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Die Kaskade strahlenden Lichts, die sich aus dem dreistöckigen weißen Haus mit den schwarzen Ziergittern und den weit geöffneten Vorhängen an den Fenstern ergoss, bestätigte mir, dass ich am richtigen Ort war. Laute Popmusik ließ die Wände beben und dröhnte in die Nachtluft hinaus. Die wenigen trockenen Blätter des Winters, die noch auf dem Boden lagen, wirbelten auf, als würden sie zu den fröhlichen Rhythmen in den Armen des eisigen Windhauchs bizarre Figuren auf dem Bürgersteig und dem nassen Asphalt tanzen. Zitternd vor Kälte bezahlte ich den freundlichen Taxifahrer und lief zur Eingangstür.
Ich war noch nie in diesem Haus am Chester Square in Belgravia gewesen, Nicole war nicht gerade eine Busenfreundin von mir. Sie war Ninas Freundin; wahrscheinlich hatte sie mich deswegen eingeladen und weil sie wusste, dass ich sonst am Heiligen Abend allein wäre, da Nina Weihnachten bei ihr verbringen würde. Wie auch immer, ich war froh, dass sie mich bei sich zu Hause empfing – da Weihnachten bei den Muslimen nicht gefeiert wird, wäre die Alternative ein einsamer Abend in meiner Wohnung gewesen, weit fort von meiner Familie und meinen Freunden.
Die Tür zur Eingangshalle stand weit offen und empfing die Gäste wie eine Umarmung. Zwei Diener nahmen die Mäntel der Herren und die teuren Pelze der Damen entgegen, um sie an der geräumigen Garderobe rechts neben der Eingangstür aufzuhängen, während ein zierliches junges Mädchen lächelnd jedem eine Nummer aushändigte. Mit einer gewissen Befangenheit sah ich mich in der heiteren, aber für mich fremden Umgebung um. Noch verlegener wurde ich, als ich bemerkte, dass ich von den ankommenden Frauen die einzige ohne Begleitung war.
Zögernd durchschritt ich die Halle, in der ein riesiger Weihnachtsbaum stand. Die Lampions mit den Kerzen gaben sich Mühe, mit dem glitzernden Licht der Kronleuchter zu konkurrieren, das sich in ihren kostbaren Kristallen spiegelte, und ließen die goldenen Kugeln und die hübsch gebundenen Schleifen wie pures flüssiges Gold wirken. Ein riesiger Stern auf der Spitze, der jedes Mal, wenn man ihn aus einem anderen Winkel betrachtete, seine Richtung änderte, schien den Weg zu dem großen Salon zu weisen. Zu Füßen des wunderschönen Baumes belebte ein wertvoller Kirman-Teppich mit seiner tiefroten Mitte die Umgebung, während an der gegenüberliegenden Wand der riesige antike, außerordentlich kunstvoll geschnitzte Spiegel die Blicke aller Frauen gefangen nahm, die an ihm vorüber gingen, wobei sie versuchten, eine letzte Bestätigung ihrer perfekten Erscheinung vor ihrem großen Auftritt im Ballsaal zu erhalten. Auch ich bildete keine Ausnahme von der Regel. Wenn auch vielleicht mit weniger Koketterie, warf ich einen Blick auf die glänzende Fläche, mehr aus Unsicherheit als aus Eitelkeit. Meine Gestalt erschien im Spiegel schlank und hoch gewachsen, eingehüllt in ihr elfenbeinfarbenes langes Kleid, das Schultern, Oberarme und Dekolleté frei ließ. Die passenden, bis zum Ellbogen reichenden Handschuhe vervollständigten meine Aufmachung, die durch eine Reihe wertvoller weißer Perlen um den Hals und die dazugehörigen Ohrringe ergänzt wurde. Ich musste daran denken, wie unschätzbar sich all diese Geschenke meiner Großmutter in meinem neuen Leben in London erwiesen hatten; ihre Ausgaben sowohl für die Kleidung als auch für den Schmuck hatten sich sicher gelohnt. Mir fiel auf, dass mein Haar das Licht reflektierte und aussah, als habe es einen goldenen Glanz auf seiner dunklen rötlichen Farbe.
Mit einem befriedigten Lächeln auf den Lippen machte ich mich auf den Weg in den Salon, in dem sich gepflegte junge Leute drängten. Alle Möbel waren in die Ecken des riesigen Saals geschoben worden, um Platz für die Tänzer zu schaffen. Die Tische waren mit exquisitem weißem Leinen bedeckt; feines böhmisches Kristall und teures Porzellan verliehen dem Raum ihre eigene Note von Luxus. Frauen in schönen, meist schwarzen Kleidern mit glitzerndem Schmuck und strahlendem Lächeln schmiegten sich an die Brust elegant gekleideter Kavaliere und wiegten sich gefühlvoll und mit offensichtlicher Vertrautheit im Rhythmus der Musik. Andere nippten an ihren Gläsern; wieder andere beugten sich anmutig vor, um ihren Begleitern zuzuhören, oder musterten diskret die Aufmachung der anderen Frauen und verglichen sie mit ihrer eigenen.
Plötzlich war das Selbstbewusstsein, das mich eben noch gestärkt hatte, wie weggeblasen. Meine Blicke eilten über die unbekannten Gesichter hinweg, um Nina zu entdecken. Im selben Moment kam Nicole aus einer Ecke hinter dem mit Leckerbissen schwer beladenen Buffet auf mich zu und begrüßte mich herzlich mit einem schallenden Kuss auf die Wange. Hände umfassten meine Taille von hinten. Als ich mich umdrehte, sah ich Nina, die mich begeistert umarmte.
„Du siehst entzückend aus, Maraima“, sagte sie voller Wärme und ohne eine Spur von Neid. „Komm, setz dich zu uns.“
Sie schob mich voran und dirigierte mich zum anderen Ende des Saales an einen großen Tisch, an dem bereits etwa zehn Leute saßen. Sie unterhielten sich laut, lachten und tranken erlesenen Wein aus langstieligen Gläsern. Ungefähr die Hälfte von ihnen kannte ich bereits; sie hießen mich aufrichtig erfreut und mit schmeichelhaften Kommentaren und bewundernden Ausrufen willkommen. Nina versuchte, mir die übrigen Anwesenden vorzustellen, was ihr jedoch bei der ohrenbetäubenden Musik und dem ganzen Höllenlärm nicht besonders gut gelang.
Ein junger Mann bot mir seinen Platz an, doch ich blieb nicht lange sitzen, da die Männer aus der Runde mich abwechselnd zum Tanzen aufforderten. Langsam überwand ich meine anfängliche Schüchternheit und wurde bald eins mit der überschäumenden Stimmung der ausgelassenen Gesellschaft. Zwischendurch zog mich irgendjemand mit zum Buffet, um die Speisen, die die Köche mit so viel Mühe und Kunstfertigkeit zubereitet hatten, zu würdigen; danach wieder Tanz, Lachen, Hänseleien. Zwei, drei der Männer zeigten mir offen ihr Interesse und baten mich um meine Telefonnummer, um sich mit mir zu verabreden. Ich gab ihnen auf nette Weise einen Korb, was sie nicht zu stören schien, da der Wein bereits seine wohltätige Wirkung auf ihre Stimmung ausübte und sie meiner freundlichen Ablehnung gegenüber wohlwollend und tolerant einstellte. Nina, eng umschlungen mit Tony, ihrer derzeitigen großen Liebe, machte mir Zeichen, um zu erfahren, ob mir jemand gefiel. Mit den Augen verneinte ich es.
Gegen zehn erschienen zwei neue Gäste. Nach einem schnellen Blick in die Runde fanden sie Nicole und Nina, die verschwörerisch miteinander flüsterten. Sie begrüßten sie herzlich mit Umarmungen und Küsschen.
Gleich darauf führte Nina die beiden zu mir.
„Peter und Bill, alte Freunde“, leitete sie die Vorstellung ein, und sah mich bedeutungsvoll an.
Peters tiefer Blick in meine Augen ließ mich bis zu den Haarwurzeln erröten, was mich ärgerte, denn gewiss war es nicht unbemerkt geblieben. Bill dagegen hatte einen etwas seltsamen Ausdruck mit einem kleinen Funken Dreistigkeit im Blick – so kam es mir jedenfalls vor. Er war mir sofort unsympathisch.
Wir wechselten einige belanglose Worte miteinander, bis Ninas Freund Tony mich zum Tanzen überredete. Den ganzen Abend über fühlte ich Peters Augen auf mir, und wann immer ich Gelegenheit dazu hatte, sah auch ich heimlich zu ihm hinüber. Dieser Mann hatte es mir auf den ersten Blick angetan. Er war um die dreißig, groß, sportlich, mit dichtem schwarzen Haar und hinreißenden blauen Augen. Sein Abendanzug machte ihn noch attraktiver. Seine ganze Erscheinung entsprach meinem männlichen Idealbild, und ich wünschte mir, dass auch ich ihm gefiele und er mich weiter ansehen möge.
Ich wurde nicht enttäuscht. Sooft ich mich umdrehte, um ihn heimlich zu betrachten, ertappte ich ihn zu meiner großen Befriedigung dabei, wie er mich mit seinem Blick fixierte.
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