Joana Goede - Die Allergrößte

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Marius, Lehrer für Mathe und Deutsch, weiß keinen Rat mehr. Er findet keinen Ausweg aus dem Stress des Alltags, der ihn so sehr einnimmt, dass er kaum Zeit für sich selbst findet. Seine Frau Constanze vereinnahmt ihn vollkommen, die gemeinsamen Kinder Leo und Sophie stehen zwischen den Fronten. Das Familienleben ist gekennzeichnet von Streit und Vorwürfen.
In diesem Roman soll möglichst anschaulich die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) im familiären Umfeld beschrieben werden.

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Joana Goede

Die Allergrößte

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Inhaltsverzeichnis Titel Joana Goede Die Allergrößte Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Impressum neobooks

1

Sie schlief noch. Und das war sehr gut so.

Marius hatte sich einen Kaffee gekocht, die Zeitung genommen und lag nun mit beidem auf dem Sofa. Er genoss die Ruhe im Haus. Die zwei Kinder schliefen ebenfalls, es war Samstag. Durch das offene Wohnzimmerfenster hörte Marius draußen nur wenige Autos, die vorbeifuhren. Ein paar Vögel veranstalteten ab und zu einen Wechselgesang. Ansonsten herrschte morgendliche Stille. Marius blätterte die Zeitung möglichst leise um, damit das Geknister diese angenehme Stille nicht störte.

Die letzte Nacht war anstrengend gewesen. Sophie hatte einen Asthma-Anfall gehabt und Marius hatte noch bis nach Mitternacht an ihrem Bett gesessen. Meistens bekam Sophie diese Anfälle im Bett, obwohl die Bettwäsche ständig gewaschen wurde und alles für eine Allergikerin ausgestattet war. Marius wusste da keinen Rat mehr, die Ärzte auch nicht. Sophie hatte schon immer unter ihren Allergien gelitten. Nun war sie zehn Jahre alt und sehr daran gewöhnt. Sie wusste nicht, wie das Leben ohne die Atemnot aussah, die sie ständig überfallen konnte.

Leo hingegen wurde bald fünfzehn Jahre alt, er hatte keine Allergien. Ab und zu ein bisschen Heuschnupfen. Er sorgte sich sehr um seine kleine Schwester. Auch er hatte, zusammen mit seinem Vater, an Sophies Bett gesessen, bis sie wieder eingeschlafen war. Marius war sicher, dass die Kinder heute lange in den Betten bleiben würden.

Es kriselte schon seit Jahren zunehmend zwischen Marius und seiner Frau Constanze. Er konnte kaum sagen, was genau das Problem darstellte. Im Grunde gab es nur Probleme. Und dazu war es unmöglich, diese gemeinsam zu lösen. Es fiel Marius schwer, mit seinem besten Freund darüber zu reden, weil er nicht gut beschreiben konnte, warum sie sich so oft stritten. Und woher der Groll kam, den Constanze ihm gegenüber zeigte. Warum sie manchmal so hasserfüllt war und manchmal so liebenswert.

Als er gerade noch darüber nachdachte, hörte er Schritte auf der Treppe und kurz darauf stand Constanze im goldgelben Satin-Schlafanzug in der Tür zum Wohnzimmer. Sie sagte nichts, blickte ihn nur an. Es war der vorwurfsvolle Blick, den Marius nur zu gut kannte. Sie setzte ihn immer dann auf, wenn er in ihren Augen etwas falsch gemacht hatte.

Nun ging sie wortlos in die Küche. Dort hörte er sie den Kühlschrank öffnen. Die Küche war zum Wohnzimmer hin halb offen. Sie sagte in kaltem Ton: „Du hättest mir auch mal Kaffee mitkochen können.“

Marius begriff, dass dies der Grund für ihre schlechte Laune sein musste. Er erwiderte: „Aber du sagtest neulich, dass du keinen Kaffee mehr trinken willst. Weil du davon schlechter schläfst.“ Sie hatte das tatsächlich gesagt, er erinnerte sich genau.

Nun jedoch meinte sie: „Es ist nicht mal 9 Uhr.“

Marius vermutete, dass sie damit ausdrücken wollte, dass es ihren Schlaf kaum beeinträchtigen konnte, wenn sie so früh Kaffee trank. Ihre Meinung hatte sich also, wie so oft, geändert.

„Ich kann dir jetzt Kaffee kochen, wenn du willst“, meinte er und wusste schon, was da kommen würde.

„Nein“, sagte sie nur. Ihre Art war ihm gegenüber sehr kalt. Er konnte das kaum aushalten. Marius hatte in diesen Situationen immer das Bedürfnis, es wieder gutzumachen, sich zu entschuldigen, sich zu versöhnen. Egal, wie absurd das Vergehen war, das sie ihm vorwarf. Sie starrte ihn nun lange und durchdringend an. Er beschloss, das Thema zu wechseln.

„Sophie ist dann doch noch eingeschlafen. Es ging ihr wieder besser.“

„Du hättest da sitzen bleiben sollen. Du weißt, dass das bei ihr oft wiederkommt.“

„Leo hat gesagt, dass er darauf achtet.“

„Leo schläft selbst wie ein Stein.“

„Ich war zu müde, um die ganze Nacht aufzubleiben.“

Constanze sagte nichts mehr. Sie stierte nur böse in Marius' Richtung und gab ihm das ungute Gefühl, als Vater vollständig versagt zu haben. Und dann sagte sie sauer: „Dir kann es ja auch egal sein, wenn dein Kind im Schlaf erstickt.“

Marius öffnete sofort den Mund, um zu widersprechen. Aber Constanze hatte sich schon umgedreht und war wieder auf dem Weg nach oben. Dabei stampfte sie recht laut die Treppe hinauf.

Marius sah ihr nach und in ihm kämpfte Ärger gegen sein schlechtes Gewissen. Er wusste nicht, ob er wirklich die ganze Nacht an Sophies Bett hätte wachen sollen. Etwas in ihm sagte ihm, dass es ungerecht war. Er war es, der aufstand, wenn etwas mit Sophie war. Leo und er kümmerten sich dann. Constanze dagegen blieb in der Regel im Bett, kam höchstens mal kurz gucken. Und schob immer vor, sie sei müde von der Arbeit, sie müsse schlafen. Dass Marius auch arbeitete, galt hingegen nicht als Argument. Sie setzte voraus, dass Marius sich kümmerte. Und Marius kümmerte sich. Weil es seine Tochter war, er für sie da sein wollte und er sich nicht vorwerfen lassen wollte, er sei es nicht.

Nun bemühte er sich sehr, sich auf seine Zeitung zu konzentrieren. Leicht war das nicht. Hatte Constanze irgendwas gefunden, weswegen sie auf Marius sauer sein konnte, lag eine Spannung in der Luft, die sich unglaublich schlecht anfühlte. Eine Kälte, die Marius frieren ließ. Obwohl es sicherlich nicht so kalt im Wohnzimmer war.

Sollte er nach oben gehen?

Er wusste nicht, was Constanze jetzt erwartete. Denn sie sagte selten, was sie wirklich dachte oder wollte. Es war gut möglich, dass er ihr einen Kaffee hätte bringen sollen, weil es das war, auf das sie wartete. Genauso gut konnte es aber komplett falsch sein, ihr einen Kaffee zu bringen, weil sie ja gesagt hatte, dass sie keinen wollte. Marius war hin und her gerissen. Er konnte sich nicht entscheiden. Angst stieg in ihm auf, dass es Streit geben würde, wenn er jetzt nicht das tat, was Constanze wollte. Doch es war ihm einfach nicht möglich, abzuschätzen, was es sein konnte.

Constanze war unberechenbar. Sie tickte in Situationen völlig aus, in denen für kaum jemanden nachvollziehbar war, was das Problem war. Manchmal aber auch nicht. Und diese Unsicherheit machte Marius verrückt. Er glaubte ständig, etwas falsch zu machen, traute sich kaum noch, etwas zu sagen. Im Grunde unterhielt er sich hauptsächlich mit seinen Kindern, kümmerte sich um sie, kümmerte sich um das Haus. Constanze ging arbeiten und war ansonsten viel unterwegs. Sie fand immer etwas, das sie noch machen musste.

Marius unterrichtete Deutsch und Mathe in der Schule. Es war dieselbe Schule, auf die Leo ging. Eine sehr große Schule, viele Klassen und ein großes Kollegium. Marius hatte kaum einen Überblick über seine Kollegen und die Schüler. Er ertappte sich häufig dabei, dass er Namen vertauschte oder sie sogar vergaß. Außerdem hatte er nun auch einige Male in einem Klassenraum gestanden, in dem er gar keinen Unterricht hatte. Es fiel ihm zusehends schwerer, solche Dinge auf die Reihe zu kriegen.

Nach der Schule holte er meistens direkt Sophie ab, machte Mittagessen, half ihr bei den Hausaufgaben. Wenn Leo nach Hause kam, half er ihm öfter auch noch, wenn es nötig war. Danach setzte Marius sich an seine Unterrichtsvorbereitung, bis Constanze irgendwann nach Hause kam. Ihre Zeiten waren nicht so klar, da sie meistens nach der Arbeit noch irgendwas erledigte. Marius wusste nicht, woher ihre ganzen Termine kamen. In jedem Fall war es ihr unmöglich, sich am Alltagsleben ihrer Familie zu beteiligen. Sie kam irgendwann an, wenn es ihr passte. Ihre Arbeit in einem Callcenter, wo sie eine Art Teamleiterin war, endete eigentlich um 16.00 Uhr. Manchmal machte sie Überstunden, manchmal besuchte sie noch jemanden, ging zum Sport, Shoppen, zum Friseur. Sie kam selten vor 18.00 Uhr nach Hause. Dann war sie meistens zu geschafft, um am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen, verzog sich ins Schlafzimmer oder ins Arbeitszimmer, sagte den Kindern noch irgendwie gute Nacht, sah vielleicht mal einen Film mit Sophie. Das war es dann auch schon. Ansonsten hing alles an Marius, der ja meistens mittags Zuhause war und somit deutlich mehr Zeit hatte als seine Frau. Zumindest sagte sie das. Und es war für sie vollkommen selbstverständlich, dass er alles, was mit den Kindern und dem Haus zu tun hatte, übernahm.

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