus der Deckung hervor, untersuchte die Leichen und nahm ihnen die Waffen ab.
„Gut gemacht, man. Nur schneller hätte es gehen können. Sag mal, hast du dir eingepisst?“
Beschämt sah Stevenson zu Boden und sagte nichts. Luigi grinste nur breit.
„Ach, mach dir nichts draus. Ging mir nach meiner ersten Tötung genauso. Glaub mir: Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber man gewöhnt sich dran. Das geht vorbei. Wo ist bloß Nuncio?“
„Hier!“
erwiderte eine Stimme hinter einer Tür am anderen Ende des Speisesaals. Luigi rannte hin und fand ihn übel zugerichtet und gefesselt auf einem Stuhl. Scheinbar hatte man ihn nur verprügelt und nicht fachmännisch in die Mangel genommen. Es steckte ein Knebel in seinem Mund und er fing sofort an, mit seiner schrillen Stimme zu speckern, als Luigi diesen entfernt hatte und ihn losband.
„Das wurde aber auch Zeit! Wo bleibt ihr so lange?“
Auch er zeigte sich über Stevensons Malheur leicht belustigt, hatte aber ebenso wie Luigi Verständnis. Als Mörder wurde man nicht geboren. Man machte sich erst dazu. Das war eine Grenze, die der Mensch eigentlich nicht zu überschreiten hatte. Es war nicht vorgesehen, dass Menschen sich gegenseitig töteten. Also hatte der Schöpfer eine sehr große Hemmschwelle in den Menschen gelegt. Es war besser, diese Grenze nicht zu überschreiten. War es aber einmal getan, zerbrach im Inneren des Täters etwas.
Luigi nannte es das Gewissen, Nuncio die Achtung vor dem Leben. Man stumpfte in schrecklicher Weise ab und verlor den Blick für den Wert des Lebens – auch des eigenen. An ihre ersten Morde konnten sich die beiden noch ganz genau erinnern. Das Gesicht des Opfers hatten sie vor sich. Den zweiten Mord hingegen hatten sie schon vergessen.
Sie traten wieder in den Speisesaal. Auf einmal standen sie einem bewaffneten Mann gegenüber. Seine Augen standen eng beieinander und seine große Nase verliehen ihm die Gesichtszüge einer Krähe.
„Ihr bleibt schön hier und versucht mir ja nicht zu folgen!“
Daraufhin gab er zwei Schüsse ab und verschwand durch den Haupteingang nach draußen. Perplex schauten sie ihm nach. Eine Kugel hatte Nuncio in der Bauchgegend getroffen. Er sackte zusammen, Stevenson versuchte ihn zu stützen. Nuncio keuchte:
„Schnappt euch diesen Bastard! Er hat unsere Kohle!“
Unverzüglich nahmen Luigi und Stevenson die Verfolgung auf, nachdem sie Nuncio auf einen Stuhl gesetzt hatten.
„Was für ein Abend.“
schäumte Luigi. Der Verfolgte gab alles. Durch die kurvigen Landstraßen wagte er riskante Überholmanöver.
Mittlerweile war es stockdunkel, aber im Licht des F8 war der Schubert gut zu sehen. Dieser vier Jahre alte Wagen war zwar recht solide, lag aber bei weitem nicht so gut auf der Straße, wie der F8. Dennoch hatte Stevenson alle Mühe mitzuhalten. Er wollte beim Überholen nicht Kopf und Kragen riskieren. Die beiden verfügten über das bessere Auto, also konnte die Krähe ihnen gar nicht entwischen.
Immer weiter fuhr der Schubert durch die Nacht. Manchmal vergrößerte er den Abstand. Aber Stevenson blieb dran.
Luigi forderte ihn auf, näher ran zu fahren, damit er schießen könne. Nach etlichen Kilometern kamen die beiden Autos an einen Tunnel, welcher mehrere hundert Meter geradeaus verlief. Jetzt trat Stevenson drauf und Luigi machte sich bereit. Er feuerte ein Dutzend Kugeln auf den Schubert ab. Er traf einen der beiden Hinterreifen. Bei der hohen Geschwindigkeit zog es den Schubert nach links. Der Fahrer lenkte zwar noch gegen aber er verlor die Kontrolle und krachte gegen einen hervorstehenden Tunnelpfeiler.
Stevenson ging zuerst vorsichtig auf die Bremse, damit es Luigi nicht aus dem Wagen katapultierte. Dieser drückte sich ins Innere, so konnte er stärker bremsen. Der Abstand wurde dennoch gefährlich gering. Fast sah es so aus, als ob sie in den Schubert krachten. Stevenson trat das Pedal voll durch, die Reifen quietschten und erzeugten eine schwarze Bremsspur auf dem Beton. Schließlich brachte er den Wagen ohne einen Kratzer zum Stehen. Völlig demoliert blieb der Schubert auf dem Dach liegen. Luigi stieg aus und untersuchte den Unfallort. Es bot sich ein trauriger Anblick.
Der Fahrer war beim Aufprall durch die Frontscheibe geflogen. Sansones Geldkoffer hatte es ebenfalls aus dem Wagen geschleudert. Luigi fand ihn rasch, nahm ihn an sich und stieg wieder zu Stevenson ins Auto.
„Machen wir, dass wir hier wegkommen!“
Mit einem düsteren Gesicht fuhr Stevenson zurück.
Unverständnis und Wut brodelten in ihm. Sollte er sie in Worte fassen oder war es besser den Mund zu halten? In welcher Weise war es gestattet, das Geschehen zu kritisieren? Er wusste es nicht. Schließlich überkam es ihn doch:
„Ich habe heute zwei Menschen getötet. Und ich musste ein Massaker mitmachen. Außerdem hätte ich beinahe meinen ersten Unfall gebaut. Ich habe mir in die Hosen gepinkelt, vor Angst! Wenn das die Routine ist, von der Sansone gesprochen hat, dann frag ich mich ernsthaft, wie der nächste Job aussieht.“
Luigi rümpfte erst die Nase, ließ sich aber auf eine Diskussion ein und beruhigte ihn:
„Das ist eben so in diesem Geschäft. Wir lassen den Leuten die Wahl. Entweder sie spielen mit, oder sie tragen die Konsequenzen. Wer nach unseren Regeln spielt, der hat doch nichts zu befürchten. Was heute Abend passiert ist, ist nicht unsere Schuld. Das ist allein auf dem Mist von Bill Custom gewachsen. Wenn er nicht versucht hätte, mit Massimo zu kollaborieren, würden die ganzen Männer jetzt noch leben.“
Zurück am Motel sammelten sie Nuncio ein und fuhren ihn zu einem Arzt.
„Jungs, so ein Massaker habe ich noch nie erlebt. Es gibt sieben Tote, auch Bill ist darunter. Nur dessen Frau hat überlebt und voller Panik die Bullen gerufen.“
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