Johannes Hahn
Die Erdrakete
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Inhaltsverzeichnis
Titel Johannes Hahn Die Erdrakete Dieses ebook wurde erstellt bei
Langeweile
Die Entdeckung
Die Maschine
Die Rakete
Die Koordinaten
Die Testfahrt
Die Aufregung
Die Vergangenheit
Die Verwirrung
Die Verfolgung
Die Insel
Die Rückfahrt
Die Planungen
Die Jagd
Der Nachbar
Die Invasion
Die Beichte
Das Wiedersehen
Der Plan
Die Vorbereitungen
Das große Finale
Zum guten Schluss
Impressum neobooks
Mama und Papa sind die langweiligsten Eltern der Welt, dachte Tina. Sie lag auf ihrem Bett und betrachtete ihr perfekt aufgeräumtes Zimmer. Mama hatte mal wieder aufgeräumt, als sie in der Schule war. Für alles kaufte Mama irgendwelche Kisten, die alle einen festen Platz in irgendeinem der Regale hatten.
Papa hatte auch einen Ordnungstick. So wie andere Menschen sich daran erfreuen, Dinge in Besitz zu nehmen und deswegen gerne mal mehr kaufen, als sie eigentlich brauchen, so erfreute sich Papa daran, Dinge loszuwerden. Jeden Samstag fuhr er mit dem Auto zum Recyclinghof und vorher wurden Haus und Garten gründlich ausgemistet, wie Papa das nannte. Obwohl von “Mist” im Zusammenhang mit dem Zuhause der Familie Greese schon seit Jahren keine Rede mehr sein konnte. Wenn diese Wegwerftour einmal ausgefallen wäre, hätte das Papa sicherlich mehr aufgeregt als wenn wir seinen Geburtstag vergessen hätten. Und Aufregung verabscheuten Tinas Eltern mindestens genauso wie Unordnung.
Ich selbst hätte gerne etwas mehr Aufregung, meinetwegen auch Mist und Dreck, dachte Tina, so als Gegengift zur Langeweile. Vielleicht wären Geschwister nicht schlecht, denn die machen garantiert immer Ärger und Dreck.
Tina ging in die fünfte Klasse, hatte Freunde, machte Judo und empfand sich mit ihren kurzen, blonden Haaren und den Sommersprossen als ausreichend hübsch - wobei ihr das Aussehen nicht besonders wichtig war. Sie interessierte sich eher für Technisches. Tina war eigentlich ein ganz normales Mädchen - nur hatte sie panische Angst davor, sich zu langweilen. Tina befürchtete sogar, die Langeweile sei vielleicht eine Art genetischer Defekt in ihrer Familie, eine Erbkrankheit, deren grauenvolles Endstadium sie tagtäglich an ihren Eltern beobachten musste.
Die Eltern ihrer Klassenkameraden waren natürlich alle viel interessanter. Die einen sahen vielleicht langweilig aus, hatten aber spannende Berufe wie Sprengmeister oder Schauspieler. Andere waren besonders erfolgreich und die Erfolglosen doch zumindest besonders entspannt und locker. Tinas Eltern, die alles dies nicht waren, arbeiteten halbtags in irgendwelchen Büros. Tina hatte in den Ferien beide Eltern mal während der Arbeitszeit besucht. Sie waren “Sachbearbeiter”, wie das Namensschild auf dem Schreibtisch verriet. Und das war dann auch schon eine ausführliche Beschreibung dessen, was sie da im Büro taten: Sie nahmen irgendwelche “Sachen” oder “Vorgänge” an und bearbeiteten sie, was nur bedeutete, dass irgendein Stempel draufgedrückt und beschlossen wurde, an wen das Papier weitergereicht wird.
“Profi-Langweiler” wäre wohl die bessere Berufsbezeichnung, dachte Tina.
Wie anders war das bei Carlos Domingo, ihrem besten Freund aus der Klasse. Carlos´ Vater kam aus Kuba und war eigentlich Ingenieur. Warum er in Deutschland nicht als solcher arbeiten durfte, hatte Carlos ihr nie so richtig erklären können - wahrscheinlich hatte er es selbst nicht verstanden. Jedenfalls hatte Señor Domingo mit seiner Frau einen Schrottplatz eröffnet, der Tina wie ein Paradies vorkam, wenn sie Carlos besuchte. Es gab viel Platz und unbeobachtete Momente, in denen man von Erwachsenen ungestört basteln und experimentieren konnte. Carlos hatte noch drei Geschwister - Langweile war da sozusagen technisch ausgeschlossen, dachte Tina seufzend.
Heute war Donnerstag und Tina konnte sich nicht mit Carlos verabreden, weil der beim Fußballtraining war. Die Hausaufgaben hatte sie schon erledigt, weil ihre Mutter sonst ja doch keine Ruhe gegeben hätte.
Nun lag sie also auf dem Bett und sah die grauen Schleier der Langeweile wie eine herbstliche Nebelwand vor sich stehen. Dieser Donnerstagnachmittag! Dieses fremdaufgeräumte Zimmer! Seitdem Mama Urlaub hatte, kam Tina mit Unordnung machen gar nicht mehr hinterher. Und jetzt nur aus Prinzip alles aus Regalen und Kisten zu schmeißen war Tina auch zu blöde.
“Mama, ich geh raus” rief Tina in Richtung Wohnzimmer.
“Zieh´ Dich warm an”, tönte Mama zurück “ich krieg ja schon beim Rausgucken einen Schnupfen”.
“Dann wickel´ Dir doch einen Schal vor die Augen”, murmelte Tina und knallte die Tür zu.
Rauszugehen war natürlich kein Allheilmittel gegen Langeweile, das wusste Tina aus Erfahrung. Die Kleinstadt Rotenburg an der Wümme, in der sie wohnte, erschien ihr wie ein in Stein gemeißeltes Monument der Langeweile. Nur die Siedlung aus Einzelhäusern, in der sie mit ihren Eltern wohnte, war vielleicht noch schlimmer. Alle Bewohner hatten offenbar eine tiefe Abneigung gegen alles Ungewohnte und Ungeplante. Gefegte Bürgersteige, akkurat geparkte und geputzte Autos, geschniegelte Häuser und frisch frisierte Hecken und Rasenflächen. Jedes noch so kleine Werkzeug hing in seiner eigens dafür angebrachten Halterung, alles war an seinem Platz und sollte idealerweise auch für immer dort bleiben. Die ganze Siedlung stand kurz vor dem Zustand der absolut endgültigen Ordnung und wahrscheinlich träumten nicht wenige Bewohner davon, sich selbst wegzuräumen, vielleicht in gläsernen Schneewittchensärgen eingesperrt zu sein, damit die geschaffene Ordnung bloß nicht mehr gestört würde.
In Tinas Garten gab es allerdings einen Ort, der allem elterlichen Ordnungswahn zum Trotz immer ein wenig geheimnisvoll geblieben war: Opas Werkstattschuppen.
Opa war schon lange nicht mehr da. Und seinen Werkstattschuppen hatte Papa natürlich längst gründlich ausgemistet. Nur schwere Maschinen wie die Drehbank, die Standbohrmaschine und eine große Werkbank hatte er wohl einfach nicht bewegen können, sonst wären auch sie den Weg gegangen, den die anderen Werkzeuge genommen hatten.
Der Werkstattschuppen war Tinas Lieblingsplatz im Garten. Er war stets unverschlossen, wahrscheinlich weil die Eltern den Schuppen sowieso am liebsten abgerissen hätten, wozu man wahrscheinlich den Sprengmeister aus der Elternschaft ihrer Klasse benötigt hätte. Die Wände des Schuppens waren mit technischen Zeichnungen tapeziert und in der Mitte stand der Aufsitzrasenmäher, mit dem Papa im Sommer jede Woche den Flaum auf dem Rasenteppich im Garten abrasierte.
Hinter dem Schuppen befand sich eine kleine Fläche, die man am ehesten als “verwildert” bezeichnen konnte. Hier standen alte Gartenstühle herum und so manch anderes, was auf Papas nächste Sperrmülltour wartete. Das war natürlich überhaupt nur denkbar, weil man diese Fläche weder vom Haus noch von der Straße aus einsehen konnte. Als Tina sich gerade zwischen zwei Gartenstühlen hindurchzwängen wollte, die sicherlich noch ein paar Jahre gehalten hätten, stolperte sie und stieß sich das Schienbein an einem der Stühle.
Die Entdeckung
Die Entdeckung
Noch auf dem Boden sitzend betrachtete Tina den Gegenstand, über den sie gestolpert war. Das Ding war etwa fingerdick, schien aus Metall zu sein und schimmerte bläulich. Es ragte gerade mal zwei Zentimeter aus dem Boden hervor und ließ sich nicht bewegen, als Tina es anfasste. Mit bloßen Händen begann Tina, die Erde neben dem Gegenstand wegzuscharren, der offensichtlich irgendwo befestigt war.
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