»Concentrazione! E tutta tranquillità!«, forderte Galatea das Publikum auf, während ich mich sammelte und mein Ziel ins Auge fasste. Schnell und kurz hintereinander, warf ich die Messer, die alle in dem inneren Kreis der Zielscheibe zitternd stecken blieben. Meine hinreißende Assistentin machte die Zuschauer mit eleganter Bewegung darauf aufmerksam, gleich so, als sei alles viel zu schnell gegangen, als dass sie es bemerkt haben könnten. Brav applaudierte das Publikum, obwohl ich mir nicht sicher sein konnte, ob mir der Applaus gehörte, oder eher dieser wunderschönen Frau. Sie zog die Messer aus der Holzwand und reichte sie mir mit einer neckischen Verbeugung.
Anschließend stellte sich Galatea vor die Holzwand und klemmte eine mit Luft gefüllte Schweinsblase zwischen ihre perlweißen Zähne. Ich zielte und brachte die Blase zum Platzen. Mein Herz schlug wie verrückt und zeitgleich bemerkte ich, wie der Schweiß in Strömen meinen Rücken hinunterlief. Plötzlich erschien mir die Luft in der Halle heiß und stickig. Meine reizende Assistentin balancierte jetzt einen Apfel auf dem Kopf, was ich sehr gewagt fand. Bento und ich waren beinahe gleich groß, Galatea hingegen war viel größer. Darum musste ich bei diesem Wurf einen viel steileren Winkel anvisieren als sonst. Damit war es für mich das erste Mal, was bedeutete, dass es auch ebenso gut ins Auge gehen konnte. Ich legte großzügig noch etwas drauf, auch wenn ich Gefahr laufen sollte, den Apfel nur noch knapp zu streifen. Ich ließ mir Zeit und wünschte, ein Trommelwirbel würde ertönen. Denn dieser Moment schien sich bis ins Unendliche auszudehnen. Mir war, als könnte ich in diesem Augenblick, ein Haar zu Boden fallen hören. Die Farben wurden intensiver, genauso wie die Gerüche im Raum. Es war ein seltsames Erlebnis der Meditation. Daraufhin schienen wieder Zeit und Raum synchron zu laufen und ich warf das Messer. Augenblicklich fielen zwei Apfelhälften von Galateas Kopf!
Ich vernahm, wie jemand erstaunt die Luft einzog. Und derjenige war niemand anderer als ich selbst, da mir gewahr wurde, was soeben geschehen war. Hätte ich nur ein bisschen tiefer gezielt, würde in Galateas hübscher Stirn ein Messer stecken. Wie konnte ich mich nur so verschätzen? Dem Publikum hingegen gefiel dieser Trick und die Schöne verteilte unbesorgt die Apfelhälften an zwei der johlenden Zuschauer. Und nun neigte sich die Darbietung ihrem Höhepunkt entgegen. Galatea verbeugte sich in Richtung des Publikums. Dann nahm sie ihre Position an der Holzwand ein. Obwohl ich mit Bento diese Nummer schon etliche Male aufgeführt hatte, bekam ich beinahe weiche Knie, denn diese Situation war doch ein wenig ungewohnt für mich. Mein Vater sah mir zu, und zugleich bot sich die in meinen Augen kostbare Galatea für diese Vorführung an. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht die Nerven zu verlieren. Bis die Gute jedoch so weit war, nutzte ich die Zeit, um ein wenig bewusster zum atmen. Ich redete mir zusätzlich ein, wir beide wären gänzlich allein und Bento stünde an ihrer statt vor der Holzkulisse. Ja, so klappte es dann einigermaßen. Ich atmete noch einmal tief durch und beim Ausatmen sausten dann die Messer um die Silhouette der Schönen herum. Beim letzten Messer sah ich, wie Galatea mit den Augen zuckte und die Lippen bewegte. Doch sie überspielte diesen Fauxpas, indem sie von der Wand Abstand nahm und lächelnd zu mir zeigte, zum Zeichen dafür, dass das Publikum jetzt applaudieren durfte. Sie wirkte dabei, wie ein Dirigent, der sein Orchester voll und ganz beherrschte, denn die Anwesenden reagierten sogleich auf ihre Geste und klatschten. Wahrscheinlich war ich der Einzige im Raum, dem es auffiel, wie eine kleine rote Linie Galateas Handgelenk herunter wanderte und einen Bluttropfen auf dem Boden hinterließ. Galatea bemerkte dies und leckte kurz an ihrem Handgelenk, als sie die Kulisse abbaute und mit sich nahm.
Schnell verbeugte ich mich brav und verließ mit Galatea die provisorische Bühne. Bento zeigte derweil mit Luigi Akrobatik, indem er den Hünen als Sprungbrett und Werfer benutzte. Eigentlich sollte ich in diese Nummer längst einsteigen, doch ich folgte stattdessen lieber Galatea.
»Galatea? Entschuldige. Es tut mir so leid, ich habe dich mit dem Messer verletzt! Das wollte ich nicht. Niemals würde ich dir ein Leid antun!«, gab ich mich bekümmert.
»Bitte?«, fragte sie. »Nein, du hast mich nicht getroffen!«, behauptete sie unterdessen.
»Doch! Ich habe selbst gesehen, wie du am Handgelenk geblutet hast!«, beteuerte ich voller Reue.
»Nein, Ragnor. Wie kommst du darauf? Mir ist nichts passiert. Da musst du dich geirrt haben«, wiegelte sie ab.
»Und was ist das?« Dreist hob ich ihre linke Hand an, um ihr zu beweisen, dass ich mich nicht irrte. Doch, was war das? Statt eines Schnittes, sah ich rein gar nichts, außer ihre weiße, unversehrte Haut.
»Das, mein Lieber, ist mein linkes Handgelenk. Gib es zu, du wolltest nur wieder meine Hand halten«, lächelte Galatea reizend. »Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Geh! Du verpasst sonst deinen Einsatz. Ach ja, Bento sagte, du sollst, während die Nummer läuft, auf den Wagenrad-Leuchter klettern und dort kopfüber herunterbaumeln. Alles klar?«, fragte sie, schaute mich ernst an und richtete mir das Kostüm.
»In Ordnung. Trotzdem bin ich ein wenig verwirrt, weil ich glaubte, du hättest am Handgelenk geblutet«, sagte ich und trollte mich, um Bento nicht zu verärgern.
Rad schlagend gesellte ich mich zur Truppe und wir führten unsere Ergötzlichkeiten auf wie gewohnt. Zuletzt stemmte Luigi die Beine fest gen Boden, machte für Bento eine Räuberleiter, die dieser dafür nutzte, einen Salto zu machen und damit auf Luigis Schultern zu landen. Danach war ich an der Reihe, machte meinen Salto, um auf Bentos Schultern meinen Halt zu finden. Luigi ging ein paar Schritte, damit ich an den Leuchter herankam, auf den ich kletterte, ein wenig auf ihm herum schaukelte und mich mit den Beinen kopfüber einhakte und so an ihm herabbaumelte. Allerdings war es nicht abgemacht, mich dort oben zu lassen. Offensichtlich hatte weder Luigi, noch Bento Lust, mich von dort wieder herunterzuholen.
»Hey!«, sagte ich. »Habt ihr mich vergessen?«
»Pssst! Der Krümel sollte schweigen, wenn der Kuchen redet!«, winkte der Possenreißer ab, der jetzt ein paar Schritte auf meinen Vater zuging, der sich sicherlich noch immer fragte, was der kleine Kerl dort oben auf dem Leuchter trieb. »Werter Herr!«, machte Bento eine tiefe und ebenso elegante Verbeugung. »Versprecht mir, diesen Burschen dort oben nicht zu bestrafen. Versprich es mir. Er ist ein guter Junge und auf dem besten Wege, ein hervorragender Artist zu werden.«
»Versprich mir, ihn nicht zu bestrafen!«, bettelte jetzt seine Marotte zunehmend theatralisch, was bei meinem Vater ein irritiertes Stirnrunzeln hervorrief, welches wiederum dafür sorgte, dass seine Augenklappe schief saß.
»Was soll das? Weshalb sollte ich ihn bestrafen?«, fragte er belustigt.
»Oh, er ist ungezogen, weil er nie das tut, was man ihm sagt!«, scherzte Alter Ego. »Versprich es!«, bettelte er.
»Na, schön. Ich verspreche, diesen Jungen nicht zu betrafen«, sagte mein Vater, der das wahrscheinlich alles nur für eine harmloses Posse hielt.
»Ach ja, übrigens, er gehört dir, Herr!«, sagte die Marotte mit zuckersüßer Stimme.
»Was soll ich mit diesem Burschen anfangen? Ich habe genug Personal und brauche keinen hüpfenden Sklaven, und erst recht keinen, der mit unserem Besteck herumwirft«, meinte Skryrmir amüsiert.
»Na gut. Wenn du ihn nicht willst, dann bring ihn deiner Frau mit. Ich bin mir sicher, sie will ihn bestimmt haben!«, schlug die Marotte vor.
»Hör mal, Narr. Was soll meine Frau Gemahlin mit diesem Jungen anfangen?«
»Keine Ahnung, das hättet ihr euch viel früher fragen sollen. Ich sagte doch bereits, dass das deiner ist!«, kicherte Alter Ego.
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