Angelika Waldis - Rocco und Jele

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Rocco liebt Jele, Jele liebt Rocco. Die Beziehung wächst nicht auf beiden Seiten gleich rasch und gleich tief, da gibt es Synkopen, die können sowohl reizvoll wie schmerzlich sein. Zum Schluss fügt sich alles in eine einzige und grosse Liebe.
In der ersten Buchhälfte erzählt Rocco, in der zweiten Buchhälfte erzählt Jele. Es sind genau die gleichen Situationen und Ereignisse, die sie gemeinsam erleben, mal aus seiner, dann aus ihrer Sicht. Im Alltag und auf Reisen erfahren sie Glück und Bedrohung, Schönheit und Aufregung, Skurrilität und Eifersucht. Die beiden Lovestorys lassen sich in einem Zug lesen. Wer's genau wissen will, kann die kleinen nummerierten Kapitel auch simultan lesen, und sich so gleichzeitig in die Gefühlslage von beiden versetzen.

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Rocco und Jele

Jele und Rocco

Eine Liebe, zwei Geschichten

Angelika Waldis

Copyright: © 2013 Angelika Waldis

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

ISBN 978-3-8442-6753-2

Erste Veröffentlichung in Buchform

bei Schwartzkopff Buchwerke 2005

Leicht redigiert für epubli 2013

Umschlag: Lothar Reher

Angelika Waldis

Rocco und Jele

Eine Liebe

Teil 1

Teil 1 dieses Buchs handelt von Roccos Liebe zu Jele. Dass die kleinen Episoden mit Zahlen versehen sind, hat einen Grund.

Wer nämlich wissen möchte, was Jele jeweils empfindet, kann dies unter der entsprechenden Zahl in Teil 2 vergleichen.

Ihre Dialoge sind kursiv eingestreut.

Die beiden Lovestorys lassen sich aber auch in einem Zug und ohne Gebrauchsanweisung lesen.

1

Vielleicht liegt’s an den Schuhen, den neuen, dass er so leicht läuft. Er federt über die Lichtung, läuft durch die Schattenwand der Stämme hinein ins Halbdunkel. Die Bäume weichen zur Seite. Er schiebt sie mit langen Sprüngen auseinander, leicht, leicht, leicht. Der trockene Laubboden schleudert ihn hoch, als wäre Schaumstoff darunter. Er überspringt eine Reihe von frisch geschlagenen Stämmen, rauscht durch dürren Farn und nimmt dann einen gewaltigen Satz über einen unerwarteten Haufen: ein dunkles Bündel Holz.

Im Sprung spürt er angenehm seinen straffen, flachen Bauch, erfasst im Augenwinkel ein kleines Stück Lila, besonnt. Eine Frau, denkt er. Liladress, Fliederdress, Fliederike.

Im Mooshof wieder dieses Lila. Sie sitzt am Tisch, an dem er sonst sitzt, den Kopf in den Händen. Mattblonde Haare, irgendwie zusammengesteckt über einem weißen Nacken.

Sie stört.

Es ist seine Idee, sonntags früh durch dieses Waldstück zu laufen und dann in diesem reizlosen Gasthof ein Bier zu kippen, das ihm lärmend durch den nüchternen Magen rollt. Mief vom Vorabend hängt von der Decke, das Gesicht der Bedienung ist aufgeschwemmt von Schlaf, müde scheucht sie die Fliegen vom Brot. Dieses stille Bild gehört ihm, und er mag es nicht, dass sich die Lilafrau da hineinschiebt.

Ihr Gesicht sieht er erst, als er geht, und dass es ihm gefällt, merkt er erst, als er die Tür hinter sich schließt.

2

Wieder das Lila, wie letzten Sonntag, er hat es schon von weitem gesehen, hoppelndes Lila.

Dass er seine Sprünge zu Schritten verkürzt, bringt nichts. Er kommt ihr schneller näher, als er möchte. Ihr Hinterteil zittert, wenn sie den Fuß aufsetzt. Er holt sie ein, sie streicht Haar hinter die Ohren, und er sieht sie von der Seite, das ernste Gesicht, das vergnügte Profil.

»Nass heute«, sagt er, was genügt, um nebeneinanderzulaufen. Er hofft, dass sie ihm seine ungewohnt kurzen Schritte nicht anmerkt.

Es ist nicht klar, wer die Richtung angibt.

Als er im Mooshof die Jacke auszieht, riecht er seinen Schweiß. Er klemmt die Arme an den Oberkörper. Sie scheint nichts zu merken. »Es riecht nach Spiegelei«, sagt sie.

Jele. Als sie gesagt hat, wie sie heißt, hat er es nicht verstanden. Jele. Sie hat es zweimal wiederholt.

Während des Laufens war es leicht, ihr einen Satz zuzuwerfen. War der Satz in der Luft, waren sie schon ein paar Meter weiter, und das Gewicht der Wörter fiel nicht auf ihn zurück. Hier am Tisch, im Gaststubendunst, durch den sich die Wirtin bewegt wie in Zeitlupe, fühlt er sich plump, tut er sich schwer. Er versucht, das Bier möglichst geräuschlos zu schlucken, sieht zu, wie sie in der Tasse rührt, und ihre Hände kommen ihm nackt vor, das Auf und Ab des Löffels wie eine intime Handlung.

Ihre Haare sind nass, als käme sie aus der Dusche.

Sie hat ein schönes, klimpriges Lachen.

3

Beim Hinausgehen berührt er sie: Er hält ihr die schwere Gasthaustüre auf und legt die flache Hand auf ihren Rücken. Sie dreht sich ab, seine Hand fällt nach unten.

Den Kaffee wollte sie selber bezahlen.

Hier draußen ist ihre Stimme kleiner und höher. Luftstöße lodern über den Boden und lecken die Nässe weg. Sonne fällt, dann Schatten, in raschem Wechsel. Kommt so ein Schub plötzlicher Helle, kneift sie die Augen zu und hat eine senkrechte Falte über der Nase. Was andere für eine Augenfarbe haben, weiß er nie. Dafür merkt er sich Hände, kann sie abrufen wie fünfstellige Zahlen.

Menschen mit Hunden sind unterwegs, stramme Gänger mit strammen Leinen. Sie grüßt, er tut es ihr nach.

Ihre Haare sind wieder trocken.

Eigentlich möchte er rennen.

Einmal rutscht sie, er fängt sie am Ellbogen, zieht sie hoch, und sie lässt ihren Arm in seinem eingehängt. Das ergibt, da sie kürzere Schritte macht als er, beim Gehen verlegene Synkopen.

4

Ob sie schläft? Sie rührt sich nicht unter seinem Arm. Jele.

Mit Jele vom blauen Gipfel gestürzt.

Herzhämmernd.

Und jetzt die volle Blase. Wenn er den Arm hebt und sie loslässt und sich wegstiehlt, ist die Zaubernuss entzwei. Sie wird etwas Fragendes murmeln, und er muss seine Hose suchen und Worte suchen und die falschen finden.

Der Augenblick kommt so oder so.

Bald fällt Morgenlicht in das Durcheinander. Er will nicht, dass sie etwas vom Boden aufhebt. Will nicht, dass ihm jemand eine Ordnung andreht. Schlaf, tauch mich nochmal in Tinte ein.

Ihr Haar riecht gut nach Tee. Wie still sie liegt.

Vögeln ist ein seltsames Wort.

5

Dass sie kaum Möbel hat, das hat sie ihm gesagt. Aber so leer hat er sich die Wohnung nicht vorgestellt. Er sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich und wundert sich über seine Schuhe. Sie kommen ihm vor wie zwei ratlose braune Tiere, die sich verirrt haben. Kaum hat er seinen Satz zu Ende, fragt sie. »Warum?«, ruft sie aus der Küche. Warum. Sein Leben ist nun mal so gelaufen. Ist auf dieses weiße Stück Teppich zugelaufen. In diesen lachsroten Wohnblock. Zu Jele. Jele, die lila durch den Wald joggt. Sich schüchtern ins Bett legt. Kaum Brüste hat.

Warum Warum.

In diesem Raum steht nichts falsch, sogar der Holzstoß neben dem Kamin ist bündig mit dem Bild darüber. Das hat ein Freund gemalt, hat sie gesagt. Er weiß nicht, ob ihm dieses Bild gefällt. Er weiß nicht, ob er diesen Freund mag.

Warum er Lehrer geworden sei.

Warum, warum.

»Ich wäre gerne Erforscher geworden.«

Sie lacht.

Er hätte das nicht sagen sollen. Es geht sie eigentlich nichts an. Noch nicht.

6

Er hofft, dass sie nicht auf die Idee kommt, ihn abzuholen, dass sie nicht um fünf am Portal steht. Wenn doch, wie stellt er sie Flavia vor, die auch um fünf aushat?

Das ist Jele, die ich im Wald gefunden habe.

Das ist Jele, mit der ich geschlafen habe.

Das ist Jele, die meine neue Liebe ist.

Jele, bist du meine neue Liebe?

Vielleicht.

Er denkt mehr an sie, als er eigentlich möchte. Während sich die Klasse über die Hefte beugt, steht er am Fenster und geht die Gespräche von gestern abend durch. Er merkt, dass es ihm nicht – wie sonst oft – egal ist, was er gesagt hat, er möchte das Richtige gesagt haben. Er möchte von Jele richtig verstanden sein.

Jemand stöhnt hörbar, die Prüfung heute ist nicht einfach. Er mag sich nicht nach den Schülern umdrehen. Er schaut nicht gerne zu, wie sie sich quälen, wie sich der kleine Fähmann den Hinterkopf reibt, wenn er nicht weiterweiß.

Der Ahorn wird immer größer. Der Hauswart müsste mal die Äste schneiden. Sie kratzen bereits an der Scheibe. Wie eine arme Seele, oder so was ähnliches würde Jele sagen. Schon wieder Jele.

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