Elena machte sich auf den Weg nach Hause. Sie war gespannt, ob Ben diesmal früher heimkam. Ja, er wartete bereits auf sie. Aufgrund seines schlechten Gewissens hatte er die Küche aufgeräumt. Am Tisch stand eine Vase mit roten Rosen. Glaubte er wirklich, die Blumen würden reichen?
Er versprach, dass es niemals wieder passieren würde. Beim nächsten Mal, wenn sein Vorgesetzter ihn für ein unerwartetes Geschäftsessen verpflichten wollte, würde er ihm entweder absagen oder Elena dazu holen lassen. Elena wollte jedoch nicht bei einem geschäftlichen Essen dabei sein, sondern ihren Freund am Abend zu Hause wissen, vor allem, wenn sie etwas zu feiern hatten.
Obwohl sich ihre Wut bereits gelegt hatte, wollte sie es ihm nicht zu einfach machen. Eine ausgiebige Fußmassage musste noch drinnen sein.
Zwei Abende ging es gut, bis Ben erneut nicht heimkam. Feige wie er war, schickte er eine Nachricht aufs Handy und drehte es danach gleich ab.
Elena fasste es nicht. Sie rief ihre Freundin Mona an und traf sich mit ihr in einem Restaurant ums Eck. Die beiden kannten sich schon seit ihrer Kindheit. Mona war erst kürzlich geschieden worden und hatte daher Zeit für ein spontanes Treffen.
Eigentlich war Elena der Appetit vergangen, aber irgendwas sollte sie doch essen. Sie bestellte sich einen Salat mit Hühnerstreifen. Mona hingegen bestellte sich etwas Deftigeres. Sie schaute nicht besonders auf ihre Ernährung, doch solange körperlich alles in Ordnung war, sprach nichts dagegen. Mona erzählte von einem bevorstehenden Klassentreffen und ob Elena vorhatte, dorthin zu kommen. Eigentlich hatte sie keine große Lust die Schulkameraden von früher zu sehen. Viele von ihnen waren damals sehr abgehoben und brüsteten sich mit ihren reichen Eltern. Elenas Eltern waren damals schon geschieden. Ihr Vater wanderte nach Italien aus, wo er eine andere Frau heiratete und vier Kinder bekam. Ihre Mutter war psychisch krank und kam in eine geschlossene Anstalt. Mit dem Vater hatte sie keinen Kontakt, für ihn gab es nur mehr seine andere Familie. Was hätte sie da viel über ihre Eltern erzählen sollen?
Mona wand jedoch ein, dass alle keine Kinder mehr waren und ihre eigenen Wege gingen. War Elena nicht neugierig, welche das waren?
Sie versprach es sich zu überlegen.
Nachdem sie aufgegessen hatten, schlug Mona vor, in eine Bar zu gehen. Da Elena den Zorn über Ben noch gut fühlen konnte, würde ihr ein Drink vielleicht guttun. Elena war schon lange Zeit nicht mehr in einer Bar gewesen. Deswegen kannte sie nur einige von früher, die es allerdings schon längst nicht mehr gab. Mona suchte ein Lokal aus.
Sie setzten sich an die Bar und bestellten sich einen Drink. Es war gesteckt voll, was Elena wunderte, denn immerhin war es mitten in der Woche. Mona lachte, ihre Freundin war wirklich schon lange nicht mehr in einer guten Bar gewesen.
Es dauerte nicht lange und ein Mann lächelte zu ihnen hinüber. Prompt brachte ihnen die Kellnerin einen Drink, auf den sie der flirtbereite Mann einlud. Elena war verlegen. Mona hingegen winkte ihn herbei.
Obwohl die Situation anfangs etwas angespannt war, musste Elena zugeben, dass es sich um einen wirklich gutaussehenden und netten Verehrer handelte. Mona begann nach einiger Zeit plötzlich zu zappeln und wollte gehen. Elena verstand ihr Verhalten nicht. War sie eifersüchtig, weil der Mann hauptsächlich mit ihr sprach?
Noch bevor sie sich auf den Weg machten, ging Elena auf die Toilette. Als sie wieder herauskam, verschlug es ihr den Atem. Ben saß mit einer fremden Frau an einem Tisch. Die beiden küssten sich innig. Mona zerrte ihre Freundin aus dem Lokal. Es hätte nichts gebracht, ihm vor Ort eine Szene zu machen. Besser, sie klärte die Sache zu Hause mit ihm.
Elena war erschüttert. Eigentlich wollte sie die Wut auf Ben vergessen. Nun war sie nur noch größer geworden.
Die Nacht war unruhig und Elena fand einfach keinen Schlaf. Ben kam nicht nach Hause. Wahrscheinlich schlief er bei seiner Geliebten, oder was auch immer diese Frau für ihn war.
Viktor bemerkte sofort, dass irgendetwas geschehen sein musste. Er nahm sich Elena heran und umarmte sie. Ihr liefen Tränen über die Wangen. Viktor fragte nicht nach dem Grund. Wenn sie soweit war, würde sie es ihm erzählen. Er holte ein paar Handschuhe und hielt den Boxsack fest. Elena drosch darauf ein, als wäre es Ben, den sie gerade verprügelte. Viktor wusste, wie wichtig es war, den aufgestauten Zorn unbeschadet zu lindern. Viel zu oft sah er, wie Menschen mit ihren aufgestauten Aggressionen anderen schlimme Verletzungen im Affekt zugefügt hatten.
Männer und Frauen wurden vom Gericht zu ihm geschickt, damit sie lernten, ihre Emotionen in Griff zu bekommen. Für manche mag es komisch wirken, dass sie das gerade mit Boxen hinbekamen, doch beim Training lernten sie nicht nur ihre Wut loszuwerden, sondern auch Richtlinien zu befolgen. Dieser unbändige Zorn entwickelte sich bei manchen zu einer richtigen Sucht, aus der sie nicht allein kamen. Die Aggression war ein Produkt ihrer eigenen Hilflosigkeit, mit der sie nie gelernt hatten umzugehen.
Nachdem Elena erschöpft vom Eindreschen die Übung beendete, war sie bereit Viktor vom letzten Abend zu erzählen. Erneut nahm er sie in die Arme. Er riet ihr zu einem ruhigen Gespräch mit Ben. Wenn er sie betrog, dann musste irgendetwas in ihrer Beziehung nicht in Ordnung sein. Elena sollte sich einmal seine Argumente anhören und dann erst entscheiden, wie es weiter gehen würde. Vielleicht konnten sie daran arbeiten, oder sie kamen zu dem Schluss, die Beziehung besser zu beenden. Noch war alles offen.
Abends standen erneut rote Rosen am Tisch. Ben werkte in der Küche und kochte. Ahnungslos darüber, dass seine Freundin vom Seitensprung wusste, wollte er ihr einen Begrüßungskuss geben. Elena drehte sich weg.
Er begann sich zu entschuldigen, weil er in letzter Zeit so viel arbeiten musste. Elena setzte sich schweigend zu Tisch und stocherte im Essen herum. Ben wollte ihre Hand nehmen, doch sie stieß ihn weg. Als er erneut von der vielen Arbeit zu reden begann, rief Elena ein lautes „Stopp“ in den Raum. Ben schaute sie mit großen Augen an.
Als sie sagte zu wissen, wo er letzte Nacht war, lehnte sich Ben in den Sessel zurück. Er hatte keine Ahnung was genau und woher sie es wusste, also sagte er vorerst einmal besser nichts.
Elena erklärte, was sie in der Bar gesehen hatte. Anfangs begann er sich herauszureden, später gab er einen Ausrutscher zu. Nach längerem Bohren bekam Elena heraus, dass er schon seit einigen Wochen ein Verhältnis mit dieser Frau hatte. Warum er dies tat, wusste er selbst nicht so genau, denn er liebte Elena. Ben versprach, die Affäre zu beenden.
Es dauerte zwar lange, bis Elena wieder Vertrauen zu Ben hatte, doch schien alles langsam wieder in Ordnung zu kommen. Da es sich bei der Frau um keine Kollegin handelte, die er jeden Tag zu Gesicht bekam, vertraute sie ihm, das Verhältnis beendet zu haben. Er kam pünktlich von der Arbeit nach Hause und roch auch nicht nach einem fremden Parfüm.
Natürlich hielt ihn Elena noch zur Wiedergutmachung an. Er durfte kochen, sie mit Fußmassagen verwöhnen und musste die Wochenenden planen.
Einen Monat später begann jedoch wieder das gleiche Muster. Ben schrieb zwar nicht nur, sondern rief an, dass er länger arbeiten musste, aber ansonsten glich es der Zeit seines damaligen Seitensprunges. Elena wurde zunehmend unruhiger. Das Misstrauen wuchs erneut.
Sie begann in seinen Sachen zu stöbern. In einer Sakkotasche fand sie eine Rechnung eines Juweliers über eine Kette, die er vor gut einer Woche kaufte. Da ihr eigener Geburtstag schon zwei Monate zurück lag und sie dieses Schmuckstück nie von ihm bekommen hatte, lag nahe, dass er sie für jemand anderen gekauft hatte.
Ben kündigte an, später nach Hause zu kommen, also setzte sich Elena mit der Rechnung am Tisch liegend ins dunkle Wohnzimmer und wartet auf ihn.
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