Schon die Tatsache, dass er sich selbst sucht, ohne sich dessen bewusst zu sein, zeigt die tragische Spaltung: denn der, der sucht, ist ein anderer, als der, den er sucht. Wenn ich mich suche, wenn ich mit mir eins werden soll, wer ist dann ich und wer ist der, mit dem ich eins werden soll? Ist das der gleiche oder ist das ein anderer? Die Tragik besteht darin, dass der, der sucht, schon der ist, den er sucht, ohne es zu wissen.
Die Spaltung, der Kern des Übels, ist im Denken begründet: Indem der Mensch über sich nachdenkt, besteht schon die Spaltung. Der, der nachdenkt, ist ein anderer als der, über den nachgedacht wird. Und damit ist die Urspaltung gegeben, die im Denken nicht überwunden werden kann. Die Überwindung der Spaltung ist keine Möglichkeit des Denkens, sondern nur des Lebens und sie setzt den Tod des Ichs, das sich ganz entscheidend im Denken erlebt, voraus.
Da der Mensch in der Regel die grundlegende Ursache seines Unglücklichseins – die Getrenntheit von sich selbst – nicht kennt, aber von der Unruhe und Sehnsucht nach dem Einssein, das er ebenfalls nicht als solches erkennt, gequält wird, läuft er immer Dingen hinterher, ohne jemals die Erfüllung zu finden.
Es gibt nur eine einzige Weise, wie der Mensch Erfüllung finden kann: In der Einheit mit sich selbst, d. h. in der Überwindung der Spaltung in Subjekt und Objekt.
Dass der Mensch nur zur Erfüllung seines Menschseins gelangen kann, wenn die Spaltung überwunden wird, beweist mir unser konkretes Leben, das bei einem überwiegenden Teil der Menschen in einer rastlosen Jagd nach Gütern, bei einem anderen Teil in einem verzweifelten Resignieren, das sich in einer Zunahme an Depressionen zeigt, besteht. Ich wage zu behaupten, dass wir im Westen - mit einigen Ausnahmen - keine Ahnung von diesem Hintergrund haben, also von der Gespaltenheit unserer Existenz und der damit verbundenen Unmöglichkeit, Erfüllung zu finden und deshalb gar nicht sehen können, wo wir suchen sollten.
Und selbst wer anfängt, die wahren Zusammenhänge zu begreifen, kann aus sich heraus die Spaltung nicht überwinden. Die Trennung ist so tiefgehend, die Spaltung ist ein so tiefer Riss, dass sie weder durch Einsicht noch durch angestrengtes Bemühen zu überwinden ist. Denn es ist immer die Einsicht und das Bemühen eines Ichs, das sich im Denken befindet, und das hebelt das Ich nicht aus.
Diese Subjekt-Objekt-Spaltung wirkt sich auch dahingehend aus, dass im Ich-Zustand alles – die Welt und der eigene Körper - nur im Denken existiert. Ich habe keinen unmittelbaren Zugang mehr zum Leben, sondern alles ist mir durch mein Denken vermittelt. Es ist das Hauptkennzeichen eines Lebens im Ich, dass sich alles nur im Denken abspielt. Daher hat der Mensch im Ich keinen Zugang zum Leben, ist vom Strom des pulsierenden Lebens abgeschnitten.
Diese Spaltung ist eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins; sie bestimmt sein Leben und führt im Extremfall zu Schizophrenie, Depression oder Autismus.
Wie in dem Märchen, wo dem Helden alles zu Gold erstarrt, das er mit den Händen anfasst, so wird alles, was sich der Mensch aneignet, zum Objekt, und das Einswerden – die Voraussetzung für vollkommene Erfüllung – misslingt. Daher misslingt auch in der sexuellen Vereinigung das Einswerden, da der andere immer Objekt bleibt. Trotz Annäherung an den anderen durch Einfühlung und Hingabe bleibt der andere Objekt und damit bleibt letzte Erfüllung verwehrt.
Da es für den suchenden Menschen aber gar keine andere Möglichkeit gibt, als als Subjekt diese Spaltung zu überwinden, dies aber nicht gelingen kann, gerät er, ob er es begreift oder nicht, in eine immer verzweifeltere Lage.
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