„Das wollen wir doch hoffen!“
„Auch in deren Taschen!“
„Jeff, das Projekt wurde abgesegnet. Wenn etwas schiefgeht, ist es zumindest nicht unsere Schuld.“
„Sehr beruhigender Gedanke!“
„Noch einmal: Das Projekt wurde abgesegnet.“ Der ältere Geschäftsreisende flüsterte nun, aber Jan verstand ihn trotzdem einwandfrei. „Von ganz oben. Aus dem Wirtschaftsministerium. Das Geschäft mag vielleicht nicht frei von Risiko sein, aber du kannst mal davon ausgehen, dass die da oben damit ein Ziel verfolgen, das übers reine Geldverdienen hinausgeht.“
„Klar, sie wollen die alte amerikanisch-ägyptische Freundschaft wiederbeleben. Sie wollen Ägypten aus der Anti-US-Allianz der islamischen Staaten herausbrechen.“
„Ein großes Ziel, was?“ Der ältere Mann lachte zufrieden.
„Mit Osama haben wir damals auch Geschäfte gemacht, bevor er unser größter Feind wurde.“
„Osama!“ Der Ältere ächzte. „Das ist natürlich ein Totschlagargument. Okay, ich hätte zwei Vorschläge zur Auswahl. Vorschlag eins: Sobald wir in Kairo sind, nehmen wir den ersten Flug nach Hause und kündigen bei Eccon wegen unerwarteter Skrupel. Dann treten wir Greenpeace bei, kämpfen für die Rettung der Wale und werden Vegetarier. Vorschlag zwei: Wir lassen uns einen Whisky bringen und freuen uns vorab ein wenig über eine fünfstellige Provision, die am Ende der Woche auf unseren Konten landen wird, und das nächste Wochenende verbringen wir mit Betsys geilen Bräuten, die dir neulich schon so gut gefallen haben, und lassen uns richtig verwöhnen.“
Der Jüngere lachte und antwortete:
„Ich kenne jemanden, der besser mit Totschlagargumenten um sich werfen kann als ich.“
Sie bestellten den Whisky.
***
Auch Jan hatte Lust auf etwas Alkoholisches, obwohl es früh am Morgen war, doch er brauchte einen klaren Kopf. Es hätte ihn wahrscheinlich beruhigt. Normalerweise hatte er einen Ruhepuls von 56 bis 60, doch zurzeit hämmerte sein Herz 86- bis 90-mal pro Minute, und er fühlte sich unangenehm abgehetzt.
Hoffentlich sind wir bald da.
Das Frühstück, das die Flugbegleiterin nun servierte, brachte ihn vorübergehend auf andere Gedanken. Auch die beiden geschwätzigen Amerikaner verstummten, als sie sich den aufgefahrenen Köstlichkeiten widmeten. Es gab Toast, Konfitüre, erlesenen geräucherten Schinken, der an Serrano erinnerte und der duftete, als käme er direkt aus dem Bergdorf, dazu ein gekochtes Ei, das Jan gepellt, aufgeschnitten und mit einem Häubchen von Beluga-Kaviar verziert anlachte. Die hübsche Hostess servierte Kaffee, der diesen Namen tatsächlich verdiente, was in der Luftfahrt keineswegs selbstverständlich war, und bot auch Champagner an, doch Jan lehnte ab, während die beiden Amerikaner sich wieder zu streiten begannen.
Fracking!
Jan war entrüstet. Die Typen wollten diesen ökologischen Unsinn also immer noch weiter exportieren, obwohl damit in den USA schon verheerende Schäden angerichtet worden waren. Weite Landstriche waren verwüstet, Grundwasser-Reservoirs waren vergiftet von den Chemikalien, die beim Fracking in den Boden gepresst wurden, um tiefe Gesteinsschichten aufzusprengen und das Erdgas herauszupressen. Die USA folgten heute wieder der energiepolitischen Linie der Reagans und Bushs, die da lautete:
„Verbrauch steigern, Produktion steigern – Gewinne steigern! Koste es, was es wolle!“
Mit dieser Linie hatten sich die USA von Energieimporten unabhängig gemacht. Sie waren heute autark. Egal wie viel die amerikanischen Konsumenten verbrauchten – es war für lange Zeit genug da. Das Erdgas ließ sich beliebig verflüssigen und verstromen. Irgendwann, wenn dem Boden selbst mit dem brutalsten Fracking kein Gas mehr abzupressen war, würden die USA zwar ein ausgeplündertes, verwüstetes und vergiftetes Land sein, aber Hauptsache, bis dahin sprudelten die Profite.
Jan seufzte. Er wünschte sich auf seinen entlegenen, friedlichen Pilion zurück, wo die Welt noch in Ordnung war, und er sehnte sich nach der Ruhe seines Labors, wo er sich an normalen Tagen mit den kleinsten Bewohnern dieser Welt beschäftigte.
Glückliche Mikroben! Nichts anderes im Sinn als fressen, leben und sich vermehren!
Nach dem Frühstück nahm er wieder seine Zeitung zur Hand und blätterte sie ratlos durch auf der Suche nach weiteren Artikeln, die ihn bis zur Landung, die er ungeduldig erwartete, ablenken konnten. Ausgerechnet im Feuilleton blieb er hängen, bei einem Essay des Politologen Hermann Brandt. Jan wunderte sich, dass ein Artikel mit der Überschrift „Der Clash ist endgültig da!“ im Feuilleton gebracht wurde, aber wo sonst sollten sie einen derart langen und anspruchsvollen Text bringen?
Brandt beschäftigte sich mit dem Hauptwerk des berühmten Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, „Clash of Civilizations“, indem er sich 30 Jahre nach dessen Entstehung in die Niederungen heutiger Politik wagte. Jan hatte eine deutschsprachige Ausgabe von „Clash of Civilizations“ zu Hause in Kala Nera. Das Ärgerliche daran war, dass der deutsche Verlag den Originaltitel zu einem reißerischen „Kampf der Kulturen“ verhunzt hatte. „Clash“ bedeutete jedoch nicht Kampf, sondern Zusammenstoß, Kollision, und auch „Civilizations“ bedeutete etwas anderes als „Kulturen“. Der deutsche Titel bot praktisch bereits eine Interpretation der Thesen Huntingtons an, eine Interpretation, die zudem an Sozialdarwinismus grenzte. Auch Darwins Wort vom „survival of the fittest“ wurde meist falsch übersetzt, nämlich als „Recht des Stärkeren“, doch der Stärkste war nicht zwangsläufig der Fitteste. Es kam immer darauf an, welche Herausforderungen die Auswahl dominierten.
Brandt untersuchte in seinem Essay die Entwicklungen in der islamischen Welt seit 1990. Iran fuhr wieder eine unnachgiebige Linie gegenüber dem Westen, und zwar seit der Rebellion in Saudi-Arabien vor drei Jahren, die das Wahhabiten-Regime nur mit Mühe überstanden hatte – und mit militärischer Unterstützung der USA. Damals hatten US-Streitkräfte geholfen, eine Demokratiebewegung niederzuschlagen. Die USA bestritten das bis heute, aber es gab so viele Videos auf YouTube, die das Gegenteil belegten, dass die USA seitdem ein riesiges Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit hatten, und zwar nicht nur im Westen. Frankreich war daraufhin sogar wieder aus der Nato ausgetreten und in den Assoziierten-Status zurückgekehrt, den es bis 2009 innegehabt hatte.
Saudi-Arabien hatte so wieder stabilisiert werden können, ganz im Sinne der USA. Dafür regte sich die Rebellion nun überall rundherum. Es begann in Qatar, das seit langem islamistische Bewegungen in anderen Ländern finanzierte, etwa in Gestalt der Salafisten, aber nicht darauf vorbereitet war, dass die Agitation ins Scheichtum zurückkehren könnte. Niemand war darauf vorbereitet, dass Qatar drei Wochen vor der Fußball-Weltmeisterschaft im Ausstand und praktisch unregierbar war. Das Mega-Event musste abgesagt werden.
Der Emir konnte sich an der Macht halten, ebenso die Herrscher von Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und des Oman. Doch im Jemen wurde der jahrzehntelange Bürgerkrieg schlagartig zugunsten der islamistischen Rebellen entschieden, als sich das Volk erhob und den korrupten Präsidenten davonjagte. Von dort sprang der revolutionäre Funke über die Meerenge auf den afrikanischen Kontinent über und fegte das autokratische Regime von Dschibuti fort, mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft, denn 40 Prozent aller über die Meere verschifften Waren mussten durch die Meerenge vor Dschibuti hin zum Sueskanal oder zum Golf von Aden, die nun nicht mehr sicher war.
Dann war der Irak an der Reihe. Dort gewann die unter den Amerikanern aufgelöste, später wiedergegründete Baath-Partei des früheren Diktators Saddam Hussein die Wahlen, nachdem ihr Führer Walid al-Sheri ein strategisches Bündnis mit einigen schiitischen Parteiführern geschmiedet hatte. Al-Sheri hieß zufällig wie einer der Attentäter vom 11. September 2001, was ihm – zynische Randnotiz der Geschichte – einen Bonus in den Wahlen verschaffte. Und vor einem halben Jahr war auch Ägypten an die Islamisten gefallen. Nur in Jordanien, Syrien und im Libanon blieb es relativ ruhig.
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