„Natürlich werden wir warten, Sir, wenn Sie es wünschen“, gab die junge Frau scheinbar ungerührt zurück, doch Jan entging nicht, dass die gesunde Bräune ihres Teints blasser wirkte, aus der Nähe betrachtet. Auch ihr Lächeln wirkte angestrengter, doch trotz der Anmaßung des Geschäftsreisenden behielt sie die Kontrolle über sich.
***
Der Jet kam vor einigen niedrigen Gebäuden zum Stillstand. Zwei alte Kleinflugzeuge standen in der Nähe, und im Schatten der heruntergekommenen Gebäude, hinter denen einige staubige Palmen aufragten, saßen sechs Ägypter auf dem Boden und blickten mäßig interessiert herüber.
Dieser trostlose Eindruck korrespondierte nahezu perfekt mit Jans Kindheitserinnerungen an Ägypten. Nein, dies war kein Land, das ihn anzog. Ägypten war trocken, staubig, arm, und Jan wünschte, er müsste nicht hier sein.
Immerhin – keine Schüsse, kein Tränengas in der Luft.
Es war ruhig in El-Minya, und Jan musste an die Leute vom BND denken, die sich am Flughafen von Kairo an seine Fersen hatten heften sollen. Die warteten dort vergeblich. Aber per Handy-Ortung würden sie schon mitbekommen, wo Jan tatsächlich war. Darum verzichtete er darauf, Herbert anzurufen.
Jan verabschiedete sich von seinen beiden Mitreisenden, indem er Jeff die Hand gab und dem anderen kurz zuwinkte, und stieg aus.
Es gab sogar eine Art Zollabfertigung: Ein Beamter hielt Jan auf, als er gerade das Flughafengebäude verlassen wollte, und trug ihm wortreich seine ganze Wichtigkeit in einem Gemisch aus Arabisch und Englisch vor. Jan machte dem ein Ende, indem er dem Mann zwanzig Dollar in die Hand drückte und weitere fünfzig Dollar zu dessen Konditionen in ägyptische Pfund tauschte. Damit waren alle Formalitäten erledigt, und die Pistole in Jans Reisetasche war problemlos mit ihm eingereist.
Das Taxi wartete bereits. Nach dreistündiger Fahrt am Nil entlang erreichten sie El-Fayyum, das altägyptische Krokodilopolis, heute eine schmutzige, heruntergekommene Provinz- und Industriestadt. Dichte Rauchwolken lagen über der Stadt. Der Aufruhr tobte also auch in El-Fayyum.
„Nicht durch das Zentrum“, sagte Jan zu seinem unentschlossenen Fahrer und drückte ihm einen Zwanzig-Dollar-Schein in die Hand. „Es gibt eine Ringstraße.“
Da der Mann kein Navigationsgerät hatte, dirigierte Jan ihn mit Hilfe seines Handys. Kurz darauf verließen sie den Einzugsbereich der Stadt bereits wieder Richtung Westen und brausten durch einige Dörfer, bis sie ein paar einfache Hütten aus getrocknetem Lehm erreichten, die inmitten von Feldern standen. Weizen, Hirse, Tomaten, auch Auberginen, überall Palmen – der Boden gab offenbar noch einiges her.
„El-Shawashna“, sagte sein Fahrer, nachdem er durch das offene Fenster mit einem Bauern gesprochen hatte.
Jans Handy sagte dasselbe.
***
Er blinzelte in die grelle Sonne. Der große Salzsee, der den nordwestlichen Teil der Oase einnahm, war nicht zu sehen, aber es lag ein eigentümlich salziger Geruch in der schwülen, stehenden Luft. In der Ferne erhoben sich öde, schroffe Hügel, deren schmutziges Graubraun in einem atemberaubenden Kontrast zum Himmelsblau stand, das rein und tief war, und wenn man länger hinsah, hatte man den Eindruck, man dringe in sein Inneres vor, wo es sich zu Schwarz wandelte.
Mit afrikanischer, wüstenhafter Wucht brannte die Sommersonne auf Jan herab. Er war aus Griechenland einiges gewohnt, aber das hier war härter.
Auf dem Weg durchs Dorf schoss dicht vor ihm plötzlich eine Horde von halbnackten, staubbedeckten Jungen hinter einer Mauer hervor. Zuerst erschraken sie vor ihm, ehe sie ihn umringten und von allen Seiten gleichzeitig auf Arabisch auf ihn einredeten. Einer von ihnen konnte erstaunlicherweise etwas Englisch. Es stellte sich heraus, dass er ein paar Brocken von den Wissenschaftlern des UNO-Projekts aufgeschnappt hatte, zu deren Zelten er Jan dann führte.
„Da sind wir“, sagte der Junge. „Zu Professor Fairbanks, jetzt?“
Jan traute seinen Ohren kaum.
„Fairbanks?“, wiederholte er. „Professor?“
Jan verteilte Kleingeld unter den Jungen, und die Horde stob davon.
Zwischen den Zelten stieß er auf einen älteren Ägypter in Kaftan und Küchenschürze, der zusammen mit seinem Küchenjungen Kartoffeln schälte. Weder er noch der Junge hatten eine Narbe auf der Wange. Der Alte wies Jan Richtung See. Ansonsten war das Zeltlager verwaist.
Bis zuletzt mochte Jan nicht glauben, dass er hier tatsächlich Marcus Fairbanks treffen sollte, seinen Doktorvater und Mentor von der Universität von Cincinnati. Aber er war es, kein Zweifel, wenn auch von der Sonne verbrannt, stoppelbärtig und deutlich gealtert. Jan erkannte ihn schon von weitem, wie er da am Boden kniete und Erde durch die Finger krümeln ließ, und rief ihm zu:
„Hallo, Marc!“
Fairbanks verfügte über einen etwas abwegigen Humor, hinter dem er die meisten seiner intensiveren Gefühle verbarg. Er blickte wohl auf, sah Jan, erkannte ihn auch und stockte sogar für einen Moment, winkte ihm dann aber lediglich beiläufig zu und rief:
„Hallo, Jan. Nett, dass du mal vorbeischaust. Lange nicht gesehen. Ist aber ein Scheißwetter hier. Hau bloß schnell wieder ab.“
Was für eine Wiedersehensfreude!
Doch Jan wusste, wie dieser Mann genommen werden wollte, und gab zurück:
„Hat deine Frau dich endlich in die Wüste geschickt?“
Jetzt erhob sich der Professor, beäugte ihn misstrauisch und fragte:
„Bist du das wirklich? Jan? Jan Metzner? Was verschlägt dich denn in diese Gegend? Dich hätte ich hier am wenigsten erwartet. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Acht Jahre? Meine Güte, es muss mindestens acht Jahre her sein, oder?“
Jan hätte die Fragen des Professors gern beantwortet, aber wie immer, wenn Fairbanks redete, kam niemand sonst mehr zu Wort.
„Es können auch neun Jahre sein. Warte mal, nein, nichts sagen, ich komme von selbst drauf. Du hast zu der Gruppe gehört, die Pseudomonas denitrificans modifiziert hat, genau. Seitdem heißt sie Pseudomonas denitrificans spec. metzneris , wusstest du das? Sie haben sie freigelassen, hast du davon gelesen? Es gab Gutachten, ja. Seitdem hat Cincinatti das beste Leitungswasser in den USA. Du könntest ein reicher Mann sein, Jan, aber es war ja nur eine Seminararbeit, nicht wahr? Ein mordsmäßiger Nitratfresser, deine Pseudomonas. Großartige Sache. Alle sind stolz auf dich. So was könnten wir hier auch brauchen, aber nicht wegen Nitrat, eher wegen Oxalat. Damit haben wir hier wirklich ein Problem, Jan. Aber entschuldige, du kennst mich, ich habe schon wieder vergessen, was du mich gefragt hast. Du wolltest doch etwas wissen, oder?“
„Neun“, antwortete Jan.
„Was – neun?“ Fairbanks musterte ihn verwundert.
„Wir haben uns neun Jahre lang nicht gesehen.“
„So lange.“ Der Professor runzelte die Stirn. „Du könntest recht haben. Die Zeit vergeht. Das hat sie so an sich, was? Du warst wie abgetaucht, wie verschwunden.“
„Ja, ich habe ein anderes Leben angefangen.“
„Keine Genetik?“
„Keine Genetik!“, bestätigte Jan.
„Warum? Du warst einer der besten Studenten, die ich je hatte. Du hättest etwas werden können.“
„Ich bin etwas geworden“, entgegnete Jan und berichtete knapp von seinen Erfolgen mit Bakterienkulturen auf dem Pilion.
„Sehr schön, sehr schön“, rief der Professor. „Etwas Ähnliches wollen wir hier machen – aber mit Genetik.“
Das bedeutete: mit genetisch modifizierten Organismen. Jan nickte. Vielleicht war das wirklich einer der Fälle, wo man mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen nicht geizen sollte, um die Folgen menschlicher Fehlwirtschaft zu beseitigen. Jan konnte es nicht beurteilen, er hatte nicht genug Informationen. Die Gegend machte auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck, aber das Getreide auf den benachbarten Feldern wirkte bei näherem Hinsehen doch etwas dürr und strohig.
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