Trotzdem sagt das gute Schwesterchen kein Wort davon, daß Bubi eigentlich der kleine Bösewicht gewesen. Leise weinend schleicht es sich in die Kinderstube zu Braunchen. Mädi ist ja Bubis Zwilling, da ist es ganz gleich, wer die Strafe von beiden bekommt, denkt sie.
Mutti legt ihre Sachen im Schlafzimmer ab. Da schaut ein braunes Kinderbeinchen unter dem Bett vor. Daran hängt Bubi.
»Ei, Bubi, willst du Mutti nicht guten Tag sagen? Was machst du denn da unten?« Der Mutter kommt die Sache verdächtig vor. Hat Bubi etwa auch was angestellt?
»Och, wir spielen man bloß Versteck, mein sein Mädi und ich«, klingt es unter dem Bett hervor. Freilich ein wenig leiser als sonst. Muttiohren hören das sofort.
»Komm nur vor, Bubi, Mädi spielt jetzt nicht mehr. Die ist unartig gewesen. Ich will doch wenigstens ein gutes Kind haben.«
Bubi kommt hervorgekrochen. Viel langsamer, als das sonst seine Art ist. Er sieht durchaus nicht wie ein gutes Kind aus. Wagt es auch nicht, die Arme wie sonst um Muttis Hals zu schlingen. Seine Schuld steht ihm deutlich auf der Stirn geschrieben.
Draußen an der Eingangstür schließt Vaters Schlüssel. »Laß dir die Hände von Frau Annchen waschen und komm zu Tisch, Bubi. Mädi ißt heute in der Kinderstube Mittagbrot.« Mutti geht voran ins Esszimmer.
Da fühlt sie sich am Kleid zurückgehalten.
»Warum soll mein sein Mädi nich mit Mutti und Vati bei Tiß sitzen?« Bubis laute Jungenstimme klingt gepreßt. Denn er weiß die Antwort im voraus.
»Weil sie Muttis Vase kaputt gemacht hat.«
Einen Augenblick überlegt Bubi noch. Nur einen ganz kleinen. Dann hat die Liebe zu Mädi gesiegt.
»Mädi soll an den großen Tiß gehen. Bubi kann ja in der Kinderstube bei Frau Annßen essen«, schlägt er möglichst harmlos vor.
»Du – Bubi? Nein, du bist doch artig gewesen. Du hast doch die Vase nicht entzwei gemacht.«
Ach, ist das schwer, sein Unrecht einzugestehen.
»Nee, der olle Puppenwagen hat sie kaputt gemacht.« Bubi ist glücklich, daß er die Schuld auf den Puppenwagen abwälzen kann.
»Der Puppenwagen kann doch nicht von selbst in Muttis Wohnzimmer hineinfahren. Mädi muß ihn doch hineingeschoben haben«, sagt Mutti. Sie sieht traurig aus, weil Bubi nicht die Wahrheit sagt. Sie weiß es längst, wer es gewesen ist.
Traurige Muttiaugen – die kann Bubi nicht mitansehen. Dann noch eher böse.
»Muttißen soll nich traurige Augen machen, weil Bubi den Puppenwagen gegen die Vase geßoben hat.« Da ist es heraus.
Ordentlich erleichtert fühlt Bubi plötzlich sein kleines Herz.
»Du warst es, Bubi? Das sagt man der Mutti doch sofort. Damit wartet man doch gar nicht erst so lange und versteckt sich noch obendrein.«
Nein, wirklich, es ist zu merkwürdig, daß Muttis gleich alles wissen.
»Na, wenn du immer böse Muttiaugen machst«, versucht Bubi sich zu verteidigen. Die Tränen würgen ihn im Hals. Aber er schluckt sie herunter, denn er ist ja ein Mann. Männer weinen nicht.
Plötzlich fühlt sich Bubi durch die Luft fliegen. Er sitzt oben auf der Schulter des soeben ins Zimmer getretenen Vaters. Aber er jauchzt nicht wie sonst dabei. Denn die Tränen stecken noch immer in seiner Kehle.
»Na, mein Hundetierchen, wo ist denn Nummer zwei?« Mädi pflegt immer auf Vaters anderer Schulter Platz zu nehmen. Und so ziehen sie stets zusammen zu Tisch.
»Ich bin heut nich Vati sein Hundetierßen, bloß sein Slingel«, flüstert Bubi in plötzlich erwachender Wahrheitsliebe dem Vater ins Ohr.
»Nanu?« Vater zieht die Stirn in Falten. »Was ausgefressen, Bubi?«
»Nee, noch gar niß gefressen. Bloß die olle ßöne Vase kaputt gemacht.«
»Bubi ißt heut in der Kinderstube Mittagbrot, Paul«, sagt Mutti zu Vati. »Mädi darf zu Tisch kommen.«
Aber Mädi kommt nicht. Sie ist Bubis Zwilling und bleibt da, wo ihr Bubi ist. Nein, die läßt ihren Bubi nicht allein. So sitzen sie alle beide an ihrem kleinen Kindertischchen und essen dort ihr Süppchen. Aus dem Puppenwagen aber recken Elschen und Lilli, der Hampelmann, Fifi, Schnuteken und Nauke mit der Pauke schadenfroh die Köpfe: »Etsch – ihr seid noch lange nicht groß.«
3. Kapitel
Große Wäsche – kleine Wäsche
Heute können Bubi und Mädi nicht spazierengehen, wenn auch die liebe Sonne scheint. Frau Annchen hat keine Zeit dazu. Sie muß Minna bei der großen Wäsche helfen. Mutti hat einen Geburtstagsbesuch zu machen, zu dem sie die beiden Kleinen nicht mitnehmen kann.
So werden Bubi und Mädi in ihren grauen Spielhöschen mit dem Puppenwagen und dem Ball ins Gärtchen hinuntergeschickt. Dort sollen sie spielen.
Eigentlich gibt es zwei Gärtchen an dem Haus, in dem Bubi und Mädi wohnen. Eins vorn, eins hinten. Das vor dem Haus ist viel schöner, als das andere. Da gibt es Rosenbäumchen und ein Beet mit blauen und gelben Stiefmütterchen. Auch ein niedlicher kleiner Steinzwerg mit einer roten Zipfelmütze sitzt da und hält Wache, daß keiner Blümchen abreißt. Der ist sicher aus Schneewittchen. Mädi hat ihn gleich wiedererkannt.
In das Gärtchen, wo der kleine Zwerg sitzt, dürfen Mädi und Bubi nicht hinein. Der Zwerg würde es ja vielleicht erlauben; denn er sieht Mädi und Bubi immer recht freundlich an, wenn sie ihm zunicken. Aber der Wirt, dem das Gärtchen und auch der Zwerg gehört, der erlaubt das nicht. Den Wirt haben die Kleinen noch nie zu sehen bekommen. Darum denkt Mädi, der liebe Gott sei der Wirt. Aber Bubi weiß es besser. Der weiß, daß der Wirt in Berlin wohnt und nicht im Himmel. Na ja, Bubi ist ja auch zwei Stunden älter als Mädi.
Aber trotz der schönen Blumen und trotz des Zwerges, finden Bubi und Mädi das Gärtchen hinter dem Hause ungleich schöner als das vorn. Es hat zwar bloß struppiges Gras und gar keine Blümchen. Nur ein paar alte rote Ziegelsteine liegen an dem zerbrochenen Zaun. Die haben die Arbeiter liegen gelassen, als sie neulich etwas an dem Hause ausbesserten. Aber man darf in das Gärtchen hinein – und das ist die Hauptsache. Man kann dort auch toben, soviel man will. Wenn nicht etwa die alte nervöse Dame auf der Galerie sitzt. Die »Lehmfrau« nennt Bubi sie. Sie heißt zwar Lehmann. Aber da sie gar keinen Mann mehr hat, muß sie doch die Lehmfrau sein. Meistens sitzt die alte Dame aber vorn auf dem Balkon. Weil da die Sonne wärmer scheint.
Das Gärtchen hinter dem Hause hat auch noch andere Vorzüge. Niedliche Putthühnerchen gibt es da. Freilich laufen sie nicht dort umher. Sonst würden sie durch den zerbrochenen Zaun bald Reißaus nehmen. Sie wohnen hinter einem Drahtgitter und haben immer eine große Freude, wenn Bubi und Mädi ihnen ein bißchen die Zeit vertreiben. Denn bloß immer Eier legen, das ist schließlich langweilig.
Bubi und Mädi sorgen für Abwechslung. Sie füttern die Hühner mit Brotstückchen. Manchmal führen sie sie auch an und werfen ihnen kleine Steinchen hinein. Dann werden die Hühner böse und hacken mit den Schnäbeln nach ihren Fingerchen. Der Hahn aber wird ganz rot im Gesicht und schreit wütend: »Kikeriki!« Das heißt in der Hühnersprache: »So 'ne Frechheit!«
Zeck spielt Bubi ganz besonders gern mit den Hühnern. Allerdings ist er immer derjenige, der dran ist und sie jagt. Er wirft ein großes Stück Holz gegen das Drahtgitter, da bekommen die Hühner einen Schreck und flattern ängstlich auf. Nein, wie freut sich Bubi dann. Mädi aber tun die armen Hühnerchen leid.
Der Herr Verwalter, dem die Hühner gehören, und der beinahe soviel ist wie der Wirt, freut sich auch nicht, wenn Bubi seine Hühner jagt. Er nimmt Bubi bei den Ohren und sagt, wenn er seine Hühner nicht in Ruhe läßt, hänge er ihn mit den Ohren oben an dem Wetterhahn auf.
Der Wetterhahn wohnt hoch oben auf dem Dache. Er kann nicht »Kikeriki« machen, und er hat auch nicht so schöne Federn wie der Hahn unten im Gärtchen. Er ist aus Eisen. Aber er ist viel klüger. Er weiß stets ganz genau, woher der Wind weht. Bubi hat große Angst davor, daß der Herr Verwalter ihn mit den Ohren an den eisernen Wetterhahn hängt. Er jagt die Hühner jetzt nie mehr – wenn der Herr Verwalter zu Hause ist.
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