legte, sagte er:
»Ist nicht nötig, lieber May! Sie können Ihren sauer verdienten Thaler behalten.«
»Dieser hier ist nicht sauer verdient, Herr Kantor.«
»Nicht? Wieso? Vielleicht ein Geschenk?«
»Nein, kein Geschenk. Er ist verdient, aber nicht sauer. Ich habe dreißig Stück bekommen;
das wissen Sie doch!«
Er sah mich erstaunt an und fragte:
»Dreißig Stück, dreißig Thaler! Sie Krösus, Sie! Und ich soll es wissen? Keinen Laut, keine
Note, keine halbe, keine Sechzehntelnote habe ich davon gehört!«
»Aber Sie haben doch vorhin davon gesprochen!«
»Ich? Nicht daß ich wüßte!«
»Sie sprachen von Buchhändlergeld!«
»Ja, das habe ich freilich gethan; aber das ist etwas, wovon Sie noch gar nichts wissen. Was
hat es denn für eine Bewandtnis mit Ihren dreißig Thalern? Oder dürfen Sie es nicht
erzählen?«
»Natürlich darf ich es! Und grad Sie, Herr Kantor, sind der, dem ich es am liebsten erzähle!«
Er lief, indem ich es that, ganz aufgeregt in seinem kleinen Zimmer hin und her und rief, als
ich zu Ende war:
»Dreißig Thaler, dreißig schwere Thaler für ein Gedicht, für – – wieviel Strophen hat es?«
»Zweiunddreißig vierzeilige.«
»Auch noch bloß vierzeilige! Das macht achtundzwanzig Groschen pro Strophe und sieben
Groschen für jede Zeile, für jeden Vers! Dazu die Ehre, den ersten Preis errungen zu haben!
Und ich habe Wunder gedacht, was ich da – – – na warten Sie noch! Haben Sie Ihr Gedicht
im Kopfe?«
»Ja.«
»Her damit! Ich will auch einmal ein Preisgedicht für dreißig Thaler hören!«
Während er immer noch lebhaft hin und her wanderte, stellte ich mich in die einzige freie
Ecke und deklamierte:
»Ich verkünde große Freude,
Die Euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ!
Jubelnd tönt es durch die Sphären,
Sonnen künden's jedem Stern;
Weihrauch duftet auf Altären,
Beter knieen nah und fern.
Horch, da schallt vom nahen Dome
Feierlich der Glocken Klang,
Und im majestätschen Strome
Schwingt sich auf der Chorgesang:
›Herr, nun lässest du in Frieden
Deinen Diener zu dir sehn,
Denn sein Auge hat hienieden
Deinen Heiland noch gesehn!‹ – –«
»Halt, halt!« unterbrach er mich da eifrig. »Das Gedicht scheint ja gut, ganz gut zu sein, aber
zweiunddreißig Strophen, das ist mir zu lang, viel zu lang. Ich muß Ihnen etwas sagen und
kann nicht damit warten, bis Sie zu Ende sind. Da, sehen Sie sich einmal das hier an! Kennen
Sie das?«
Er hielt mir ein gedrucktes Notenheft hin und sah mir dabei mit dem Ausdrucke größter
Spannung in das Gesicht. Es war die Partitur einer Motette, in welcher die separat gedruckten
Stimmen lagen. Ich las den Anfang des Textes: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude – –
«
»Nicht hier lesen, nicht hier, sondern den Titel, den Titel!« drängte er ungeduldig.
Ich that es und erschrak, aber in freudiger Weise, denn es war meine Motette, die mir auf eine
so unerklärliche Art abhanden gekommen war.
»Nicht wahr, das ist etwas, das ist auch etwas?« fragte er triumphierend. »Eine gedruckte
Komposition ist mehr, viel mehr wert als ein gedrucktes Gedicht. Ein Gedicht kann jeder
machen, der die Reime dazu aus der Luft hergreift; aber eine Komposition, das ist etwas ganz
anderes; das kommt nicht aus der Luft, sondern wo anders her! Da muß man etwas gelernt
und ganz besonders einen tüchtigen Lehrer gehabt haben. Und gute, tüchtige Lehrer können
nur die Herren Kantores sein, welche die Orgel schlagen und den Kirchengesang leiten. Der
Kirchengesang ist die höchste – –«
»Aber bitte, Herr Kantor,« unterbrach ich seinen Redefluß »Sie sehen mich im höchsten
Grade erstaunt. Diese Motette habe ich nicht komponiert, daß sie gedruckt werden soll; sie ist
eine Übungsarbeit, die im Kasten liegen bleiben sollte; plötzlich aber war sie weg. Wie ist sie
in Ihre Hände gekommen, und woher wissen Sie, daß sie von mir ist? Auf dem Originale hat
mein Name nicht gestanden.«
»Das ist wahr, sehr wahr,« lachte er. »Aber denken Sie denn wirklich, daß ich Ihre
Handschrift nicht kenne und auch die von Krüger nicht?«
»Krüger?« fragte ich. »Welchen Krüger meinen Sie?«
»Dumme Frage! Natürlich Krüger, der Ihnen damals wegen Ihrer Arbeit über die
Quintseptaccorde die erste Censur abtreten mußte. Er hat sich rächen wollen, wird aber nun
durch mich bestraft, daß er sich blauärgern soll!«
»Ich verstehe Sie noch nicht.«
»Immer noch nicht? Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriffen. Da muß ich Ihnen
doch gleich noch zweierlei zeigen, worüber Sie sich, wenigstens über das eine,
wahrscheinlich wundern oder aber auch ärgern werden. Da, zunächst das. Wessen Handschrift
ist das?«
Er gab mir ein großes, abgestempeltes Couvert, auf welchem sein Name stand. Ich brauchte
nur einen Blick darauf zu werfen, um antworten zu können:
»Das hat Krüger geschrieben; man sieht es sofort.«
»Ja; der Kerl hat sich nicht einmal Mühe gegeben, seine Hand zu verstellen. Er hat
wahrscheinlich gedacht, daß ich das Couvert wegwerfe, ohne es anzusehen. Nun aber das.
Sehen Sie es sich genau an!«
Es war meine Partitur der Motette. Indem ich die Systeme nur flüchtig überblickte, fand ich
nicht, was er meinte; da machte er mich darauf aufmerksam:
»Halten Sie das Papier gegen das Licht, so werden Sie die radierten Stellen finden.«
»Was! Er hat radiert?«
»Ja, er hat radiert, um Fehler hineinzumachen; die Absicht können Sie sich wohl denken!«
»Das wäre eine Schlechtigkeit, eine Gemeinheit, die –«
»Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Ich habe die Sache schon selbst in die Hand
genommen. Ich habe ihn vorgehabt, und er hat es eingestehen müssen; die Sache wird noch
vor die Konferenz kommen. Inzwischen habe ich eine Abschrift, natürlich ohne die
hineingemachten Fehler, genommen und die Motette dann dem Buchhändler eingeschickt,
Ihnen zuliebe und diesem Krüger zum Ärger. Er hat sie angenommen, und wissen Sie,
welches Honorar er Ihnen zahlt?«
»Honorar? Also Geld, auch hier Geld?«
»Natürlich! Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es
nicht. Er hat einstweilen fünfhundert gedruckt und dafür fünfundzwanzig Thaler bezahlt. Sie
bekommen also zwar bloß fünfzehn Pfennige für das Exemplar, aber das ist doch immer
besser, als wenn die Motette in Ihrem Kasten läge und gar nichts brächte. Er schickte
Papiergeld; ich habe es aber umgewechselt, weil Silber besser klingt. Es ist ein ganzer, großer
Haufen Geld. Da haben Sie ihn! Lassen Sie nichts davon fallen!«
Er zog den Tischkasten auf, griff mit beiden Händen hinein und hielt sie mir dann, gefüllt mit
Thalerstücken hin. Ich war beinahe bestürzt über diese zweite, so ganz unerwartete Gabe des
Glückes. Er schob mir das Geld lachend hüben und drüben in die Hosentaschen und rief
dabei:
»Nehmen Sie nur, nehmen Sie! Wer weiß, ob Ihnen in Ihrem ganzen Leben wieder einmal
eine Komposition auch nur einen Groschen einbringt; drum greifen Sie jetzt zu; Sie können es
ja brauchen! Übrigens wird die Motette eingeübt und hier in der Kirche gesungen; der Krüger
muß platzen vor Ärger, das heißt, wenn er nicht schon vorher fort muß, denn die Gemeinheit,
welche er hier bewiesen hat, verdient eine so exemplarische Bestrafung, daß ich überzeugt
bin – –«
»Bitte, Herr Kantor,« fiel nun ich ihm einmal in die Rede. »Sie sind mir immer freundlich
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