„Ja, warum nicht? Gern.“
„Schön. Wollen wir uns hier am Strand nach meinem Feierabend treffen um neunzehn Uhr?“
„Okay, ich werde kommen.“
„Dann bis morgen Abend. Ich freue mich.“
Julia nickte und musste noch einmal tief durchatmen, ehe sie zu ihren Eltern hinüberging. Sie wollte auf keinen Fall, dass die beiden ihren aufgewühlten Zustand miterlebten. Doch dafür war es eigentlich schon zu spät. Denn ihre Mutter hatte ihre große Tochter schon die ganze Zeit aus den Augenwinkeln mit einem Lächeln beobachtet.
Als Julia am nächsten Abend zum verabredeten Treffpunkt kam, war Marcos bereits da und wartete auf sie. Sie sah gehetzt auf ihre Armbanduhr, sie war spät dran.
„Tut mir leid, ich bin zu spät“, sagte sie.
Er zuckte mit der Schulter und grinste.
„Du bist da, also ist doch alles gut. Was habt ihr Deutschen nur immer mit eurer Pünktlichkeit.“
„Keine Ahnung. Ehrlich.“ Auch Julia grinste. „Ich hatte etwas Schwierigkeiten, meine Schwester davon abzuhalten, mitzukommen.“
„Hast du ihr erzählt, dass wir beide was trinken gehen?“
„Nein, nicht wirklich. Aber sie hat irgendetwas vermutet.“
„Ist sie denn jetzt allein?“
„Ja, meine Eltern sind erst gegen dreiundzwanzig Uhr zurück und bis dahin sollte ich auch wieder zurück sein.“
„Kein Problem, das schaffen wir. Es ist nicht sehr weit. Ein kleines Stück der Promenade entlang und dann sind wir auch schon fast da.“
Sie gingen nebeneinander auf der belebten Promenade, Marcos unterhielt sie währenddessen mit lustigen Anekdoten über seine Landsleute. Dann zog er sie in eine kleine Nebenstraße. Zwei- oder dreimal bogen sie noch ab und schon standen sie vor einer kleinen heimeligen Bar direkt am Strand. Sie setzten sich an einem kleinen Tisch und bestellten sich Pina Colada. Den ganzen Abend blieben sie dort und unterhielten sich angeregt. Marcos war sehr interessiert und wollte von ihr alles wissen, wie das Leben in Deutschland war und wie es dort aussah. Sie erzählte ihm auch von ihren Freunden, nur Michael ließ sie aus. Sie selbst verschwendete schon überhaupt keinen Gedanken mehr an ihn. Es machte Spaß mit Marcos. Er war ein guter Zuhörer, und er war außerdem ein echter Spaßvogel und sie hatten ein Menge Spaß. Julia hatte lange nicht mehr so viel gelacht. Aber er hatte auch eine ernste Seite. Im Grunde war er so ganz anders als ihre Freunde zu Hause, und er war vor allem so ganz anders als die Jungs, mit denen sie ansonsten zu tun hatte. Er wirkte viel reifer und älter. Das machte ihn für Julia noch interessanter, und außerdem sah er wahnsinnig gut aus. Seine braunen Augen strahlten so viel Wärme aus und sie hatte das Gefühl, sich in ihnen zu verlieren. Gegen zweiundzwanzig Uhr brachen sie dann langsam auf. Diesmal gingen sie am Strand zurück zum Hotel. Der Abend war noch immer sehr warm, und doch hatte sie ein wenig Gänsehaut. Sie vermutete jedoch, dass es eher daran lag, dass er so dicht neben ihr ging und sich ihre Arme beinahe berührten.
„Ist dir kalt?“, fragte er und berührte mit seiner Hand leicht ihre Hand. Sie schüttelte den Kopf und blieb stehen.
„Bist du sicher?“
„Ja“, sagte sie und sah ihn an. Ihre Augen trafen sich und für einen Augenblick schien die Welt stehen zu bleiben. Dann neigte Marcos ihr seinen Kopf entgegen und gab ihr einen kleinen schüchternen Kuss auf die Lippen. Julia schloss für einen Augenblick die Augen, doch der Kuss war so schnell vorbei, viel zu schnell für ihren Geschmack. Sie öffnete die Augen wieder und sah ihn unsicher an. Er lächelte schüchtern und sie sehnte sich noch einmal seine Lippen auf den ihren zu spüren. Doch er machte keine weiteren Anstalten in diese Richtung. Was war mit ihm los? Die Jungs die sie kannte waren nicht so schüchtern. Er hatte doch sicher schon einmal eine Frau geküsst. Julia selbst war zwar auch nicht gerade erfahren in solchen Sachen, aber geküsst hatte sie schon, mehrere Male. Schüchtern machte sie einen kleinen Schritt näher auf ihn zu und küsste ihn noch einmal vorsichtig auf die Lippen und dann endlich schlang er die Arme um ihre Hüften und küsste sie richtig. Als ihre Zungen sich berührten, begann ihr Herz wie verrückt zu schlagen. Julia konnte ihr Glück kaum fassen. Dieser Wahnsinnstyp küsste sie wirklich, und es war das Schönste, was sie je erlebt hatte. So war sie bisher noch nie geküsst worden. Sie konnte sich nicht erinnern, wie lange sie dort am Strand standen und sich küssten, doch irgendwann setzen sie ihren Weg fort und dann hatte er ihre Hand gegriffen und sie waren schweigend und Händchen haltend zum Hotel zurück geschlendert. Viel zu schnell waren sie zurück, und sie wäre gerne noch ein Stück weiter mit ihm gegangen. Am Strand vor dem Aufgang zum Hotel blieben sie stehen.
„Ich werde dich besser hier verabschieden, es ist besser wenn man uns im Hotel nicht zusammen sieht.“
„Oh.“ Sie wusste nichts darauf zu sagen.
„Tut mir leid. Es ist nur so, dass wir vom Personal uns nicht mit Gästen einlassen dürfen.“
„Warum nicht?“
„Keine Ahnung. Aber ich könnte in echten Schwierigkeiten kommen und meinen Job verlieren und meine Familie würde wahrscheinlich auch mächtig Ärger bekommen. Normalerweise gehe ich den Gästen auch aus dem Weg, aber bei dir ist mir das nicht gelungen. Schon als ich dich am ersten Tag gesehen habe, war mir klar, dass ich dich unbedingt kennenlernen muss.“
„Okay und was jetzt?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich würde dich gerne wiedersehen. Ich meine, natürlich sehen wir uns hier im Hotel, aber ich meine was anderes.“
„Du meinst also, dass wir uns heimlich treffen und es niemanden sagen?“
Er nickte zerknirscht.
„Gut. Ich kann Geheimnisse für mich behalten. Aber ich warne dich, meine Schwester passt auf wie ein Luchs.“
„Dann erzähl es ihr halt. Es darf nur nicht unbedingt dem Hoteldirektor zu Ohren kommen.“
„Also sehen wir uns morgen?“
„Ja“, sagte Marcos, und dann gaben sie sich noch einen letzten langen Kuss, ehe sie schnell in ihr Hotelzimmer flitzte. Claudia hatte noch eine Weile versucht, aus ihr herauszubekommen, wo sie gewesen war und was sie gemacht hatte, doch für den Abend war Julia davongekommen, da kurz nach ihrer Rückkehr auch ihre Eltern eingetrudelt waren. Die Zwei waren zwar ziemlich müde und kaputt von der langen Fahrt, ließen sich aber trotzdem nicht davon abhalten, ihren Mädchen bis ins kleinste Detail von der aufregenden Fahrt zu berichten.
Viel geschlafen hatte Julia in dieser Nacht auch nicht. Immer wieder hatte sie an den herrlichen Kuss denken müssen und daran, wie Marcos sie angesehen hatte. Kein Wunder also, dass sie nun am Morgen hundemüde war und völlig verschlafen am Tisch im Speisesaal saß. Gedankenverloren schlürfte sie ihren Tee und ließ ihren Blick durch den Raum wandern, bis sie Marcos mit einem Mal im hinteren Teil des Raumes erblickte. Er sprach mit einer weiteren Angestellten des Hotels. Die Frau war ein paar Jahre älter als er und Julia fragte sich, ob das wohlmöglich seine Mutter war. Als hätte er ihren Blick gespürt, sah er auf und in ihre Richtung. Sein Mund verzog sich sofort zu einem Lächeln als er sie sah, und er winkte ihr kurz zu. Julias Herz machte augenblicklich einen Satz. Sie erwiderte sein Lächeln und winkte zaghaft zurück. Sie hoffe, dass ihre Familie nichts davon mitbekommen hatte, aber ein Seitenblick auf ihre Mutter genügte, um die Antwort bereits zu kennen. Sie beobachtete ihre älteste Tochter sehr genau und grinste sie nun amüsiert an.
„Er ist ein gutaussehender Junge, nicht?“, sagte ihre Mutter leise, als Julia sich an den Tisch setzte.
„Äh…“ Julia befürchte, wieder einmal rot zu werden. „Ich weiß nicht… ähm, ja kann sein.“
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