1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Uhma verspürte ein schmerzhaftes Ziehen im Bauch. Sie holte tief Luft, öffnete die Augen und spähte durch das Blätterdach in den Himmel. Es war noch dunkel und einige flackernde Sterne flimmerten durch die Lücken zwischen den Blättern, die sich sanft im Wind bewegten. Es war kühl gegen das Ende der Nacht. Die Zeit kurz vor Tagesanbruch war die kälteste, die es im Wald gab. Die Dunkelheit um sie her atmete ein vielschichtiges, reiches Leben, von dem sie nichts sehen konnte. Aus der Ferne kam der Duft einer kühlen Brise zu ihr herübergeweht.
Uhma kuschelte sich in ihr Blätternest, in dem sie sich sicher fühlte, denn es lag hoch oben über dem Waldboden, wo sich des Nachts die gefährlichen Raubkatzen herumtrieben. Wieder verspürte sie ein Ziehen, das ihren prallen Unterleib durchlief. Sie schloss die Augen und wartete ab. Es war nicht das erste Mal für sie. Wenn alles gut ging würde sie schon bald ein Kleines in ihre Arme schließen.
Seit einigen Tagen fühlte sie sich schwerfällig und ungelenk, es war Zeit für das Kleine, zu kommen. Am Vorabend hatte es ihr, wie schon seit mehreren Tagen, Mühe bereitet, auf den Baum zu steigen und sich ein Nest zu flechten.
Die leichte Brise, die durch die Baumkronen strich, wiegte ihr Nest auf den Ästen ganz sanft hin und her; auf und ab, fast unmerklich wippte es ein wenig mit den Ästen mit. Uhma war sehr feinfühlig und besaß einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, so dass sie jede noch so leichte Bewegung des Nestes wahrnahm, die dafür sorgte, dass sie sich wie auf Wolken gebettet fühlte.
Durch die Lücken der im Wind leise raschelnden Blätter der oberen Äste beobachtete sie den Sternenhimmel, diese eigentümliche tief dunkelblaue Schattierung der Welt über ihr, in der unzählige große und kleine, nahe und ferne Sterne blinkten und flackerten, während sie liegen blieb und geduldig abwartete. Eine Wehe nach der anderen durchzog ihren Unterleib und krampfte diesen zusammen.
Über ihr befanden sich keine anderen Nester. Um sie herum hatten sich die anderen Mütter ihre eigenen Nester geflochten. Weiter unten im Baum waren die Nester der Männer und der größeren Jungen, die dafür sorgten, dass sich die Frauen mit ihren Kindern sicher fühlten während der Nacht, weil kein Feind an ihnen vorbeigekommen wäre, ohne dass sie es gemerkt hätten.
Plötzlich weiteten sich Uhmas Augen, als wieder ein starkes Ziehen ihren Unterleib durchlief und Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen hervorbrach. Sie öffnete den Rachen und ein gurgelnder Laut entrang sich ihrer Kehle. Jetzt würde es nicht mehr sehr lange dauern, das wusste sie. Wenn die Fruchtblase platzte und das Fruchtwasser aus ihr herauslief, war das Kind bereit, auf die Welt zu kommen, denn nun konnte es nicht mehr in ihrem Leib bleiben, weil die schützende, nährende und wärmende Flüssigkeit es nicht mehr umgab. Es musste bald geboren werden und selber zu atmen beginnen. Dies war der Lauf des Lebens, das im Wald zumeist hoch oben in den Baumkronen begann und auch dort oben wieder endete.
Ein heller Streifen zartrosafarbenen Lichtes in der Ferne kündete den neuen Tag an. Schnell verblassten die Sterne und der rosige, immer breiter werdende Streifen färbte sich in ein dunkles, flammendes Orange, das in ein helles, fast pastellfarbenes Orange verblasste, dort, wo es die Dunkelheit des abziehenden Nachthimmels berührte, gefolgt vom klaren, türkisfarbenen Licht des erwachenden Tages, das schnell höher stieg und sich mehr und mehr ausbreitete, so dass der dunkle Nachthimmel immer weiter in die gegenüberliegende Richtung des Himmelsgewölbes verschwand.
Uhma betrachtete das Schauspiel des sich verfärbenden und heller werdenden Himmels mit Staunen durch die Lücken im Blätterdach, während Welle um Welle durch Ihren Leib lief und ihr Unterleib sich wieder und wieder zusammenzog. Dann, nach mehreren keuchenden Atemzügen, stieg ein Ächzen aus ihrer tiefsten Kehle, und plötzlich spürte sie, wie das Kleine in Bewegung kam. Auf dem Rücken liegend drückte sie ihren Unterleib in die Höhe, spreizte die Beine und stützte sich mit ihren Füssen seitlich ihres Körpers ab, um dem Kleinen den Raum zu geben, den es brauchte und um für sich selber eine angenehmere Stellung zu finden, während sie presste, um ihrem Kind auf die Welt zu helfen.
Uhma war wie alle ihrer Sippe sehr gelenkig, es bereitete ihr keine Mühe, die Beine ganz zu spreizen und ihren Unterleib dabei in die Höhe zu drücken. Sie musste darauf achten, dass ihr Kleines nicht einfach aus dem Nest fallen würde bei der Geburt und hielt deswegen ihr Gesäß, solange es ging, in der Mitte des Nestes in die Höhe.
Mit kundigen Fingern tastete sie nach ihrem Muttermund, der schon ein wenig geöffnet war. Dann fühlte sie mit den Fingern genauso wie mit ihren Körpergefühlen, wie sich dieser nun weit öffnete und in ihr das kleine Köpfchen darin Einlass fand.
Sie presste mit ganzer Kraft, um dem kleinen Erdenwesen zu helfen, seinen Weg in die Welt zu finden. Dann begann sie am ganzen Unterleib zu zittern und ein mit weißlichem Schleim überzogenes Köpfchen mit dünnen, schwarzen Haaren kam zwischen ihren gespreizten Beinen zum Vorschein und drängte sich weiter durch den Muttermund, um dann in dieser Stellung zu verharren, als die Wehe wieder abklang.
Willkommen Kleines, komm jetzt, heute ist ein guter Tag, um geboren zu werden , dachte sie, als sie den Oberteil des Köpfchens, der nun, nach der nächsten Wehe und ihrem helfenden Pressen schon draußen war, zärtlich streichelte. Ganz sanft zupfte sie an den Haaren des Köpfchens.
Komm heraus Kleines, komm , ermutigte sie das Kleine in Gedanken, während sie das runde Köpfchen weiter streichelte. Wieder und wieder durchliefen starke Wellen ihren Körper und sie presste jedes Mal mit aller Kraft, so dass das Köpfchen noch ein bisschen mehr heraus schaute.
Dann, als fast das ganze Köpfchen draußen war, rollte sie sich nach vorne und setzte sich mit gespreizten Beinen und zurückgelehntem Oberkörper hin, den Muttermund in der Mitte des Nestes vor sich ausgestreckt. Das hervorstehende Köpfchen streichelte sie weiter zärtlich und achtete gut darauf, es nicht aus den Händen zu lassen. Zu groß war die Gefahr auf dieser Höhe, dass es hätte aus dem Nest fallen können.
Als Uhma spürte, dass das Kleine wieder in Bewegung kam, wusste sie, dass es nun kommen würde, denn so war es die anderen Male auch gewesen, als sie geboren hatte. Sie stellte sich nun auf alle Viere, ihr Hinterteil leicht abgesenkt und in der Mitte des Nestes, während sie sich an dessen Rand mit Händen und Füssen festhielt. Noch einmal presste sie mit aller Kraft, und das Kind glitt aus ihrem Muttermund hinaus: Mit einem Schwall von Flüssigkeit wurde es in ihr Nest geboren. Dann war auch der ziehende Schmerz vorbei.
Sogleich drehte sich Uhma um und leckte und strich der Kleinen den weißlichen Schleim vom Gesichtchen. Da war sie nun. Ein vollkommen geformtes, winzigkleines Mädchen mit dem Körper und den Gesichtszügen, die der Art ihrer Ahnen entsprachen, lag auf den Blättern im Nest. Uhma setzte sich hin, so dass das Kleine zwischen ihren gespreizten Beinen lag und entfernte dem Neugeborenen den Schleim vom Gesichtchen, den Händchen und dem Körper, dann nahm sie es in ihre Hände, indem sie ihm unter die Arme griff. Sodann hielt sie ihr Neugeborenes zärtlich doch mit festem Griff vor sich hin und schaute mitten in die glänzend blauen, offenen Augen des schweigenden Säuglings. Gleichzeitig dachte sie: Du sollst wissen, dass du von mir geliebt und unterstützt wirst, kleine Tochter, die du mich aus deinen Kulleräuglein anschaust.
Die Kleine hatte ganz dünne Beinchen und Ärmchen mit winzigen Füßchen und Händchen, die sich in der neuen Freiheit kräftig bewegten. Als ihre Mutter legte Uhma der Kleinen ihren Mund über die winzigen Lippen und dachte dabei: Ich vermische meine Luft mit der Luft von allem Leben, damit sie in deinen Körper strömt, meine Kleine. Du wirst niemals allein sein, denn du bist mein Kind, du gehörst zu mir. Zusammen gehören wir zu unserer Sippe, und unsere Sippe gehört zu allen Leuten von unserer Art. Wir sind Urmütterchens Sippe, Kleines, und du bist jetzt ein Teil von uns. Sei willkommen bei mir und in meinem Leben in der gro ß en Vielfalt des Lebens im schönen Wald. Sei Willkommen bei mir.
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