Jan räusperte sich. An solche Kleinigkeiten wie den Preis hatte er noch keinen Gedanken verschwendet.
„Was ist denn eigentlich der Preis, wenn ich den Jet allein nehme?“
„45.000 US-Dollar, Herr Metzner.“
Jan zuckte zusammen und hoffte noch im selben Augenblick, dass Mikis es nicht bemerkte.
Jan hatte Geld genug, aber er hatte vorhin das Konto seiner Firma, der Metzner E.Π.E., belastet, auf dem es keineswegs von solchen großen Summen nur so wimmelte. Er musste Elena Papadopoulos, seiner Sekretärin, gleich eine SMS schreiben, dass sie ihre Vollmacht nutzen und sich das Geld von Jans Privatkonto holen sollte. Sonst war Metzner E.Π.E. über Nacht pleite.
„Entschuldigung, Sir“, sagte Mikis, der Jans Zögern richtig deutete, „es handelt sich um einen VIP-Jet mit Luxusausstattung für bis zu 12 Passagiere. Ich kann Ihnen zeitnah leider keine günstigere Flugmöglichkeit anbieten. Alle anderen Jets sind unterwegs. Der erste wird um elf Uhr zurückerwartet. Ich war davon ausgegangen, dass Sie sofort nach Kairo …“
„Die Summe reduziert sich dann auf 15.000 Dollar pro Kopf?“, unterbrach Jan den OUO-Angestellten. Der bejahte, und so stimmte Jan dem Deal zu in der Hoffnung, dass der Jet groß genug sein möge, um den beiden Fracking-Leuten aus dem Weg gehen zu können.
Dann versuchte Jan erneut, sich auf die Zeitung zu konzentrieren. Das Blatt, eines der führenden in Deutschland, berichtete auf der dritten Seite in einer großen Reportage über die Seuche im Swat-Tal, während die erste Seite gespickt war von krisenhaften Nachrichten über den beginnenden Rüstungswettlauf zwischen den USA und China. Und es gab einen größeren Artikel über Reaktionen aus den USA auf die Aktivitäten der Islamischen Allianz . Für seine Ankündigung, entschieden gegen den Terrorismus vorgehen zu wollen, hatte König Abdallah II. von Jordanien schon eine Menge Häme und Spott über sich ergehen lassen müssen. Jetzt kochten neue Äußerungen aus der ultrakonservativen Ecke hoch, denn in den USA war Wahlkampf. Präsidentin Lindsay Preston hatte ihre zweite Amtszeit so gut wie hinter sich. In fünf Monaten wurde ein neuer Präsident gewählt. Der Kandidat mit den besseren Aussichten war Joey Calderon von den Demokraten. Der Kandidat der Republikaner, Senator Chris Kerry, kritisierte den jordanischen König nun in scharfem Ton dafür, dass er ein wenig spät komme mit seinem Bestreben, gegen den Terrorismus vorzugehen, denn der Terrorismus sei bereits besiegt, al-Qaida sei längst tot, und zwar dank der Anstrengungen und Opfer der USA im Krieg gegen den Terror. Wo sei der jordanische König denn gewesen, als US-Soldaten in Afghanistan gestorben seien? Da hätte man seine Hilfe brauchen können. Lieber gründete er nun selbst eine Terror-Organisation. Man werde ja sehen, was der 11. Juni bringen werde, wenn der Countdown der Islamischen Allianz ablief. Das amerikanische Volk jedenfalls werde allen kommenden Bedrohungen ebenso kraftvoll widerstehen wie allen, die hinter ihm lägen.
Wahlkampfgetöse , dachte Jan.
Aber es stimmte, von al-Qaida war lange nichts mehr zu hören gewesen. Wer immer in letzter Zeit einen Führungsposten bei al-Qaida übernommen hatte, war mit Sicherheit ein halbes Jahr später tot, gestorben bei einer der unablässigen Drohnen-Attentaten des US-Militärs. Vielleicht war al-Qaida wirklich besiegt. Das wäre eine gute Nachricht. Jan mochte allerdings nicht glauben, dass Abdallahs Islamische Allianz die Nachfolge der al-Qaida angetreten haben sollte. Für ihn war das Tea Party-Gewäsch, für die Ohren der Ultrakonservativen in den USA bestimmt. Abdallah II. selbst behauptete, dem Extremismus das Wasser abgraben und endlich im Namen aller moderaten Muslime für einen gerechten Islam und gegen die fundamentalistischen Kräfte aufstehen zu wollen. Seine Worte galten etwas in der arabischen Welt, denn er konnte seine Abstammung bis auf den Propheten zurückführen. Vor einem Jahr noch hätte die Islamische Allianz beinahe den Friedensnobelpreis bekommen, doch dann waren die Anschläge losgegangen.
Die Zeitung meldete auch, dass der Vorsitzende des Rats des Islam, Großscheich Ahmed Mohammed Zadzouk, sich hoffnungsvoll über das Ergebnis der Schura geäußert habe. Zadzouk war Rektor der angesehenen al-Azhar-Universität in Kairo gewesen, bevor er vor einem halben Jahr vor den Fundamentalisten aus Ägypten nach Jordanien geflohen war, zusammen mit vielen anderen moderaten Geistlichen, die sich in Ägypten zunehmend bedroht gefühlt hatten. Denn dieses Mal hatten die Muslimbrüder durchgegriffen. Mit einer Härte, die ihnen niemand zugetraut hätte, hatten sie zumindest die ägyptische Hauptstadt von allen moderaten Stimmen „gesäubert“, und zwar nicht nur, indem sie Menschen vertrieben hatten. Es gab Berichte über entsetzliche Gräueltaten paramilitärischer Einheiten der Salafisten.
Zadzouks Wort galt etwas in der islamischen Welt. Die Zeitung zitierte ihn mit den Worten:
„Etwas wie unsere Ratsversammlung, diese Schura, hat es im Islam seit sehr, sehr langer Zeit nicht gegeben. Ihr Ergebnis wird epochal sein. Der Countdown läuft.“
Jan seufzte, als er das las. Wahrscheinlich hatte der Großscheich sich nur möglichst zeitgemäß in westlicher Manier ausdrücken und eine gute Botschaft spannend verpacken wollen. Dass der Westen beim Wort „Countdown“ wahrscheinlich sofort kollektiv an die ablaufende Zeit auf der Webseite der Islamischen Allianz dachte, mit der viele Menschen im Westen eine Bedrohung verbanden, hatte er wahrscheinlich einfach nicht bedacht. Die Islamische Allianz versuchte auch sofort, die Sache klarzustellen. Abdallah II. schickte einen Sprecher vor die Kameras, der zu erklären versuchte, dass die Worte des Großscheichs ein Versprechen bedeuteten, keine Drohung. Am 11. Juni werde etwas geschehen, was den Islam völlig verändern werde.
Rechts unten auf der ersten Seite der Zeitung fand Jan eine Meldung, die den Eindruck machte, als sei sie in letzter Minute in die Druckausgabe der Zeitung hineingestopft worden, denn sie wimmelte von Rechtschreibfehlern:
„Ajatollah Khahmani gestorben“.
Aber Jan war zu müde. Er registrierte die Nachricht gähnend, empfand eine gewisse Befriedigung angesichts des Todes dieses Hetzers, die aber sofort von seinem schlechtem Gewissen in die Schranken gewiesen wurde – denn wie konnte man den Tod eines Menschen begrüßen, auch wenn dieser Typ nachweislich alles dafür getan hatte zu polarisieren, aufzuschaukeln und anzustacheln?
Nun, in bestimmten Situationen kann man offenbar froh über den Tod eines Menschen sein.
Er hätte es niemals zugegeben.
Noch vierzig Minuten bis zum Start des Jets. Jan kämpfte gegen seine Müdigkeit an, indem er versuchte, sich in die Reportage auf Seite drei zu vertiefen, doch ihm fielen die Augen zu.
Mensch, Jan! Seuche! Unbekannter Erreger! Das ist doch dein Ding!
Er schreckte auf, als jemand ihn sanft an der Schulter rüttelte. Eine nachsichtige Stimme raunte in seinen Gehörgang:
„Sir, wir wären startbereit. Gern können Sie im Flugzeug weiterschlafen.“
Es war die hübsche Hostess, und Jan hatte soeben exakt die berühmten 15 Minuten geschlafen, die einen wieder richtig fit machen konnten. In Kürze wäre er in die Tiefschlafphase abgeglitten, den Ursumpf des Unterbewusstseins, doch jetzt war er schlagartig hellwach und fühlte sich erstaunlich ausgeschlafen.
„Natürlich“, sagte er und sprang auf.
Fünf Minuten später rollte der Privatjet auf die Startbahn und hob ab Richtung Kairo, der Hauptstadt der Islamischen Republik Ägypten – mit Jan an Bord und mit den beiden smarten Eccon-Burschen in ihren teuren Anzügen zwei Reihen hinter ihm. Jan kam sich fast wie ein Kollaborateur vor. Leute wie die hatte er immer gemieden.
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