In einer Ecke des Hauptsaales, nahe der Tür, fanden sie endlich einen Platz.
Jeanne trug ein Kleid in den Lieblingsfarben des Königs, aus zartem Rosa, mit Blumengirlanden durchwirkt, mit Blumenfestons und Falbalas in zartestem Blau überdeckt. Darüber einen Domino aus schwarzer Seide mit Silberstickereien, dessen Kapuze sie über den Kopf gezogen hatte.
Trotz der fast unerträglichen Hitze im Saal riet Binet, den Domino nicht abzulegen, der Jeanne wenigstens einigermaßen davor schützte, von den vielen Bekannten, die das Fest besuchten, gesehen zu werden.
Es war ihm durch dritte Hand die strengste Order zugegangen, größte Vorsicht walten zu lassen. Der König hatte sich gestern im ersten Rausch schon zu einer viel zu langen Unterhaltung mit Madame d'Étioles vor Hunderten von Augen hinreißen lassen.
Gestern aber hatte die schöne Jeanne eine Maske getragen. Überdies war sie der Hofgesellschaft, mit wenigen Ausnahmen, fremd gewesen. Der Stadthausball aber war von einer Menge Menschen aus allen Kreisen besucht. In keinem Fall durfte auch nur ein Schein der verabredeten Zusammenkunft mit dem König bekannt werden.
Binet lag außerordentlich daran, diese Order mit peinlicher Genauigkeit durchzuführen. Er hatte ganz und gar nicht den Ehrgeiz, als Gelegenheitsmacher zu gelten.
Dieses Ehrenamt überließ er den Kammerdienern des Königs, den Herren Bachelier und Lebel. Es lag ihm nicht das geringste daran, gelegentlich von der frommen Partei für geleistete Kuppeldienste zur Rechenschaft gezogen zu werden, vielleicht gar seinen Dienst beim Dauphin zu verlieren.
Er hatte ohne jede selbstsüchtige Absicht, ohne jeden verlangten oder versprochenen Lohn die Wünsche seiner schönen Cousine erfüllt. Weiter wollte er in keinem Falle gehen. Daß er Madame d'Étioles heute hier beschützte, geschah nach dem Willen des Königs. Dem hatte er unbedingt zu gehorchen. –
Jeanne war an einer Unterhaltung mit Binet nicht viel gelegen. Er hatte seine Schuldigkeit getan, damit genug. Gelegentlich würde sie daran denken, ihn für seine Dienste zu belohnen.
Sie schaute ungeduldig und ein wenig verdrossen in die Menge. Ihre kleinen Füße mit den aufwärtsgebogenen, energischen Zehen wippten in den schmalen, hochhackigen rosa Atlasschühchen in immer rascheren Pendelbewegungen auf und nieder.
Der Dauphin hatte den Ball längst verlassen. Von den nahen Türmen hatte es die Mitternacht geschlagen. Wo der König nur blieb? War das die heiße Ungeduld, die er gestern verraten hatte? War sie doch töricht gewesen, seine Wünsche nicht gestern schon zu erfüllen? Hatte sich zwischen gestern und heute schon eine jener raschen Wandlungen in Louis XV. vollzogen, vor denen man sie gewarnt hatte? – –
Dumpf klang die Ballmusik zu ihr herüber, ein altes Menuett. Merkwürdig vertraut schien ihr die Melodie, an irgendeine Erinnerung geknüpft. Wo konnte sie die Weise nur gehört haben?
Sie dachte nach. Langsam kam die Erinnerung. Sie täuschte sich nicht, an ihrem Hochzeitsfeste war's gewesen, kurz ehe sie mit Charles Guillaume aufgebrochen war.
Merkwürdig, daß ihr gerade in diesem Augenblick diese Gedanken kommen mußten. Jeanne wollte sie abschütteln, die unbequemen Mahner, aber immer wieder, mit jedem Geigenton kamen sie ihr zurück, deutlich, immer deutlicher.
Sie fühlte, wie ihr Herz geklopft hatte, da die Tür des Hochzeitsgemaches sich hinter ihnen geschlossen. In Liebe? Was wußte sie von Liebe, als Charles Guillaume gekommen war! Es war wohl nur die heiße Erwartung auf das geheimnisvolle Unbekannte gewesen, das jeden Mädchens Herz schlagen macht, wenn ihm die große, dunkel geahnte Stunde kommt! Zagend tasteten ihre Gedanken weiter.
War aus der großen Stunde, der ersten, da sie sich einem Mann gegeben, das Glück, die Liebe aufgeblüht? Jeanne schüttelte den Kopf. Ein kurzer Rausch, kaum geahnt, schon verflogen, und dann war die lange, nüchterne Enttäuschung gekommen.
Nein, sie hatte ihren Gatten nie geliebt. Seine gutmütige Anspruchslosigkeit hatte sie gelangweilt, das Bewußtsein, ihm in allen Dingen überlegen zu sein, hatte sie kalt gemacht. Nichts hatte ihre Ehe ausgefüllt, als die hoffende Erwartung auf das eine Große, die hoffende Erwartung, die sich um Minutenfrist erfüllen sollte.
Und zwischen die drängende Gewalt ihres brennenden Ehrgeizes, der heißen Wünsche nach Größe und Glanz rann wie eine warme, kosende Welle die Hoffnung ihres jungen Frauenherzens, daß Louis XV. die Liebe anders verstehen möge, als Charles Guillaume d'Étioles es vermocht!
Die Geigen schwiegen. Jeanne schreckte auf. Neben ihr stand ein Herr im schwarzen Seidendomino.
Binet war aufgeschnellt und hatte sich tief vor dem Fremden verneigt.
»Der Herzog von Richelieu,« flüsterte er Jeanne aufgeregt zu.
Sie war sofort wieder Herrin ihrer Gedanken, ihrer Haltung.
Mit nachlässiger Grazie, ohne die geringste Verlegenheit hob sie den Kopf.
»Sacre nom de Dieu,« murmelte der Herzog, des Königs Ratgeber in allen Liebesangelegenheiten, und noch einmal »sacre nom de Dieu!«
Diese kleine Bürgerin übertraf freilich alles, was Richelieu an Schönheit und Charme bisher in Paris gefunden hatte.
Er gab Madame d'Étioles galant den Arm. Binet wurde kurz verabschiedet.
»Gestatten Sie, Madame, daß ich Sie zu dem kleinen Kabinett geleite, in dem – Ihr Ritter in wenigen Augenblicken erscheinen dürfte.«
Jeanne atmete erleichtert auf. Sie hatte einen Augenblick lang gefürchtet, der Herzog bringe eine Absage des Königs.
In dem kleinen Zimmer standen Champagner, Früchte, Eis und süße Kuchen in kleinen Silberkörben bereit.
Der Herzog machte galant den Wirt. Er schenkte zwei Kristallbecher voll und nötigte Jeanne zum Trinken.
»Ihr Gesicht ist blaß, Madame. Mutmaßlich von der Hitze im Saal und der Anstrengung des Wartens. Der Champagner wird Ihnen gut tun.«
Er hob das Glas gegen sie.
»Ihr Wohl, Madame, und das Ihres Ritters.«
Er trank ihr zu und sah dann auf die Uhr, die eine halbe Stunde nach Mitternacht zeigte.
»Euer Ritter, schönste der Frauen, muß jeden Augenblick eintreffen. Er ist auf der Straße nach Sèvres seinem Sohn begegnet, der ihm mit Klagen über den Stadthausball in den Ohren gelegen hat. Ungeduldig hat er den Störenfried rasch genug abgeschüttelt. Keine zehn Minuten werden vergehen –«
Richelieu hatte noch nicht ausgesprochen, als die Tür von der Treppe zum Kabinett sich öffnete. Zwei schwarze Dominos traten ein. Der König und Ayen. Die beiden Herzöge zogen sich in die Fensternische zurück.
Louis beugte sich tief auf Jeannes Hand und küßte sie.
»Ich habe Sie warten lassen, Madame, ich bin untröstlich. Mißgeschick über Mißgeschick. Nachdem ich den Dauphin fortgeschickt, habe ich mit meinem Wagen dasselbe getan und bin in einer Mietskutsche hergekommen, um nicht noch einmal auf halbem Weg zum Glück aufgehalten zu werden.«
Er beugte sich so dicht zu ihr nieder, daß der Hauch seines Mundes sie traf. Heiß flüsterte er: »Den Weg zum Glück, Jeanne, von dem ich seit gestern nacht unablässig geträumt, wollen wir ihn zusammen gehen?«
In Jeannes Augen brannten Flammen. Die Farbe kam und ging in ihrem zarten Gesicht. Ihre Zähne gruben sich in die Unterlippe. Fast zu schnell war der Sieg errungen. Würde, konnte er von Dauer sein?
Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest zwischen seinen heißen, fiebernden Fingern.
Nur nicht wieder zurück in die grausame Öde müder Wunschlosigkeit. Nur sie halten, die ihm Leben, Bewegung, Aufrüttlung aus unerträglicher Lethargie bedeutete.
Immer stürmischer wurde sein Werben.
Er hatte die Gegenwart der Herzöge in der Fensternische, die Vorsicht, die er sich gelobt hatte, vergessen.
Jeanne gab vor, ihn nicht zu verstehen. Sie senkte den Blick, auf daß er den Triumph nicht sähe, der aus ihren Augen leuchtete.
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