Das Donnern der Hufe hallte auf den steinernen Platten der Judithsbrücke wider. Nach drei Tagen hatte Friedrich zusammen mit seinen Männern den Königshof in Prag erreicht. Er sehnte sich danach, endlich aus dem Sattel herauszukommen. Seine müden Knochen waren für derartige Unternehmungen, wie er sie seit Monaten durchmachen musste, nicht mehr gebaut. Die Nachricht von der geplanten Hinrichtung seines Neffen hatte ihn bei seiner Rückkehr von einer weitreichenden Mission für den böhmischen König Premysl, oder besser Ottokar, wie er sich nur noch ausschließlich nannte, in Chomotau erreicht. Sofort war er nach Louny geeilt, nur um zu sehen, dass er hier nichts ausrichten konnte. Jetzt saß er bereits wieder seit drei Tagen auf dem Rücken eines Pferdes. Das Schicksal Falks lag wie eine schwere Last auf seiner Brust. Es musste ihm gelingen, Ottokar von dessen Unschuld zu überzeugen. Trotz seiner häufigen Wankelmütigkeit den deutschen Fürsten gegenüber, hatte der König stets das Wohl der böhmischen Lande im Visier gehabt. Alle seine Entscheidungen standen unter diesem großen Ziel. Endlich war etwas Ruhe eingekehrt im deutschen Reich. Der Welfe Otto war seit einigen Monaten Kaiser und hatte den Premysliden in seiner Königswürde endgültig bestätigt. Damit verbunden war das Recht, die Krone immer auf den ältesten lebenden Sohn zu übertragen.
Die Reiter erreichten das Ende der Brücke und passierten das Judithstor. Langsam kämpften sich die ebenfalls ermüdeten Pferde den steilen Burgberg hinauf. Das Areal der Königsburg war größer als alle Festungen, die Friedrich von seinen weiten Reisen her kannte. Seit über einem halben Jahrhundert erhob sich hoch oben über der Moldau ein mächtiges steinernes Bollwerk, das bereits der Großonkel Ottokars, Herzog Sobeslav anstelle der hölzernen Burg aus der Zeit der ersten Premyslidenfürsten errichtet hatte. In den letzten Jahrzehnten waren auch die Mauern aus Holz und Lehm mit mächtigen Steinquadern verblendet worden. Links und rechts des Weges standen etliche kleinere Häuser oder Hütten, die meisten aus Holz oder in mit Lehm verputztem Fachwerk errichtet. König Ottokar unterhielt einen großen Hofstaat. Viele meinten, dass er sogar den des Kaisers übertraf, denn dieser zog mit seinem gesamten Tross immerwährend von Ort zu Ort, wo er sich dann nur wenige Wochen oder Monate aufhielt. Prag dagegen war seit Jahrhunderten ein fester Herrschersitz. Seit einigen Jahren siedelten sich hier viele Handwerker und Händler an, denen ein gutes Auskommen beschert war. Ihr Reichtum vermehrte sich, und nach und nach entstanden auch steinerne Häuser unterhalb des Burgberges. Direkt am Moldauufer lebten noch slawische Bauern, was wiederum den Vorteil hatte, dass die Versorgung der Burg durch Abgaben und Frondienste gesichert war. Doch mussten im Laufe der Zeit etliche weichen, weil die Stadt in alle Richtungen wuchs. Auch auf der anderen Seite der Moldau gab es eine rege Bautätigkeit. Es waren zahlreiche Handwerker, Kaufleute und Händler als Kolonisten aus deutschen Gebieten hierhergekommen. Sie wurden von den einheimischen Fürsten gefördert und so verbreiteten sich rasch deren Fertigkeiten und Künste im ganzen Land. Auch Künstler und Gelehrte zog es in den Bann des böhmischen Königshauses, so dass der Hof der Premysliden bald einer der glanzvollsten in Europa war. Prag entwickelte sich rasch zu einem Zentrum von Alchemie, Theologie, Medizin und Naturwissenschaften, aber auch zu einem Ort, wo höfische Dichtung und Minnesang gefördert wurden. Die deutsche Sprache etablierte sich zur Hofsprache.
Friedrich und seine Begleiter ritten über die Zugbrücke, welche das eigentliche Areal der Burg mit der Vorburg verband. Das große Tor stand weit offen, wurde allerdings von einer Schar schwerbewaffneter Männer streng bewacht. Sie fragten die Ritter nach ihrem Begehr. Dann geleitete sie einer der Wächter weiter in einen zweiten Burghof. Die Männer banden ihre Pferde an den dafür bereitstehenden Stangen in der Nähe eines großen Stallgebäudes fest. Friedrich packte einen vorübereilenden jungen Pferdeknecht am Ärmel. Er war ihm einen Heller zu. „Sorge dafür, dass unsere Pferde trockengerieben werden und Hafer sowie Wasser bekommen. Dann bewachst du die Tiere. Ist alles zu meiner Zufriedenheit, erhältst du einen weiteren Heller.“ Noch nie hatte der Junge solchen Reichtum in den Händen gehalten. Er verbeugte sich ehrerbietig und eilte, den Wünschen des Ritters nachzukommen. Friedrich waren seine Pferde viel mehr wert als zwei kleine Silbermünzen. Er schaute dem Jungen mit einem Schmunzeln hinterher.
Friedrich weilte nicht das erste Mal in Prag und kannte sich in den Gemäuern recht gut aus. Er wies seine Begleiter an, auf ihn zu warten und ging auf ein weiteres Tor zu, das ihn in einen dritten, noch größeren Hof brachte. Hier herrschte reges Treiben, Menschen aus allen Teilen des Landes mussten an diesem Ort versammelt sein. Ein paar Händler boten an Ständen ihre Waren feil. In einer Ecke gab es eine Art Taverne, auf deren Bänken sich durstige Gäste dicht an dicht reihten. Dominiert wurde der Platz von einer großen dreischiffigen Basilika, welche an ihrer südlichen Seite mit einer Rotunde abschloss. Der Palast des Königs erhob sich rechts davon direkt an einer Wehrmauer, die mit ihren überdachten Zinnen wie eine Galerie um das gesamte Areal der Hauptburg herumlief. Ein kleiner Säulengang verband Kirche und Palas und bildete zugleich eine Art Abgrenzung zum hinteren Teil des Hofes. Das Innere der Burg hatte eher den Charakter einer Stadt als eines Palastes. Hinter dem Haus des Königs erstreckten sich weitere zahlreiche Gebäude, welche von einem Gewirr von Gassen voneinander getrennt wurden.
Friedrich betrat die Eingangshalle des Königspalastes. Dutzende von Menschen schienen hier auf eine Gelegenheit zu warten, einen der Vertrauten oder gar den König selbst sprechen zu können. Die Räume Ottokars befanden in dem Stockwerk über der Halle. Am Fuße der Treppe standen zwei Wächter, die jeden Unbefugten daran hinderten, nach oben zu gelangen, es sei denn, sie waren in Begleitung eines Sekretärs des Königs.
Friedrich sah sich in der Halle um. Da erspähte er am anderen Ende des Raumes Heinrich von Neuhaus. Heinrich gehörte zu den engsten Beratern des Königs. Anders als sein Erzrivale Dlugomil von Strakonicz, versuchte er immer auf diplomatische Art und Weise Konflikte zu lösen, was ihn für den hitzköpfigen König unentbehrlich machte. Meistens gelang es dem Hofmarschall, den König zu vernünftigen Entscheidungen zu bewegen, während Dlugomil, der seinem Herrscher zwar bedingungslos ergeben war, aus dem Bauch heraus urteilte, was sich im Nachhinein oft ungünstig auf Ottokars Politik auswirkte.
Heinrich war in ein Gespräch mit einem Gesandten des Kaisers vertieft. Das konnte Friedrich unschwer an den Farben des Mantels des Mannes erkennen, auf dessen rot-goldenen Stoffbahnen ein großer blauer Löwe prangte. Der Ritter näherte sich den beiden unauffällig und stellte sich an eines der Fenster, das zum Innenhof hinausging. Hier wollte er den richtigen Moment abwarten, um Heinrich ansprechen zu können. Nach etwa zehn Minuten verbeugte sich der Gesandte und wandte sich dem Ausgang der Halle zu. Heinrich drehte sich um und lief in Richtung der Treppe zum Obergeschoss. Friedrich sah seine Chance gekommen. Wenn er jetzt nicht handelte, würde er niemals zum König gelangen. Schnell schritt er in einem Bogen um den Hofmarschall herum, um ihn von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten zu können. Als dieser Friedrich auf sich zueilen sah, verharrte er kurz und ein nachdenklicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Schon wollte er weitergehen, da trat der Ritter ihm in den Weg und verbeugte sich.
„Geehrter Herr, verzeiht, dass ich Euch aufhalte, aber ich bedarf Eurer Hilfe“, sprach er ihn ohne Umschweife an. Jetzt nützte es wenig, um den heißen Brei herumzureden. Entweder Heinrich war gewillt, ihm zuzuhören, oder Friedrich hatte verloren.
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