„Natürlich sind sie das“, entgegnete der andere, „sie halten sich für sagenhaft schlau und gerissen. Ich finde sie ziemlich berechenbar.“
„Ich mache nicht gern Geschäfte mit Moslems“, hielt der erste dagegen, der jünger und schlanker war. „Ich finde das nicht richtig. Wir können nicht auf der einen Seite sagen, das sind alles Terroristen, und auf der anderen gehen wir hin und machen mehr oder weniger heimlich Geschäfte mit ihnen.“
„Aber deine Provision streichst du hinterher trotzdem gern ein, nicht wahr?“, versetzte der zweite – Wohlstandsbäuchlein, weniger Haare auf dem Kopf.
Die beiden saßen zwei Reihen hinter Jan, so dass er sie nicht sehen konnte, aber er spürte sie.
„Siehst du“, fuhr der zweite fort, „es geht eben ums Geschäft und nicht um die Religion. Erst das Fressen, dann die Moral. Außerdem sind die ganz genauso drauf wie wir. Sie verdammen zwar den großen Satan USA in ihren Freitagsreden, aber wenn die Mikrofone abgeschaltet sind, können sie uns nicht schnell genug die Hand geben. Geld regiert die Welt.“
Noch so eine Plattitüde, Bursche, und ich ...
„Weißt du noch, die Sache mit dem angeblichen Krankenhaus neulich?“, fragte der erste.
Auch Jan erinnerte sich. Der Vorfall hatte zu internationalen Verwicklungen geführt. US-Seestreitkräfte, die zur Kampfgruppe des im Golf von Aden patrouillierenden Flugzeugträgers USS George H. W. Bush gehörten, hatten mit zwei Marschflugkörpern ein Gebäude im Jemen zerstört. Es dauerte nicht lange, bis regionale Fernsehsender und kurz darauf Al-Dschasira Bilder von einem mehrstöckigen, in Qualm gehüllten Gebäude zeigten, vor dem Leichen und Leichenteile herumlagen. Teile des Gebäudes waren zusammengebrochen. Weinende Kinder und abwesend wirkende alte Menschen irrten durch die Trümmer. Der Sprecher behauptete, es handle sich um die Reste des Krankenhauses von Shaqra‘, einer jemenitischen Küstenstadt, das von zwei amerikanischen Marschflugkörpern fast völlig zerstört worden sei. Zum Beweis wurden verbogene Metallteile in die Kamera gehalten, auf denen deutlich die rauchgeschwärzte US-Flagge zu erkennen war. Der Sprecher behauptete, das seien die Überreste der Marschflugkörper.
Wenig später war ein Sprecher des Pentagon in Washington vor die Kameras getreten und hatte den Start zweier Cruise Missiles bestätigt. Sie hätten getan, wozu sie gebaut worden seien, und hätten einen Gebäudekomplex im Hinterland der südjemenitischen Metropole Aden zerstört, in dem die Islamisten mit Milzbrand-Bakterien experimentiert hätten, um biologische Waffen zu entwickeln. Als Beleg wurde ein Komplex von flachen Gebäuden in wüstenartiger Umgebung gezeigt, aufgenommen offenbar aus der Erdumlaufbahn oder von einer Drohne. Deutlich war zu sehen, wie kurz nacheinander zwei heftige Explosionen erfolgten, die die beiden größten Gebäude komplett zerstörten und die Umgebung verwüsteten. Jeder, der diese Bilder sah, konnte sich vorstellen, dass dort kein Anthrax mehr hergestellt werden würde.
Mit der Darstellung des jemenitischen Fernsehens konfrontiert, antwortete der Sprecher, man habe bisher keine Erkenntnisse darüber, welches Gebäude in diesen Bildern des Jemen-TV gezeigt werde. Vermutlich handle es sich um filmisches Archivmaterial, aber er halte es auch für möglich, dass die Islamisten selbst ein Gebäude in die Luft gejagt hätten, um die USA an den Pranger stellen zu können, und dass sie dabei Tote und Verletzte billigend in Kauf genommen hätten.
„Natürlich erinnere ich mich“, sagte der zweite Geschäftsreisende. „Wir sind im Krieg mit denen.“
„An welche Version hast du geglaubt?“
„An unsere natürlich.“
„Und wenn die Islamisten die Wahrheit gesagt haben?“
Jan spürte , wie der Ältere die Schultern zuckte.
„Dann haben sie jetzt eben ein Krankenhaus weniger“, sagte er teilnahmslos. „Jeff, wir sind im Krieg. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“
Jan knirschte mit den Zähnen. Diese Überheblichkeit! Genau das war das Amerika, das ihn aus den USA vertrieben hatte. Diese breite Brust, dieses „Wir sind immer im Recht, auch wenn wir im Unrecht sind!“, diese gegen jeden Zweifel immunisierte Selbstgerechtigkeit. Um wie viel sympathischer war ihm dagegen der jüngere Geschäftsreisende, der die Dinge zumindest hinterfragte!
Auch Jan glaubte übrigens an die US-Version, weil es sich einfach um die plausiblere der beiden Versionen handelte. Das zerbombte Krankenhaus passte den Islamisten zu gut ins propagandistische Konzept, als dass ihnen die Amerikaner diesen Gefallen getan hätten. Zudem hatte Jan die Aktion der Amerikaner sogar begrüßt, denn er war der Auffassung, dass die Terroristen niemals in den Besitz biologischer Waffen kommen durften! Nicht auszudenken, was sie damit anstellen konnten.
Das Problem war: Das Ausgangsmaterial für biologische Waffen lieferte die Natur frei Haus. Überall auf der Welt gab es Erreger tödlicher Krankheiten, mit denen man experimentieren und die man weiterentwickeln konnte, wenn man das nötige Knowhow und ein sicheres Labor hatte, und überall konnte zudem jederzeit ein neuer Erreger entstehen. Das Influenza-Virus H5N1 etwa, das Vogelgrippe auslöste, eines der gefährlichsten Grippeviren überhaupt, war in einem eng umgrenzten Gebiet in China durch zufällige Mutationen entstanden. Solche Mutationen ließen sich auch künstlich auslösen. Auch vom Ebola- und vom Marburg-Virus, den gefährlichsten aller bekannten Viren, konnte man sich relativ leicht Proben beschaffen. Man musste nur eine Expedition in die Gebiete Afrikas starten, in denen Nilflughund und Hammerkopf lebten, zwei Flughundarten. Diese Fledertiere verbreiteten Ebola und Marburg mit ihrem Kot. Doch um mit diesen tödlichen Viren zu experimentieren, brauchte man Spezialisten und ein hochsicheres Labor. Daher war es absolut richtig, den Islamisten jede Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Vervielfältigung solcher Waffen zu nehmen.
„Aber stell dir vor, wir schließen unser Geschäft ab“, sagte der jüngere Geschäftsreisende. Jan spürte , wie der ältere zu diesen Worten nickte:
„Was uns gelingen wird!“
„Okay. Wir holen also das Erdgas aus dem Boden ihrer Wüste. Und ich rede dabei nicht von einer Kleinigkeit, sondern von geschätzten 300 Milliarden Kubikmetern. Das deckt zum Beispiel den gesamten Bedarf in Europa für eineinhalb Jahre. Wir machen also ein richtig gutes Geschäft, die Knete fließt reichlich, und alle haben was davon. Auch die. Wie wohl ist dir bei dem Gedanken, dass die mit dem Geld so ein beschissenes Labor einrichten, in dem sie Anthrax oder noch Schlimmeres züchten, das sie dann mit Briefen an uns nach Hause schicken? Nein, du kannst sagen, was du willst – es ist nicht richtig, mit denen Geschäfte zu machen.“
Der ältere seufzte.
„Dann darfst du mit niemandem Geschäfte machen“, gab er zurück. „Aber denk daran, wir haben das Go von ganz oben. Hassan …“ Er zuckte zusammen, sein Kopf ruckte in die Höhe und er sah zu Jan nach vorn, ohne mehr von Jan zu sehen als dessen obere Hälfte seines Hinterkopfes. Vorsichtig fuhr er fort:
„… unser Geschäftspartner wurde überprüft und für unbedenklich befunden.“
„Wer hat ihn überprüft?“
„CIA vermutlich.“ Der Ältere zuckte mit den Schultern. „Hoffe ich wenigstens.“
„Und wenn er ein Strohmann ist?“
Der Ältere schwieg einen Moment, ehe er bissig bemerkte:
„Glaubst du eigentlich, dass du in unserem Business richtig bist?“
Der Jüngere schnaubte und gab ebenso bissig zurück:
„Glaubst du, dass es falsch ist, sich Sorgen um die nationale Sicherheit zu machen, die vielleicht in Gefahr ist, weil wir unbedacht Geschäfte mit den falschen Leuten machen? Denk mal dran: Es werden Milliarden Dollar fließen, wenn das Erdgas strömt.“
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