Wenn sich einer der jungen Männer dennoch einmal erdreistete, eine der Frauen herauszufordern, um Streit mit ihr zu suchen, wurde er sogleich von allen anwesenden Frauen bloßgestellt und damit in seine Schranken der eigenen Welt zurückgewiesen, denn Männer waren keine Frauen, und Frauen waren keine Männer.
Es stand weder den Männern in Urmütterchens Sippe zu, sich in die Angelegenheiten der Frauen einzumischen oder gar Streit mit ihnen zu suchen, noch stand es den Frauen zu, sich in die Angelegenheiten der Männer einzumischen. Auch wenn sich ihrer beiden Welten noch so sehr voneinander unterschieden, so ergänzten sie sich dennoch vollkommen, was dem Gedeihen von Urmütterchens Sippe nur zugute kam.
Zumeist war es gar so, dass nach einem Streit der Männer ihre Mütter als Vermittlerinnen wirkten, weil sie den eigenen Sohn beruhigen konnten und ihm damit halfen, sich wieder mit seinem Gegner zu versöhnen. Denn, letztendlich lebten sie alle gemeinsam im friedlichen Miteinander, auch die Männer, die halt eben immer wieder einmal aneinander gerieten.
Während der Ruhezeiten, nach dem Liebesspiel mit ihrer Geliebten oder dem gegenseitigen Kämmen und Kraulen des Rückens mit ihren Freundinnen und Freunden hielten sich die Männer gelegentlich für sich allein am Rande der Gruppe auf, um einerseits wachsam einen Beitrag für die Sicherheit der Gemeinschaft zu leisten, es sei denn, sie nickten dabei ein, oder andererseits, um einfach ihre Ruhe zu haben.
Weil zu einer Wandergruppe immer mehrere Männer dazugehörten, waren immer genügend Augen wachsam, um über das Wohl der Wandergruppe zu wachen. Es gab zudem keinen Mann, der es nicht genossen hätte, auch Zeit für sich selbst zu haben und in die Runde zu schauen, während er Abstand zu den anderen Männern einhielt.
Es genügte den Männern der Sippe, sich während der Wanderungen am Waldboden freundschaftlich mit den anderen Männern zusammen zu tun, um als Hüter der Sicherheit gemeinsam zusammenzuarbeiten. Ansonsten waren sie durchaus auch gerne für sich, denn sie liebten es, einfach nichts zu tun und in die Runde zu schauen. Nach vielen Jahren der Übung, die Umgebung immer wachsam zu mustern, waren sie in ihre Aufgabe derart hineingewachsen, dass sie es mit der Zeit richtiggehend genießen konnten, einfach zu schauen.
Weil das Streiten eine der Möglichkeiten für die jungen Männer war, sich aneinander zu messen, war der Streit ein gewichtiger Teil ihrer Entwicklung zum erwachsenen Mann. Als Kinder und als Jugendliche hatten sie stets mit großem Eifer beobachtet, wie sich die jungen und die jüngeren der erwachsenen Männer gerne und oft stritten.
Manchmal schien es gar, als wären sich die jungen Männer nie zu schade dafür, einen Streit zu beginnen, wenn ihnen einer der anderen Männer auf den Geist ging und sie ihm zeigen wollten, dass sie stärker waren als er selbst.
Bei den Streitereien handelte es sich zumeist nur um stimmliche und keine körperlichen Auseinandersetzungen, während derer sie sich gegenseitig anschrien und anblafften, um sich ihre Gefühle mitzuteilen. Bei ihren lauten Streitereien war schlussendlich immer derjenige der Stärkere, der länger aushielt als der Andere.
Meistens stritten sich die beiden Gegner lautstark und schrien sich mittels schrillen Tönen, Lauten und Rufen an, um all ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen, nachdem der eine von ihnen mit dem anderen Streit gesucht hatte.
Mit all den verschiedenen Rufen, dem Schreien und dem Keifen und anderen Lauten warfen sie einander ihre Drohungen, ihre Absichten und auch ihre Ängste an den Kopf. Dabei galt es, dem Gegner um jeden Preis standzuhalten. Derjenige, der länger durchhielt, war der Stärkere, der den anderen damit zwang, nachzugeben und anzuerkennen, dass er ihm nicht standzuhalten vermochte. Jedes Nachgeben wurde gleichbedeutend mit Schwäche gedeutet, denn, nur wer allen anderen standzuhalten vermochte, würde eines Tages zu den ranghöchsten und stärksten Männern in Urmütterchens Sippe gehören.
Es gab Zeiten während der Entwicklung eines Jugendlichen, wenn sich seine Geschlechtlichkeit so stark regte, dass er einen derartigen Druck in sich verspürte, dass er regelrecht Streit suchte, um den zu groß gewordenen inneren Druck wieder loszuwerden. Ein Streit war wie geschaffen dafür, Dampf abzulassen und sich zu behaupten und letztendlich wieder zu beruhigen.
Wenn einer der Gegner aufgeben musste, hieß das noch lange nicht, dass er es nicht wieder und wieder hätte versuchen können, was die jungen Männer auch taten. Sie folgten einem inneren Drang, sich zu behaupten und ihren Rang stetig zu verbessern. Einmal nachgeben zu müssen, bedeutete noch nicht, niemals mehr zu den hochrangigsten Männern gehören zu können. Daher kam es, dass das Streiten für die Männer aus Urmütterchens Sippe ein eher beiläufiger Zeitvertreib war, mit dem sie lernten, in ihre Haut als starke und streitbare Männer hineinzuwachsen und ihre eigenen Grenzen zu finden. Es war nicht allen Männern vergönnt, zu den stärksten Männern zu gehören, und das störte auch niemanden. Ein jeder hatte ein Recht, als der, der er war, Teil von Urmütterchens Sippe zu sein.
Ganz anders die Frauen und Mütter aus Urmütterchens Sippe. Sie stritten sich derart selten, dass ein Streit für sie nichts Beiläufiges war sondern ein prägendes Ereignis. Ihre eigene Lebensart war viel gefühlvoller als derjenige der Männer. Sie hatten auch nicht den inneren Drang, besser zu sein als andere. Ihr innerer Drang war vielmehr, einfach sich selbst zu sein, sich wohl zu fühlen und das, was sie taten, so gut zu tun wie nur möglich. Natürlich brauchten auch sie Anerkennung von den anderen, welche sie auch oft bekamen. Sie wollten nicht ständig darum kämpfen müssen, die zu sein, die sie waren, sondern sie waren einfach sich selbst. Dies machten sie einander auch niemals streitig. Denn sie waren, wer sie waren.
Darüber brauchten sie untereinander nicht zu streiten. Eine jede war so gut, wie sie war, daran gab es nichts zu ändern. Was jedoch nicht bedeutete, dass Frauen nicht genauso standhaft gewesen wären als die, die sie waren. Ihre Art war einfach nicht die Art des Kämpfens nach Außen. Sie machten sich vielmehr stark dafür, dass der Frieden gewahrt wurde, so dass sich alle wohl fühlen konnten im gemeinsamen Miteinander.
Für junge Männer gehörte es schlicht und einfach zu ihrem Leben, sich ständig mit anderen zu vergleichen und sich mit ihnen zu messen. Dadurch erwarben sie sich mit der Zeit Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und sie lernten dabei auch, anders mit dem inneren Druck, der sich zuweilen in ihnen aufbaute, umzugehen.
Das Streiten der Männer war nicht nur damit zu erklären, dass sie Druck abbauen wollten. Vielmehr übten sie damit immer und immer wieder ihre Fähigkeit, einem Gegner standzuhalten. Diese Fähigkeit war von großer Bedeutung in Augenblicken der Gefahr, denn nur ein Mann, der es schaffte, seine eigene Furcht für einige Augenblicke zu überwinden, schaffte es auch, gelegentlich über sich selbst hinaus zu wachsen und eine sehr gefährliche Situation zu meistern.
Die Angehörigen aus Urmütterchens Sippe wussten sehr wohl, dass sie zu den stärkeren Lebewesen des Waldes gehörten. Auch wenn sie einige Fressfeinde hatten, so waren sie dennoch nicht im gleichen Ausmaß ausgeliefert wie die Horden der viel kleineren Affen.
Die Männer aus Urmütterchens Sippe waren ihren schlimmsten Feinden körperlich zwar hoffnungslos unterlegen, doch war es möglich, zu bestehen, solange sie Ruhe bewahrten und nicht die Nerven verloren, und, solange sie unversehrt flüchten konnten. Dass sie jederzeit auf die Bäume hinauf flüchten konnten, war ein großer Vorteil für alle aus Urmütterchens Sippe.
Damals, als Uhlo noch ein Jugendlicher gewesen war, hatte er bei seinen Beobachtungen der älteren Männer erstmals herausgefunden, dass sich die streitenden Männer niemals gleichzeitig anschrien, sondern einander immer abwechselnd ankeiften, um sich ihre Gefühle an den Kopf zu werfen und um ihre Drohungen herauszuschreien.
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