Doch auch vor einem frommen Haus macht der Teufel nicht lang Faxen, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Klumpfuß über die Schwelle zu setzen.
Im Frühling meines zweiten Lehrjahres änderte sich etwas im Haus von Meister Esau.
Hatten seine Töchter mich bis dahin, nun, nicht gerade wie Luft behandelt, aber doch weitestgehend unbeachtet gelassen und es selbst beim allabendlichen Essen vermieden, mich anzusehen, so fing ich mit einem Male die kurzen Blicke von Elena und Katharina auf. Vorsichtige Blicke voller Neugier und Staunen; von Elena, der älteren, weniger verholen als von Katharina.
»Noch einen Schluck Bier, Adam?«, hieß es.
Oder: »Bist du auch satt?«
Ich sagte: »Aber ja!« oder »Noch nicht ...« und lächelte.
Ich genoss diese ungewohnte Aufmerksamkeit. War ich zunächst auch irritiert, so fing ich schon bald an, mir einen Spaß daraus zu machen, die Mädchen länger anzuschauen und meinen Blick nicht als erster abzuwenden. Mir fiel auf, wie ihnen dann das Blut in die Wangen schoss, und mit welcher Verlegenheit sie im Nu den Kopf abwandten und nach einer Beschäftigung für die Hände suchten.
Ich wusste, dass Elena seit über einem Jahr Phillip Kohlmorgen, dem Sohn des Dorfbäckers, versprochen war. Ich wusste auch, dass die Hochzeit mit dem ungelenken, linkischen jungen Mann im Mai bevor stand.
Phillip war recht schmalbrüstig und gleichzeitig hochgewachsen, was ihn an einen Kochlöffel erinnern ließ. Seine Bewegungen hatten immer etwas Fahriges, so als wüsste er nie genau, wohin mit den dünnen Armen, wenn man nichts in den Händen hält, und was tun mit den schlaksigen Beinen, wenn sie eigentlich still halten sollen. Sein Gesicht war obendrein von etlichen Pickeln verunstaltet, aber er hatte einen offenen Blick und die Leute mochten ihn wegen seiner höflichen, zuvorkommenden Art. Elena stand ihm in Freundlichkeit in nichts nach, war jedoch so hübsch, dass ich nicht verstand, was sie bewogen haben konnte, dieser Verbindung widerspruchslos zuzustimmen.
Vielleicht war es ihr Ausdruck von Widerstand, das trotzige Aufbegehren eines jungen Mädchens, oder einfach nur Resignation, was zu dem führte, was in der Nacht vor der Hochzeit geschah. Vielleicht war es einfach das pure Verlangen, die reine Begierde des Körpers. Vermutlich aber summierte sich von allem etwas zu einer neugierigen Abenteuerlust, die Elena in jener Nacht zu mir trieb.
Ich erwachte erst, als ihr Kopf schon auf meiner Brust lag und der lichthelle Mädchenduft ihrer Haare mir in die Nase stieg.
Eben noch hatte ich im Traum Eichendielen auf ihr Maß gestutzt, nun lag ein Engel neben mir, nackt und zitternd. Niemals zuvor hatte ich etwas so Weiches wie Elenas Haut gespürt; nie zuvor hatte ich diese besondere und einzigartige Art von Wärme, wie sie nur ein anderer Körper geben kann, kennen gelernt. War ich vielleicht gar nicht wach? Schlief ich tief und fest, allein auf der strohgestopften Matratze in meiner dunklen Kammer? Ich wusste es nicht. Es war mir auch nicht wichtig zu wissen, denn egal ob wach oder schlafend, diese nachttrübe Illusion nahm ihren Fortgang in wandernden Fingern, die von meiner Brust über den Hals strichen, bis sie den Mund fanden. Dort verharrten sie kurz, als wollten sie ein »Pssst« andeuten, dann schob sich der Zeigefinger zwischen meine Lippen, die sich öffneten, und ich saugte an der Fingerspitze. Ihr Gesicht kam näher an meines; ich spürte es, weil ihr Haar auf meine Stirn fiel. Sie zog die Finger zurück, griff mir in den Nacken und dann berührten sich unsere Münder.
Weder die Küsse, noch ihre Hände, noch das Kribbeln ihrer Haarspitzen auf meinen Schultern habe ich je vergessen. Am eindringlichsten ist mir jedoch das vernehmliche Schweigen, mit dem dies alles geschah, in Erinnerung geblieben, die Lautlosigkeit, mit der wir uns streichelten, das stumme Ja in der tiefen Stille, das der konturlosen Nacht die Wirklichkeit nahm.
Und an diese Stille, über die Maßen verstärkt durch das verschwörerische Rascheln des Strohs in der Matratze, kettete sich die Ahnung, dass – aller Inbrunst des Neuen zum Trotz – irgendetwas fehlte. Etwas, das ich unmöglich zu benennen wusste.
Als sie ihren Schoß sanft gegen mein Becken drückte, wuchs meine Erregung. Ich rieb mein geschwollenes Glied erst vorsichtig, dann fester gegen ihre Bauchdecke. Elena drehte sich auf die Seite, auf den Rücken. Ihre Hand griff meinen Oberarm fest, so dass ich mitschwang und nun auf ihr zu liegen kam. Das männliche Werkzeug, das mir die Natur mitgegeben hatte, fand, wenngleich noch gänzlich unerprobt, seinen Bestimmungsort von allein. Ohne ein einziges Wort zu wechseln, lagen wir beieinander. Selbst in dem Moment, als ich in sie eindrang, kam kein Laut über ihre oder meine Lippen. Unsere Bewegungen pendelten sich aufeinander ein, wurden schneller. Ihr Atem veränderte sich. Schweiß lief mir über den Rücken. Erst als ich etwas Fremdes in meinem Mund schmeckte, bemerkte ich, dass ich ihr in die Unterlippe biss.
Warm, süß und metallisch lag ihr Blut auf meiner Zunge. Der Frevel dieser Nacht hatte seinen ganz eigenen Geschmack.
Am nächsten Morgen weckte mich nicht wie sonst das Krähen des Hahnes. Ich verschlief, denn der Hahn war tot. Erst lautes Poltern auf der Holztreppe ließ mich hochschrecken.
Etwas war anders als sonst. Eine ungewohnte Unruhe war zu spüren. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, fühlte mich auf fremde Art benommen und aufgewühlt zugleich. Dann erinnerte ich mich an den merkwürdigen und schönen Traum der letzten Nacht, und als meine Gedanken klarer wurden, sah ich mich in meiner Kammer nach Anzeichen um, die mir verraten konnten, ob meine Sinne mir einen Streich gespielt hatten oder aber, ob Elena wirklich hier bei mir gewesen war. Ich hatte ihre warme Haut gespürt und den süßen Duft ihrer Haare eingeatmet. Doch ich konnte weder sagen, wie und wann sie sich zu mir herein geschlichen hatte, und erst recht nicht, wann sie wieder hinausgeschlüpft war.
Noch schlaftrunken zog ich mich langsam an, während ich meine Gedanken zu ordnen versuchte. Ich fürchtete, man könne mir, wenn ich jetzt aus meiner Kammer in die Küche trat, den verwerflichen Traum (ich war mir fast sicher, dass es einer gewesen war) ansehen. Vielleicht würde Elena mit dem Finger auf mich zeigen und mich auslachen. Oder sie würde sich angewidert abwenden. Meine Fantasie gaukelte mir die schlimmsten Bilder vor. Ich stellte mir sogar vor, wie der Meister mich in Schimpf und Schande aus dem Lehrvertrag entließ und unter lautem Geschrei aus der Schreinerei prügelte.
Zögernd öffnete ich die Kammertür – und stand ganz allein in der Küche. Ich stutzte und rieb mir die Augen. Vor mir türmte sich ein Berg von Köstlichkeiten auf. Der lange Esstisch war über und über beladen mit verschiedenen Würsten, mit Schinken, gebratenem Hähnchen und mehreren Laib Brot, und mittendrin stand ein Krug mit einem Strauß weißer Blumen. Vor dem Fenster war zusätzlich ein Tischchen aufgestellt worden, das fast nicht genug Platz bot für die fünf oder sechs Kuchen samt einer wunderschönen Torte aus mehreren Schichten, die mit Puderzucker, Glasur und Dutzenden rosaroten Röschen aus Marzipan verziert war.
Ich beugte mich staunend über die Torte und streckte die Hand aus, um eines der Röschen vorsichtig mit dem Finger zu berühren. In diesem Moment kamen zwei Frauen, dem Anschein nach Mutter und Tochter, von draußen herein, und mit einem Seufzer der Anstrengung wuchteten sie einen schweren Bräter auf den Herd. Der prallgefüllte Bauch einer Gans blitzte über den Topfrand.
Die Jüngere bemerkte mich. Sie verschränkte frech die Arme vor der Brust und rief vorlaut: »Ja, was für einen Langschläfer haben wir denn da? Hast du nichts zu tun?«
«Martha, benimm dich!«, wies die andere sie zurecht.
Das Mädchen zog schnippisch die Augenbrauen hoch. »Schau ihn dir doch an, Mama! Steht herum wie ein Dummbeutel und glotzt wie ein Ochse. Draußen können sie seine Hilfe sicher gut gebrauchen.«
Читать дальше