Muffi sah entspannt aus dem Fenster und lauschte einer Amsel. Dann leistete er sich genau einen schönen, abschließenden Gedanken zu dieser Grundsatzdiskussion, so etwas wie na, hier ist er ja gut aufgehoben, der Tuffi . Dabei wurde ihm wohlig warm und wäre er alleine gewesen, hätte er jetzt angefangen zu schnurren.
Am nächsten Morgen, erst Alkaseltzer.
Dann verschwand Muffi.
Es war 6 Uhr. Eine Sonne stand in kräftigem Orange über dem östlichen Horizont einem weißlichen Mond gegenüber, der seinen Abgang in vollem Glanz verpasst hatte. Im Haus war es ruhig. So ruhig, dass man das Geräusch eines brechenden Daumennagels hätte hören können.
Muffi beugte sich zu dem kreditkartengroßen Spiegel hinunter, der hinter den Wasserhahn des Küchenwaschbeckens geklebt war. Er ließ sich etwas Wasser über die Hände fließen und strich sich damit die Haare glatt. Dann schloss er den Wasserhahn und spuckte in den Ausguss. Der Hof lag still und genügsam im Morgenlicht. Idyllentauglich. Muffi ging den erdigen Weg zur Landstraße hinauf.
Rückläufig.
Muffi durchquerte den Wald auf der Straße. Eine dunstige Kälte legte sich um seine Knöchel. Irgendwo im Halbdunkel machte sich eine raschelnde Unruhe breit. Es roch nach Pilzen. Aus dem Geruch stieg eine Erinnerung hervor. Wie er früher ein paar mal mit seinen Eltern in die Pilze gegangen war. Eine der schöneren Erinnerungen. Dass Pilze umsonst, aus freien Stücken töten konnten, hatte ihn immer fasziniert.
Die Schatten der dürren, dünnhäutigen Pappeln fielen wieder von rechts auf den Asphalt. Im Inneren des Autos fühlte es sich feucht und klamm an, auf der Windschutzscheibe klammerten sich tausende von winzigen Tautropfen an eine fremde Welt, aus der sie der Fahrtwind danach wieder vertrieb.
In dieser Stadt fuhren seit längerem die ersten führerlosen U-Bahnen der Republik. Sicher auch, weil man dort sehr viel gutzumachen hatte.
Muffi fuhr von Südwesten nach Nürnberg hinein, weiter bis zum Hauptbahnhof, fand dort keinen Parkplatz, und fuhr dann Richtung Nordosten weiter. In der Nähe eines Platzes, auf dem ein Haus stand, dass sie Delphinhaus nannten – es hatte nicht wirklich etwas von einem Delphin, aber ähnelte einer provisorischen Zahnbrücke – stellte er seinen Wagen ab. Er sah auf das Display seines Smartphones, es war acht Uhr neunundzwanzig. Eine Kirchenglocke verbreitete eine Lüge über die Zeit und schickte drei Glockenschläge durch die Straßen. Irgendwann wurden sie von Verkehrsgeräuschen gefressen.
Muffi betrat ein Bäckerei. Ein lila Morgenwunder plauderte vor dem Verkaufstresen stehend mit der Fachverkäuferin.
Frisch toupierte weiße Haare fluoreszierten in Lila, auf eine abgeklärte, stolze Art unter dem Neonlicht des Ladenraums. Die Verkäuferin lauschte bunt-blumig beschürzt hinter der Kuchentheke und sah dabei gedankenverloren auf ein paar Kostproben vor sich, in denen kleine Holzstäbchen steckten, an denen winzige Papierfahnen hingen. Wortsilben schwebten leicht und erwartungstrunken durch die Luft:
»Mir sin dann zu den Strassaefesd ganga, ich maan, mir hams hald zufällich gfundn, ober maanans do is irgendwo drangstand was des fier a Fesd sei soll? Des mäisands doch draschreibm, was des für a Fest sei soll. Fiesch hads a gäim, i glaab, des woar a Fieschfesd.«
Der Haarballon waberte voll wolllüstiger Entrüstung. Mit dem letzten Wort wandte sich die Verkäuferin mit einem warmherzigen Lächeln zu Muffi. Der las auf einer Tafel, auf dem verschiedene Backwaren und belegte Brote aufgelistet waren, und sagte:
»Tag. Ein Sandwich Omaha und einen Kaffee zum Mitnehmen.«
»Bodd oddä Dasse.«
»Mmh.«
Sie drehte sich um und deutete nacheinander auf zwei fast gleichgroße, gewaltige Becher.
»Des is die Dasse, und des deä Bodd.«
»Na, dann Tasse.«
»Ä Dassn do go und ä Sandwich Omaha.«
»Was ist da drauf, auf dem Sandwich Omaha.«
»Na, des is halt ä so Omaha style eben.«
»Mmh, also was genau?.«
»Unseä Masdeä lässt sich da hald immer was eifalln. Des is dann eher so, wie ma’s in Omaha essn weärd, deng i meä, so hald eben Omaha style. Meäng Sie Omaha ned? Des is in Nebraska, mei Ma war do amol zum studiern, der maant a sou a Sandwich had der da nie gessn. Abeä schee is scho dordn, sou am Missouri hald.«
Alles war gesagt, also drehte sie ab und begann an der Kaffemaschine zu hantieren. Muffi sah zum Fenster hinaus. Ein Müllarbeiter stieg von seinem Stehplatz am hinteren Ende des Wagens und verschwand in der Einfahrt eines Hauses mit einer großen Glastür. Nach einer Weile kam er mit zwei Mülltonnen heraus. Er sah zum Himmel hinauf und bewegt den Kopf hin und her, als ob er seine Nackenmuskulatur lockern wollte. Er hatte etwas von einem bulligen Rottweiler. Dann rannte ein Mann in einem billigen, modischen Anzug aus dem Haus. Er hatte eine blaue Plastiktüte in der Hand und rief dem Müllmann etwas hinterher. Der blieb stehen. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und wartete, bis der Mann die Tüte in eine der Tonnen geworfen hatte. Dann zog er die Tonnen weiter.
»Junger Mann, wärmer wird der Kaffee so a ned«, sagte die Wunderbare ohne ihren Blick vom Tresen zu wenden. Ihre Augenbrauen schoben die Stirnfalten nach oben und etwas Make-up sprang von der Haut.
Muffi dachte, da erzählst du mir nichts neues , und sagte: »Danke.«
Die Verkäuferin strich über ihre grün-rote Schürze und entschied sich, die Mundwinkel leicht zu kräuseln. Unter der weiß-lila Pracht blühte das Gesicht auf wie eine Herbstaster und die Mundwinkel darin kringelten sich wie vertrocknete Blütenblätter.
»Vier fünfzig. Drei Euro das Sandwich, eins fünfzig der Kaffee.«
Muffi sagte aus einem ungeklärten Grund das ist aber billig , was einfach ignoriert wurde. Der Satz trat in die Wirklichkeit, schwebte einige Sekunden unbeachtet im Raum umher und verschwand so unsicher, wie er gekommen war.
Die Verkäuferin sagte: »Bringers nächsds Mal hald an Medallbecher mid, wechn der Umweld.«
Eine weitere sanfte imaginäre Brise fiel in den Raum und kräuselte zwei Lippenpaare noch einmal. Als die Verkäuferin das Restgeld abzählte, führte sie schon das Gespräch mit der Kundin weiter: »Obä schaungs, wenn die dou etz Fiesch hieschreibm däidn, also Fieschfesd, na dann «
»Wiedersehen.«
»Auf Widdersehn«, sang die Verkäuferin.
Muffi kletterte wieder in den Wagen. Nach den ersten Bissen klingelte sein Smartphone. Es war Ordnung senior, der fragte:
»Wie ging’s dir?«
»Was?«
»Ich meine deinem Magen.«
»Hab ein Alkaseltzer genommen.«
»Mir geht’s auch nicht gut.«
»Nimm auch ein Alkaseltzer. War’s das?«
»Meinem Sohn ging’s richtig schlecht. Tuffi glaube ich auch. Jedenfalls habe ich ihn nachts auf dem Klo gehört.«
»Großartig. Gib ihm auch eins. Und dann legt ihr euch alle ins Bett. Am besten in eins, das spart Bettwäsche. Kann ich noch mit irgendwas helfen?«
»Geht nicht.«
»Was?«
»Dass wir uns alles zusammen ins Bett legen.«
»Das war eine verdammte ironische Bemerkung. Hab grade kein Smiley zur Hand, wegen der Ironie.«
»Was?«
»Emotikon.«
»Was?«
»Gefühlssymbol«
»Ach egal. Ich meine, es ging deshalb nicht, weil Tuffi weg ist.«
»Was?«
»Also, mein Sohn, auf dem Klo, versteh mal, der war fertig, hatte geschissen und gekotzt gleichzeitig, jedenfalls, da hat ihn Tuffi überwältigt. Hat ihn einfach von hinten niedergeschlagen und ihm den Schlüssel aus der Hose gezogen.«
»Aus der Schlafanzughose?«
»Mein Sohn hatte in seiner normalen Hose geschlafen, das macht er manchmal. So war der Schlüssel doch sicher.«
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