Renate Wullstein - Olgas Essen

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Die Entstehung der Geschichten und deren Schicksal sind im Roman «Das Blatt», (der online veröffentlicht ist), beschrieben. Bereits 1976 war ein Buch beim Verlag Neues Leben Berlin geplant, das aber erst 1991 unter dem Titel «Hotelnacht» erschien, also nach der Wende. Ich habe nie herausgefunden, warum, denn die Geschichten waren unpolitisch, meinte ich. Aus diesem Band sind einige Texte für «Olgas Essen» ausgewählt. Andere erschienen in Zeitschriften zu DDR-Zeiten. Jeweils am Ende der Geschichte stehen Entstehungsdatum, Veröffentlichung oder bisher unveröffentlicht. Im Klappentext von «Hotelnacht» heißt es:
Treffsicher und schonungslos offen, frisch und mit ironischem Augenzwinkern erzählt die Autorin elf Geschichten von interessanten, riskanten und alltäglichen Liebesleben junger Leute.

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Renate Wullstein

Olgas Essen

Kurzgeschichten

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Inhaltsverzeichnis Titel Renate Wullstein Olgas Essen Kurzgeschichten Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Renate Wullstein Olgas Essen Kurzgeschichten Dieses ebook wurde erstellt bei

Es klopft

Ein Mann für eine Nacht

Die Freundin

Trennungsschmerz

Schwarz Fahren

Die Nebenwohnung

Die Reise mit Ira

Judiths Geheimnis

Hotelnacht

Hotelnacht etcetera

Jazz-Fasching in Babelsberg

Haushaltsauflösung

Olgas Essen

Impressum neobooks

Es klopft

Wo heute die Sonne der Kleinwirtschaft scheint, war in den achtziger Jahren graue gespenstige Ruhe: Zugenagelte Schaufenster, alte Roll-Läden, mal eine Frau mit Schnapsflasche, mal ein Mann mit Schnapsflasche, mal ein junges Ehepaar mit Kinderwagen. Mal der Dichter Uwe Kolbe. Schliemannstrasse, Prenzlauer Berg, Ostberlin. Einmal bei mir die Staatssicherheit. Aber das war eine Verwechslung. Dachte sie, also ich, die auf dem Hinterhof wohnte. Keine Sonne, aber Kohlen klauen bei Schiele, immerhin. Die beladenen Hänger standen auf der Straße, ansonsten gähnende Leere, keine Privatautos. Eine lange Nachkriegszeit.

Unsere Sorte Mensch, die Randfiguren der Gesellschaft , wohnte im Hinterhaus oder Seitenflügel, in übersichtlichen Ein-Raum-Wohnungen mit Küche, Flur und Außenklo. Die Klingel war schon kaputt, als ich einzog – und überflüssig. Bitte klopfen!

Miete achtundzwanzig Mark, Honeckers soziale Idee: Die Miete darf nicht höher sein als 1923. Das Niveau auch nicht. Wenn die Starken außen und die Schwachen innen sind, ist das gut und kein Übergewicht. Hier ist das Umgekehrte der Fall. Was haben wir in den Jahren getrieben, als es nicht darum ging, den Wohlstand zu finanzieren. Wir haben geredet, gesungen, getrunken und gedichtet. Draußen war grau, drinnen war bunt. Bunte Bücher, Schallplatten, Tücher, Patchwork-Decken. Geschirr, Antiquitäten, Buntstifte und Ölfarben.

Ein bisschen Geld brauchte man trotzdem. Ich schlug mich durch und wartete manchmal auf einen Scheck, den mir die Eltern über einen Kanal im Außenministerium zukommen ließen. Sie arbeiteten in der Botschaft der DDR in Moskau. Der Scheck war angekündigt. An der Wohnungstür klopfte es. Vor mir stand ein Kollege des Vaters.

„Ach, grüß dich“, sagte ich, denn ich biederte mich gern den Genossen an.

Er stutzte. Gab mir die Hand und lächelte.

„Komm rein“, hörte ich mich sagen. Und hielt ihn für den Schuldirektor der Botschaftsschule in Moskau. Etwas jünger als der Vater, mittelgroß, Windschutzjacke, synthetische Anzughose. Günter sein Name.

Ich bot ihm einen Stuhl.

Sichtlich verwirrt saß er dort und begann ein privates Gespräch.

„Wie geht es? Was macht der Bauernhof in Paretz?“

„Ich ziehe gerade um“, sagte ich. „Ist viel zu tun.“

„Dein Sohn ist ja jetzt auch schon zwei, oder?“

Ich nickte. Was der alles wusste.

„Sag mal, du warst doch mit dem Presser befreundet?“

Ich blickte ihn an.

„Presser?“ Die erste Alarmglocke erschallte.

„Na ja, befreundet, ein Bekannter“, sagte ich.

Presser war kürzlich über die Ostsee in den Westen geflüchtet. Seine Frau, die als Kellnerin arbeitete, hatte mich eben instruiert, falls mich jemand fragen sollte, ich wüsste nichts, sollte mir aber Spitznamen für den Freundeskreis ausdenken.

Günter fragte weiter. Er fragte nach dem Freundeskreis. Was hatte das mit meinem Scheck zu tun? Parallel zur Nennung der Spitznamen, die mir zum Schein erst nach und nach einfielen, funkte mein Inneres: Stasi! Achtung!

Bekam ich den Scheck nur durch Zusammenarbeit? Quatsch.

Während der Plauderei fügte Günter ein, ich solle meine Wohnung auf gar keinen Fall aufgeben, die könne man gebrauchen. Sie übernähmen die Miete, und eine kleine Getränke-Bar sei auch drin. Bis dahin hatte ich die Existenz konspirativer Wohnungen für ein Gerücht gehalten. Ich saß in der Falle, nickte und wurde schweigsamer. Zum Abschied gab Günter mir seine Telefonnummer mit dem Hinweis, dass Günter natürlich nicht sein richtiger Name sei.

„Versteht sich“, sagte ich.

Kein Scheck. Dass mein Vater für die Stasi arbeitete, hatte er nicht verheimlichen können. Aber dass er auf mich einen Mitarbeiter ansetzte, war zuviel. Nach Günters Abgang geriet ich in Panik. Wenn die mich erpressen. Auf keinen Fall gehe ich ins Gefängnis, dachte ich, so lange mein Sohn ein Kind ist. Da konnte allein der Vater helfen. Ich rief an und beschimpfte ihn. Die Mutter nahm den Hörer und sagte: „Was ist denn daran so schlimm, für die Stasi zu arbeiten?“

Ich war sprachlos. Aber es stellte sich heraus, dass Günter selbständig gehandelt hatte. Mein Vater versprach, ihn zurückzupfeifen. Günter war niemals Schuldirektor, er sah ihm nur ähnlich. Mein Vater lachte laut wie selten. Himmel und Erde standen still.

Von Günter hörte ich nie wieder. Der Scheck lag im Außenministerium beim Pförtner. Er diente meiner nächsten Reise zu meinen Eltern.

2004, unveröffentlicht

Ein Mann für eine Nacht

Der Sommer war fast vorbei. Wir saßen im Café als einzige Gäste und schwiegen. Draußen auf dem Platz waren alle Tische besetzt, in der Erwartung, jeder Tag könnte der letzte sein. Der letzte Tag des Sommers.

„Es ist besser, wir trennen uns“, sagte er schließlich.

Ich war keineswegs überrascht, ich hatte es seit Tagen gespürt.

„Jedenfalls für eine gewisse Zeit sollten wir uns trennen“, setzte der Mann hinzu, der vergeblich auf eine Antwort von mir wartete. Ich nickte kurz und sah an ihm vorbei. Und dann nach oben. Und dann nach draußen. Er wurde unruhig.

„Möchtest du noch was trinken?“

„Nein“, sagte ich.

„Gibt es noch etwas zu sagen?“

„Nein.“

„Dann muss ich jetzt los. Soll ich dich noch irgendwohin fahren?“

Ich schüttelte den Kopf. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Seit einer guten Stunde hatte ich kaum ein Wort gesprochen, und als ich jetzt in sein gequältes Gesicht blickte, fasste ich den Entschluss, ihn zu erlösen.

„Du kannst gehen“, sagte ich. „Ich möchte noch ein bisschen hier bleiben und nachdenken.“

Mein Freund atmete tief durch. „Zahlst du meinen Kaffee?“

„Ja klar.“ Ich lächelte ihn an. „Wenn es dir wieder besser geht, weißt du ja, wo du mich findest.“

Er nickte erleichtert, stand auf, steckte die Zigaretten in seine Hemdtasche, hob nur kurz die Hand zum Gruß und entfernte sich.

Ich blickte ihm nach, beobachtete, wie er in sein Auto stieg und mit quietschenden Reifen davonfuhr. So hörte es sich an, wenn er besonders schlechte Laune hatte. Oder besonders gute.

Ich atmete einmal laut durch. Der Kellner kam und fragte, ob ich zahlen wolle.

„Einen Viertelliter Wein“, gab ich zur Antwort. Er nickte und grinste. Ich stand auf, um mir eine Tageszeitung zu holen, die ich aber nur durchblätterte. So jung war ich nicht mehr, um mich von der Launenhaftigkeit eines lediglich platonischen Freundes aus der Bahn werfen zu lassen. Ich trank den Wein, und es ging mir besser. Zugegeben, die Situation war unerfreulich, aber nicht hoffnungslos. Wir hatten schon einige Trennungen überlebt, und es war immerhin das erste Mal, dass er gesagt hatte, für eine gewisse Zeit. Bisher hatte er sich jedes Mal endgültig getrennt. Unwiderruflich. Bisher hatte mich regelmäßig nach der Trennung eine große Trauer ergriffen. Und Ratlosigkeit. Ohne ihn war ich einsam. Ich könnte mir zur Abwechslung einen Mann für eine Nacht suchen, dachte ich.

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