Anton Weiß - geSUCHT und NICHT GEFUNDEN

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Jeder Mensch sucht nach dem Glück. Aber wie er es auch anstellt, sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt. Die Sehnsucht nach Erfüllung ist unendlich groß und kann durch nichts, was der Mensch haben oder kaufen kann, befriedigt werden. Aber der Weg ins Geistige scheint ihm versperrt zu sein. Das Buch versucht eine Antwort aufzuzeigen..

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Die Bedeutung des Siegens

Was bedeuten eigentlich Sieg oder Niederlage? Bin ich als Mensch besser, wenn ich siege und schlechter, wenn ich verliere oder bloß Zweiter werde, oft nur mit einer Differenz zum Sieger von kaum messbarer Größe? Geht es mir darum, Bester zu sein und worin bin ich dann bester? Bester Tennisspieler aller Zeiten, bester Schwimmer aller Zeiten? Hängt mein Menschsein davon ab, ob ich gewinne oder verliere, oder bin ich als Mensch nicht genau so gut, auch wenn ich verliere? Oder will ich mein Gutsein den anderen zeigen, dass alle sehen, wie gut ich bin? Verleiht mir das eine Wichtigkeit, eine Bedeutung, die ich ohne den Gewinn nicht habe? Geht es also darum, wichtig zu sein, Bedeutung zu haben? Bin ich nicht wichtig, habe ich keine Bedeutung, wenn ich verliere? Bin ich in meinem Menschsein weniger? Und wenn ich mich minderwertig, unbedeutend fühle, verleiht mir dann der Sieg wirklich die Bedeutung, die ich selber nicht empfinde oder verschleiert er nur meine Bedeutungslosigkeit? Oder werde ich als Mensch ein anderer dadurch, dass ich mich schinde und plage, um zu siegen? Ist der Sieg nur ein äußeres Zeichen für meinen Sieg über mich selbst? Dass ich durchgehalten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden, dass ich gegen meine Schwachheit gekämpft habe, die mich gern einen einfacheren Weg gehen ließe? Das würde ich für den Spieler verstehen, aber was haben dann die Fans für einen Anteil daran oder die Nation?

Erlebe ich in der Auseinandersetzung mit mir selbst das Drama des Lebens überhaupt, Höhen und Tiefen, die keinem Sportler erspart bleiben? Das ganze Hoffen und Bangen, Freuen und Traurigsein, Begeisterung und Enttäuschung, höchste Anspannung und Mitfiebern – das alles wird im Sport erlebt. In einem einzigen Torschuss ist davon schon viel enthalten: das Hoffen und Bangen, die Vorfreude und Erwartung, dass es ein Tor wird, und die Enttäuschung und Ungläubigkeit, wenn der Ball dann doch nicht im Netz landet oder die Begeisterung, wenn doch. Ist das Durchleiden dieser Höhen und Tiefen das, was die Spieler und Zuschauer fasziniert und haben die Zuschauer in einer geheimnisvollen „participation mystique“, einer unsichtbaren Verbindung daran Anteil?

Welche Faszination geht aber von Spielen aus, bei denen ich gar nicht viel zu Sieg oder Niederlage tun kann, weil es einfach von den von mir unabhängigen und nicht beeinflussbaren Gegebenheiten abhängt und nicht von meinem Willen und Können, wie z. B. beim Kartenspiel oder beim Kniffeln, einem Würfelspiel, bei dem mein Siegen allein vom Fallen der Würfel abhängt. Warum ärgert es mich hier, wenn ich verliere und bin stolz, wenn ich gewinne? Über wen ärgere ich mich und warum bin ich stolz – doch auf mich – der ich gar nichts dazu tun kann, als einen Würfelbecher zu schütteln? Und nun zeigt sich das ganz Verblüffende: Ich erlebe beim Kniffeln genau so Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen, Freude und Enttäuschung wie dort, wo es auf meinen Einsatz ankommt und wo ich glaube, dass ich es in der Hand habe, dass es an mir liegt, die Leistung zu vollbringen.

Mir würde viel mehr einleuchten, wenn es um etwas ganz anderes ginge. Wenn viel mehr als der Sieg das Auf und Ab, das Bangen und Hoffen, also das Drama des Weges zum Ziel das Entschei- dende wäre. Es spiegelt sich darin das Drama des Lebens überhaupt; das Leben als Wagnis, das den Einsatz des ganzen Menschen erfordert und wo er, auch wenn er diesen Einsatz leistet, dennoch verlieren kann. Und er hofft so sehr zu gewinnen. Jeder möchte Gewinner sein. Das ist im Leben sogar leichter möglich als im Sport, wo immer nur einer Gewinner sein kann. Ist vielleicht das Leben ein Spiel mit hohem Einsatz, wo man gewinnen oder verlieren kann? Das würde erklären, warum so viele Menschen der Spielleidenschaft erliegen. Das Spiel sozusagen als Übungsterrain des Lebens, ein Ort, wo eingeübt werden kann, Niederlagen zu bewältigen, den Ärger, die Wut zu zügeln und mit seinen Emotionen umzugehen. Wo man erleben kann, dass es nicht immer nach seinem eigenen Willen geht und dass Erfolg nicht immer Ergebnis und zwangsläufige Folge eigener Leistung ist.

Ziele werden hinausgeschoben

Wenn ich Schülern dieses Streben nach sportlichem Erfolg aufgezeigt und gefragt habe, was darin der Sinn ist, kam meistens die Antwort: um viel Geld zu verdienen und gut zu leben. Das glaube ich nicht. Natürlich geht es um Geld, denn man muss ja seinen Lebensunterhalt verdienen, was bei Profisportlern durch ihren Sport erfolgt. Aber das macht nicht den ungeheueren Einsatz, den unbedingten Willen verständlich, der bei vielen dahinter steht. Der Siegeswille geht ja so weit, dass viele zu unlauteren Mitteln greifen, wie Doping oder Bestechung von Schiedsrichtern. Ich kann nicht glauben, dass der wahre und einzige Grund dieses unbedingten Verlangens und Strebens nach dem Sieg dieser Sieg als solcher oder das Geld ist. Weil in vielen Sportarten heute so viel Geld zu verdienen ist, glauben viele Menschen, dass dies der Anreiz für die Sportler ist. Aber es gibt viele andere Sportarten, wo die Sportler zum Teil sogar selbst finanzielle Beiträge leisten müssen, sei es für die Ausrüstung oder Unterkunft und Verpflegung an den jeweiligen Wettkampfstätten, zu denen sie fahren. Und dennoch liegt ihnen genau so viel daran, Erster, Sieger zu werden wie in allen anderen Sportarten. Ich möchte nur Bergsteigen als Beispiel anführen. Gerade in dieser Sportart wird deutlich, dass es um mehr gehen muss als nur ums Geld, denn der Bergsteiger riskiert wie kein anderer Sportler sein Leben. Was ist es, was ihm diesen hohen Einsatz wert macht, wofür nimmt er die ungeheuere und gefahrvolle Anstrengung auf sich? Gut, man kann dann sagen, es geht darum, berühmt zu werden, als erster Mensch alle 14 Achttaussender bestiegen zu haben. Aber auch das scheint mir nicht den tiefsten Grund zu treffen. Es muss etwas im Menschen sein, was ihn vorantreibt, was ihn ein Ziel anstreben lässt, von dessen Erreichen für ihn alles abhängt, wo er überzeugt ist, dass, wenn er das erreicht hat, sein Glück vollkommen sein wird. Und das ist das Ziel jedes Menschen, und jeder sieht einen anderen Weg zu diesem Ziel. Aber darüber, worin dieses vollkommene Glück besteht, glaube ich, dass sich die wenigsten Gedanken machen bzw. dass die meisten glauben, dass sich mit Erreichen des gesteckten Zieles dieses vollkommene Glück einstellt. Und genau hier müsste man ansetzen. Jeder erlebt zwar Glück, wenn er ein gestecktes Ziel erreicht hat, aber es ist nicht dieses vollkommene Glück. Es ist nur ein Abglanz davon und verblasst nach einiger Zeit. Der Elan, mit dem das Ziel angestrebt wird, zielt auf das absolute Glück, was aber erreicht wird, ist nur ein relatives Glück. Das absolute Glück stellt sich nicht ein.

Deshalb werden die Ziele ständig hinausgeschoben: Zu Beginn einer Bergsteigerkarriere ist es das höchste Ziel, den ersten Achttausender zu bezwingen. Hat er das nach vielen Mühen erreicht, ist der Mensch glücklich. Aber schon greift er nach dem nächsten Ziel, den nächsten Achttausender zu besteigen. Ist das nicht ein deutlicher Hinweis darauf, dass er das vollkommene Glück nicht erreicht hat? Und was kommt, wenn er alle 14 Achttaussender bestiegen hat? Kommt dann die große Leere? Bei vielen Menschen kommt es tatsächlich zu dieser großen Leere, wenn alles, was ein durchschnittlicher Mensch so erstrebt wie Beruf, Familie, Auto, Haus erreicht ist. Da das so um die 40 herum der Fall ist, stellt sich bei vielen die große Krise in der Lebensmitte ein, die Midlife-Crisis. Zeigt das nicht, dass die Menschen sich viel zu wenig Gedanken darüber machen, was der eigentliche Grund ihres Strebens ist?

Um beim Bergsteigen zu bleiben: Es gibt so viele Berge, dass es immer wieder neue Ziele gibt. Gerade das Stecken von immer neuen Zielen zeigt aber, dass die vollkommene Erfüllung ausgeblieben ist.

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