„Sie können mit mir rechnen, Entwicklungsarbeit interessiert mich.“
„Morgen reden wir eingehender darüber, aber jetzt widmen wir uns den Damen.“
Er nahm sein Glas und prostete uns zu.
Nun schenkte er seine Aufmerksamkeit der Frau neben ihm, und wir beide waren uns selbst überlassen.
Um die entstandene Pause zu überbrücken, fragte ich ihn nach seinen Hobbys.
„Ach wissen Sie, dazu habe ich nie Zeit gehabt.“
„Irgendein Sport?“, fragte ich.
„Eigentlich nichts Besonderes. Schwimmen kann ich leidlich, bei allen anderen Disziplinen in der Schule war ich nicht sehr geschickt. So habe ich mich halt auf den Lehrstoff konzentriert. Und was machen Sie?“
Ich hatte den Eindruck, dass sich, als ich ihm mitteilte, was ich studiere, leichte Geringschätzigkeit in seiner Miene breit machte, und zerknirscht dachte ich: Nicht jeder kann Wissenschaftler sein. Dann aber siegte mein Selbstbewusstsein und ich überließ ihm in der Folge den sehr holprig geführten Dialog. Was hätte ich auch mit ihm reden sollen. Als ich vorsichtig Kunst und Theater ins Gespräch bringen wollte, kam kein Echo. Einen letzten Versuch riskierte ich noch.
„Welches sind Ihre Lieblingsblumen?“
„Lieblingsblumen?“, fragte er. „Hab ich eigentlich nicht. Und Ihre?“
„Weiße Lilien.“
Ich war froh, als wir uns endlich verabschiedeten.
Am nächsten Morgen war ich sehr überrascht, als er mit einem großen Strauß weißer Lilien vor der Tür stand.
Hermann
Tagelang zerbrach ich mir den Kopf, was ich mit Erika unternehmen sollte, um mich ihr angenehm zu machen. Ich war nicht gewohnt mit Mädchen auszugehen. Mir würde genügen, nur mit ihr beisammen zu sein, aber das, so glaubte ich, wäre ihr sicher zu wenig.
Am besten, ich würde jemanden meiner jüngeren Kollegen fragen.
„Wo geht ihr mit Mädchen hin, wenn ihr sie einladen wollt?“
„Natürlich in die sensationelle Groß-Disko. Die ist neu eröffnet worden und Tanzen, das mögen die Mädchen.“
„Ich kann doch nicht tanzen. Da blamier ich mich.“
„In der Disko? Da kannst du dich nicht blamieren. Schau, wie es die anderen machen, dann geht das schon.“
Trotzdem war mir nicht wohl, als ich zum Telefon griff.
Ihre helle Stimme wischte meine Bedenken weg.
„In eine Disko willst du mit mir gehen? Ja, warum nicht? Ich habe davon gehört, dass bei uns eine große Disko eröffnet wurde. Interessiert mich dort einmal hinzukommen. Wann?“
„Ist dir Samstag recht?“
„Um zwanzig Uhr am `Neuen Platz´ vor dem Rathaus. Ich freu mich.“
Scheinbar hatte sie es eilig, aber mich hatte sie damit auch in Schwung gebracht.
Erika
Was zieht ein Mädchen an, wenn es in eine Disko eingeladen wird? Diese Überlegung machte mir ungewohnt lange zu schaffen, aber ich fühlte intensiv das damit verbundene, aufregende Prickeln.
Er war schon da, als ich am `Neuen Platz´ ankam.
„Ich muss dir gestehen, ich war noch nie in einer Disko, und tanzen kann ich auch nicht.“ Verlegen drückte er mir die Hand.
„Mach dir nichts draus, ich auch nicht, und was das Tanzen angeht, das kriegen wir schon hin“, lachte ich ihn an, und eingehängt schritten wir frohgemut der Gegend zu, wo sich angeblich die Disko befand.
Es fühlte sich sehr gut an, so neben dem großen Mann, von ihm quasi geführt, einherzuschreiten, und meinetwegen hätte es unendlich lange dauern können.
Es dauerte lange genug und nach einigem Fragen fanden wir das Lokal. Allerdings würde ich Hermann den langen Fußweg nicht zugemutet haben, hätte ich gewusst, wo sich die Disko wirklich befand. Aber es war ein schon recht milder, zunehmend mondheller Abend, und ich habe den Fußweg genossen.
Das Lokal war in Vollbetrieb. Davor krachten infernalisch die Mopeds der jugendlichen Besucher. Eintretend, empfingen uns ein das Trommelfell zerstörender Rhythmus und eine Menschenmenge, in der wir ein weiter-geschobener Teil der Masse wurden. Ein Ruheplatz von einer Sitzgelegenheit konnte nicht die Rede sein war momentan nicht zu finden und so begannen wir uns auf der Tanzfläche der brodelnden Menge anzugleichen. Wir hielten uns an den Händen, wurden losgerissen und verloren uns, waren von Freude durchglüht, wenn wir uns wieder fanden, und mit der Zeit wurde daraus ein lustiges Spiel sich verlieren und wiederfinden.
Der Durst zwang uns schließlich an einen Tisch, an den wir uns quetschen konnten, nur um wenigstens einen Abstellplatz für ein mühsam ergattertes Getränk zu finden.
Ich war von mir begeistert, dass ich da so einfach mitmachte. Gedränge war eigentlich nicht mein Ding, aber es war so schön, immer wieder an Hermann gedrückt zu werden, und ob er es wollte oder nicht, er musste mich beschützend in den Arm nehmen.
Rasend verging die Zeit und irgendwann standen wir auf der Straße.
Ich atmete die Nachtluft genießerisch ein, als ich aus dem Schatten des Gebäudes ein lautes Schreien vernahm. Offensichtlich bedrängten zwei Jugendliche ein Mädchen.
Hermann eilte ihr zu Hilfe und riss einen der Knaben von ihr weg. Zitternd drückte sie sich an die Mauer, während der Junge sich drohend Hermann zuwendete.
Plötzlich blitzte ein Messer in seinen Händen und schoss auf Hermann zu. Mir raste das Herz und mein Aufschrei blieb mir im Hals stecken. Es ging alles blitzschnell.
Mein Freund war ein Kämpfer. Sein Arm wehrte das Messer gekonnt ab und es flog in weitem Bogen weg, während sein Gegner, von einem Haken getroffen, aufstöhnend zu Boden ging. Auch der zweite Junge, der sich nun einmischen wollte, wusste gar nicht, wie ihm geschah, als ihn Hermanns Fußspitze empfindlich traf und außer Gefecht setzte.
Es schien mir wie im Film.
Plötzlich war die Szene leer, nur das Mädchen stand noch immer zitternd an die Mauer gedrückt. Die Jungen hatten sich so schnell es ging, aufgerappelt und eiligst die Flucht ergriffen.
„Alles in Ordnung?“, fragte mein Held das Mädchen.
Sie nickte.
Hermann wandte sich lächelnd zu mir, legte seinen Arm um mich und ging mit mir, so als wäre nichts geschehen, weiter hinein in die silbrig glänzende Nacht.
Hermann
Dieser Abend hatte mich aufgewühlt.
Mit einem Mal war ich Erika so nah wie noch nie. Diese Freude, mit ihr beisammen sein zu können, diese Übereinstimmung unserer Denkweise und diese Ausgelassenheit, die uns erfasst hatte.
Jetzt ahnte ich, wie Liebe ist, und jetzt wusste ich, dass ich sie unendlich liebte. Ich scheute mich darüber nachzudenken wie sie sich fühlte, denn ich war schon glücklich, wenn ich mir einbildete, dass es bei ihr ähnlich sei.
Warum hätte sie sich sonst an mich gedrängt, mich berührt und angelächelt?
Vor lauter Glücksgefühl fand ich wieder einmal keinen Schlaf.
Meine Gedanken schweiften ab, zu diesem Kampf, und mir war das unangenehm.
Was wird sie wohl nach diesem Intermezzo von mir halten?, dachte ich.
Aber ich konnte nun einmal Gewalt gegen Schwächere nicht ertragen.
Der Kampf selbst war nebensächlich. Ich hatte als Junge viel gekämpft, zu viel, wie ich heute wusste. Deshalb verdrängte ich diese Zeit, konnte mich mit ihr nicht identifizieren und wenn ich daran denken musste, dann unbeteiligt, wie ein Beobachter, der, persönlich über den Dingen stehend, nur zusieht. Das damals war nicht ich gewesen, und daran zu denken, gelang mir nur in der dritten Person, davon zu sprechen war mir unmöglich.
Ja, der kleine Junge aus der Leebgasse 39 hatte eben früh lernen müssen sich zu wehren. In diesem Umfeld wuchs er auf, in das er hineingeworfen worden war, einem Umfeld aus Neid, Gier, Hass und Niedertracht, wo nur der Stärkere sich behaupten konnte, nur der galt, wer in der Lage war, sich und seine Habseligkeiten zu verteidigen.
Читать дальше