„Warum nicht? Keine Buchführung? Das wird das Finanzamt brennend interessieren …“
Die Stirn des Ladeninhabers zeigte eine leichte Tröpfchenbildung, woraufhin die Polizistin ein Papiertaschentuch zückte und es ihm reichte: „Du fängst da oben an auszulaufen.“
Der Chef nahm es wortlos an und tupfte sich die Stirn trocken, bevor er stammelte: „Ja, nun, äh, also … bei einigen angekauften Waren habe ich wohl nicht die Zeit gehabt, mir alles bis ins Kleinste zu notieren.“
„Zum Beispiel bei gerade den acht Gegenständen, die ich dir eben gezeigt habe, stimmts? Vielleicht kannst du uns ein Gedächtnisprotokoll liefern?“
„Es gehen hier so viele Leute ein und aus. Da kann ich mir nicht alles merken.“
„Wir wollen auch nicht alles, sondern vorerst nur die Daten der Verkäufer dieser Computersachen. Um den Rest kümmert sich dann eventuell die Finanzverwaltung.“
„Sagt mal, ihr wollt doch euren Fall lösen. Kann man da das Finanzamt nicht aus dem Spiel lassen?“
„Namen und Adressen der Verkäufer“, beharrte die Polizistin.
Der Geschäftsführer griff sich einen Zettel vom Verkaufstresen, zückte einen Kugelschreiber, notierte zwei Vornamen und schob ihn ohne Worte in ihre Richtung.
„Nur zwei Vornamen? Keine Nachnamen? Keine Adressen?“
„Mehr weiß ich nicht. Die beiden Typen kamen vor einiger Zeit in den Laden und boten mir das Zeug an. Äh, sie sagten, sie wären vor kurzer Zeit aus dem Jugendknast entlassen worden und müssten nun ihr Hab und Gut verscherbeln, weil sie dringend Geld bräuchten. Da wollte ich helfen.“
„Oh, ein Samariter aus dem Milieu“, rief die Polizistin.
„Ich habe selbst mal gesessen und weiß, wie es einem nach der Entlassung geht.“
„Lass mich raten. Hehlerei? Diebstahl? Drogenhandel? Steuerhinterziehung? Unterschlagung?“
„Das tut hier nichts zur Sache. Ich habe die Strafe abgesessen.“
„Lass mal gut sein“, beschwichtigte der Polizist seine Kollegin und wandte sich dem Mann zu. „Was kannst du uns noch zu den beiden erzählen?“
„Rein gar nichts. Die beiden tauchten hier auf, haben ihren Krempel dagelassen, ich habe einen deutlich zu hohen Preis dafür bezahlt, und sie sind dann wieder verschwunden. Seitdem habe ich sie auch nicht wieder in der Gegend gesehen.“
„Und woher weißt du ihre Vornamen?“
„Sie haben sich gegenseitig so angesprochen.“
„Ach so. Wenn wir sie nicht finden, kommen wir wieder. Bis dahin raten wir dir, dich ein bisschen umzuhören. Du hast doch deine Verbindungen.“
Die beiden schnappten sich die gestohlenen Sachen aus den Regalen, quittierten deren Empfang und verließen den Laden.
„Finn und Lasse“, sagte der Polizist zu seiner Kollegin. „Wahrlich keine außergewöhnlichen Vornamen in Schweden. Ob wir in dieser Richtung fündig werden?“
Am 30. August 1969 verließ ein junger Mann gegen 12:00 Uhr einen Modeladen in der Londoner Carnaby Street 26. Er wäre kein waschechter Dieb gewesen, wenn er nicht hätte etwas mitgehen lassen. In der Plastiktasche, die er nun mit sich führte, befand sich ein fliederfarbener Samtanzug, den er nicht leiden konnte, und ein hellgrünes Oberhemd mit einem ausladenden Hemdkragen, das er ebenfalls nicht leiden konnte. Geschickt hatte er einen Kleiderständer manipuliert, sodass dieser gerade in dem Moment lautstark umfiel, als die Verkäuferin kassieren wollte. Sie war sofort zu dem Ständer geeilt und der junge Mann komplettierte seinen Diebstahl mit einem beherzten Griff in die unbeobachtete Kasse, bevor er den Laden verließ und auf die Straße trat. Es roch sehr stark nach Abgasen, die von den Verbrennungsmotoren der vielen Fahrzeuge herrührten, die sich auf der Straße zahlreich tummelten. „Viel Glück in London!“, hatte ihm der kleine hässliche Rechner zugerufen, bevor er verschwand. Er musste also auf mysteriöse Weise nach London gelangt sein, schloss er daraus. Den Kalender an der Kasse der Boutique hatte er nicht gesehen. Mal sehen, was sich hier so anstellen lässt , versuchte er sich mit seiner Situation zumindest für den Augenblick zu arrangieren. Verglichen mit den vielen Passanten auf dem Gehweg, sah er völlig heruntergekommen aus. Von jedem Einzelnen wurde er von oben bis unten mit demselben Gesichtsausdruck belustigt gemustert, mit dem er seinerseits jeden Einzelnen bedachte. Ich muss mich erst mal klamottenmäßig anpassen, damit ich nicht so auffalle , dachte er sich und verschwand in einem Hinterhof, in dem er ein Versteck fand, um sich unauffällig umzuziehen. Das Oberhemd und der Samtanzug waren nicht gerade das, was er gemeinhin als bequem bezeichnete, aber sie zwangen ihn zu einer aufrechteren Haltung. Jetzt sah er ungefähr so aus, wie die anderen Leute, die hier in der Stadt herumliefen, allein seine klobigen Springerstiefel wollten nicht so recht zu seinem neuen Outfit passen. Seine alten Sachen verstaute er in der Plastiktasche und trat aus dem Hinterhof wieder auf die Straße, um seine Verwandlung an den Blicken der Passanten zu messen. Und siehe da: Er wurde nicht mehr von oben bis unten belustigt gemustert. Die Blicke der Leute richteten sich überwiegend auf seine Stiefel. Seine Englischkenntnisse waren gut genug, um zu verstehen, dass ein Mann aus einer kleinen Gruppe seine Begleiter fragte, ob das nun ein neuer Trend sei und wo man wohl solche Stiefel bekäme. Als er seine Barschaft kontrollierte, stellte er fest, dass er im Besitz von 340 Pfund Sterling war. Das würde nach seiner Einschätzung einige Tage reichen, in denen er einen Plan für seine Rückkehr nach Malmö schmieden wollte. Zunächst aber müsste er mal ins Internet. Er zückte sein Smartphone, das er stets bei sich trug und das den Weg aus seiner alten Hose in den Samtanzug gefunden hatte. Hmm …kein Netz .
Am 30. August 1960 verließ ein junger Mann fluchtartig mit blutender Nase ein Kino in Kopenhagen. Der Film, von dem er einige winzige Ausschnitte mitbekommen hatte, hieß Psycho . Ein Film von Alfred Hitchcock mit Anthony Perkins in der Hauptrolle, was die große Tafel am Eingang des Kinos verriet. Psycho. Nie gehört , dachte der Mann bei sich und schüttelte den Kopf. Als er sich auf der Straße umsah, war er völlig verwirrt. Hier muss es ein Oldtimertreffen geben, und wie die Leute hier rumlaufen! Irgendwie muss ich im Ausland gelandet sein. Sieht aus wie Dänemark. Und die Leute hier klingen auch so. Was das wohl für ein Zeug war in dem Trip, den ich mir vorhin eingeworfen habe? Und wo ist der kleine Rechner bloß geblieben? Er nahm sein Smartphone und schaltete es ein. Merkwürdig …kein Netz .
Sam berichtete Yvonne enttäuscht, dass sein Ausflug in die An- und Verkaufsszene Malmös erfolglos gewesen war.
„Vielleicht haben sie ihr Diebesgut noch nicht angeboten“, meinte Yvonne, eher um Sam zu beruhigen, denn sie machte sich ebenfalls große Sorgen um KR.
„Wahrscheinlich hast du recht“, sagte Sam mutlos. „Aber wir müssen doch irgendwas unternehmen …“
„Ich habe gerade das letzte Kapitel meiner Übersetzung am Wickel. Wenn ich damit fertig bin, habe ich wieder mehr Zeit zum Nachdenken. Es ist eine wissenschaftliche Arbeit, die meine ganze Konzentration erfordert. Doch hör mal, der Autor befasst sich nebenher mit Zeitreisen. Er meint, dass Zeitreisen möglich wären und sogar schon stattgefunden hätten. Ein russischer Kosmonaut hätte zum Beispiel im Lauf seiner Karriere 803 Tage im Weltraum verbracht. Nach Einsteins Theorie vergehe die Zeit für Objekte in Ruhe schneller als für solche, die sich relativ dazu in Bewegung befinden. Mit der Raumstation Mir war dieser Kosmonaut mit rund 27000 Stundenkilometern um die Erde unterwegs und ist dadurch weniger gealtert als seine auf der Erde gebliebenen Mitmenschen, zwar nur den 48. Teil einer Sekunde, aber er ist damit eine 48stel Sekunde in die Zukunft gereist. Wäre er mit nahezu Lichtgeschwindigkeit gereist und hätte er um die 1000 Lichtjahre zurückgelegt, dann wären aus seiner Sicht nur etwa zehn, aber auf der Erde über 1000 Jahre vergangen. Folglich wären Reisen in die Zukunft bereits jetzt möglich, technisch allerdings nur in ganz engen Grenzen. Er hält sogar Reisen in die Vergangenheit rein wissenschaftlich grundsätzlich für möglich, denn es gebe kein Naturgesetz, das sie verbiete.“
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