Lösungsphase 1 Durch Konflikte werden vorhandene Emotionen und Motivationen aktiviert oder entstehen neu . Emotionen und Motivationen sind Wertungen des konkreten Individuums - unabhängig davon, ob sie in Sprachform (als inneres Sprechen oder als Äußerung) umgesetzt sind oder nicht. Emotionen und Motivationen können gespeichert werden. Forschungen zum Verhältnis von Emotion und Gedächtnis stellen eine Frontlinie gegenwärtiger Forschungen dar. Es ist ziemlich klar, dass kognitive Inhalte stets mit emotionalen “Gewichten” versehen abgespeichert werden und dass mit dem Aufruf bestimmter Kognitionen auch der zugehörige emotional - motivationale Wertungsgehalt aufgerufen wird.
Lösungsphase 2 Die Änderung oder Entstehung neuer emotional - motivationaler Wertungen, erfolgt in der Regel als selbstorganisativer Prozess, angestoßen durch die Aktivierung infolge praktisch auftretender oder intendierter, etwa in pädagogischen oder in therapeutischen Prozessen, gesetzter Konflikte.
Produktivphase Probeweise adaptierte oder kreativ neu entstandene Wertungen werden im kommunikativen und physischen Handeln wirksam. Die Kommunikation von Werten, wie sie im kommunikativen Handeln vor sich geht, ist ihrerseits Gegenstand breiter psychologischer, aber auch kommunikationstheoretischer und literaturwissenschaftlicher Erörterungen.
Beendigungsphase Die Resultate beider Prozesse, des kommunikativen wie des physischen Handelns, können ihrerseits wieder vom Individuum bewertet werden, rufen entweder neue Konflikte hervor oder werden als Lösung der ursprünglichen Konfliktsituation erlebt. Im ersten Fall existiert dann wiederum die Ausgangssituation mit geänderten kognitiven und wertenden Bedingungen, im zweiten Fall werden die adaptierten oder neu entstandenen Werte als - vorläufig - adäquat gespeichert.
In unserer Sicht sind die am individuellen Wertwandel beteiligten psychischen Prozesse auf drei große, durch die allgemeine Psychologie tiefgründig bearbeitete Felder konzentriert:
Konfliktsetzung, ‑wahrnehmung und –bearbeitung,
Entstehung, Speicherung und Veränderung von Emotionen und Motivationen,
Nichtverbale und verbale Kommunikation von Werten, eingeschlossen Emotionen und
Motivationen als Werte des konkreten Individuums.
Aus unserer Zusammenfassung ergeben sich für jedes Verfahren, das auf Kompetenzvermittlung und Kompetenzentwicklung gerichtet ist, fünf ebenso einfache wie unvermeidliche Grundfragen:
1. Setzt das Verfahren für das geistige oder physische Handeln echte Entscheidungs- bzw. Konfliktsituationen, die nicht mit Hilfe bisherigen Wissens und Wertens („algorithmisch“) bewältigt werden können?
2. Erzeugt das Verfahren aufgrund der Bedeutsamkeit dieser Entscheidungs- bzw. Konfliktsituationen echte und tiefgehende emotional – motivationale Labilisierungen und wenn, in welcher Stärke?
3. Gestattet das Verfahren eine emotional - motivational hinreichend verankerte Rückkopplung und gedächtnismäßige Speicherung des Handlungserfolgs?
4. Wird im Verfahren der Handlungserfolg und die zu ihm führenden Werte in nachfolgenden Kommunikationsprozessen akzeptiert und sozial bekräftigt und wenn, in welcher Stärke?
5. Lässt sich das Verfahren für unterschiedliche Entscheidungs- bzw. Konfliktsituationen, bei unterschiedlichen emotional – motivationale Labilisierungen und gedächtnismäßigen Speicherungsprozessen sowie in verschieden gestalteten Kommunikationsprozessen so generalisieren, so dass es in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen einsetzbar ist?
Diese Fragen werden wir auch an die Instrumente des Web 2.0 stellen, mit deren Hilfe wir eine Kompetenzentwicklung im Netz gestalten zu können glauben.
[1]Sokolov, E.N. (1963); Berlyne, D.E. (1974); Simonov, P.V. (1982)
[2]Festinger, L. (1957)
[3]Kossakowski, A., (1980)
2.3 Was „sind“ Kompetenzen und wie werden sie vermittelt?
Der Kompetenzbegriff hat sich überraschend, ja beängstigend schnell durchgesetzt – warum? Handelt es sich um mehr als eine Mode? Kompetenzen „enthalten“ Fertigkeiten, Wissen im engeren Sinne, einfache (nicht selbstorganisative) Fähigkeiten, Qualifikationen – aber in welcher Weise? Wie hängen Kompetenzen und Werte zusammen – ist es sinnvoll, der Wertaneignung (Interiorisation) so breiten Raum zu geben wie soeben geschehen, wenn man „eigentlich“ Aussagen zur Kompetenzaneignung, vorrangig im Netz, machen will?
Kompetenzbegriffe gibt es wie Sand am Meer. Lässt sich eine plausible Ordnung in das Kompetenzwirrwar bringen? Kompetenzen werden erst im Handeln sichtbar - lassen sie sich dennoch so zuverlässig bestimmen, dass sie personalwirtschaftlich planbar, als Humankapital berechenbar erscheinen? Kompetenzen lassen sich ebenso wenig wie Erfahrungen „lehren“ –lassen sie sich dennoch systematisch vermitteln? Auf solche Fragen wollen wir jetzt zu antworten versuchen. Erst wenn wir sie beantwortet haben, können wir dann überlegen, ob, wo und auf welche Weise wir Methoden der Kompetenzentwicklung im Netz benutzen können, um das Humankapital eines Unternehmens systematisch zu steigern, um Kompetenzvermittlung systematisch gestalten zu können.
2.3.1 Kompetenz – modische Worthülse oder innovatives Konzept?
Zunächst eine historische Rückblende. Noch vor vier Jahrzehnten, vor dem Beginn der modernen Kompetenzforschung, war klar, was man mit Kompetenz meinte, wenn man Kompetenz sagte. Eine Versicherung ist kompetent für die Bearbeitung spezieller Schadensfälle. Ein Diplomat ist kompetent für aktuelle Fragen des Nahen Ostens. Ein Bankangestellter ist kompetent, mit Firmenkunden über neue Formen der Finanzierung eines innovativen Unternehmens zu sprechen. Der Antrag auf eine Visa- oder Mastercard muss von einem Kompetenzträger unterschrieben werden. In all diesen Fällen bedeutet Kompetenz nicht mehr und nicht weniger als Zuständigkeit – eine Bedeutung, die das Wort schon im römischen Recht und später im Mittelalter besaß, wo es als „zuständig“, „befugt“, „rechtmäßig“ verstanden wurde. Seit dem 19. Jahrhundert bezeichnet Kompetenz im Verwaltungsrecht die Bindung einer Behörde an ihre Funktion, aber auch die Befugnis und Rechtmäßigkeit von Organen, Institutionen und Personen.
Den ersten Schritt in die neue, immer wichtiger werdende Richtung machte der große Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, der 1960 die Fähigkeit von Sprechern und Hörern, mit Hilfe eines begrenzten Inventars von Kombinationsregeln und Grundelementen potenziell unendlich viele, auch neue, noch nie gehörte Sätze selbst bilden und verstehen zu können, als Sprachkompetenz bezeichnete. Vor völlig anderem Hintergrund beschrieb 1959 der bekannte Motivationspsychologe Roger W. White Kompetenzen als weder genetisch angeborene noch als biologisches Reifungsprodukt zu verstehende grundlegende, vom Individuum selbst hervorgebrachte Handlungsfähigkeiten, die sich in selbst motivierter Wechselwirkung mit der Umwelt herausbilden.
In der Arbeits- und Organisationspsychologie wurde der Kompetenzgedanke aufgenommen. Ausgehend von der Theorie der Handlungsregulation entstanden in Auseinandersetzung mit den bis dahin vorherrschenden behavioristischen Ansätzen und ihren Reiz – Reaktions - Modellen, die von festliegenden Zielvorgaben ausgingen, Lerntheorien, die Ziele, Erwartungen und Pläne des handelnden Menschen einbezogen und die selbstorganisierte Entwicklung von Modellen, Plänen und Zielen (kognitive Wende) berücksichtigten. Sie waren durch Chomski maßgeblich beeinflusst. Es bildete sich der Begriff der Handlungskompetenz und damit die Vorstellung einer Wissensbasis, aus der sich beliebig viele Handlungen erzeugen lassen. David McClelland schließlich begründete in den siebziger Jahren den „competency approach“ der Motivationspsychologie und entwickelte das erste grundlegende Kompetenzmessverfahren. Bei all diesen und vielen anderen Ansätzen handelt es sich nicht mehr um Befugnisse oder Zuständigkeiten. Vielmehr dreht es sich um Fähigkeiten, angesichts unendlich vieler Sprach-, Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten selbstorganisiert, eigenständig, kreativ handeln zu können. In diesem Sinne hat das Wort, haben moderne Ideen zu Kompetenzentwicklung, Kompetenzmessung und Kompetenztraining Furore gemacht.
Читать дальше